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Interview

Der Weg zum Betriebsrat muss nicht steinig sein

An Privatschulen, in Einrichtungen des Sozial- und Erziehungsdienstes sowie der Erwachsenenbildung fehlen sie oft, obwohl sie für die Belange der Beschäftigten so wichtig wären: Betriebsrätinnen und Betriebsräte.

Foto: Ingrid Artus

Sie vertreten bei Kündigungen, Entlassungen, Neueinstellungen und Versetzungen die Interessen der Arbeitnehmer*innen. Außerdem schließen sie Betriebsvereinbarungen ab und zeigen bei Diskriminierung am Arbeitsplatz Haltung.

Prof. Dr. Ingrid Artus (Foto) vom Institut für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) forscht u. a. zur Mitbestimmung. Dorothea Weniger von der DDS sprach mit ihr über den Weg zum Betriebsrat.

DDS: Frau Prof. Artus, Beschäftigte, die einen Betriebsrat gründen möchten, stellen oft fest, dass ihre Kolleg*innen diesen nicht für nötig halten. Woran liegt dies und sehen Sie einen Zusammenhang mit dem Berufsethos in der Sozialen und Bildungsarbeit?

Prof. Dr. Ingrid Artus: Zunächst glaube ich nicht, dass die Ablehnung der Kolleg*innen der Hauptgrund dafür ist, dass es in vielen Betrieben (noch) keinen Betriebsrat gibt. Vielmehr sind oft die Geschäftsleitungen nicht sehr begeistert von der Idee, ihre Direktionsgewalt mit einem Gremium zu teilen, das über Informations-, Mitwirkungs- und – v. a. in personellen Fragen – auch über „harte“ Mitbestimmungsrechte verfügt. Dass die Kolleg*innen die Idee eines Betriebsrats zunächst manchmal ablehnen, hat m. E. viel mit mangelnder Information über dessen Rechte zu tun; aber auch damit, dass sie den Konflikt scheuen, den eine Gründung möglicherweise bedeutet. Sie wollen sich das Wohlwollen der Vorgesetzen und der Unternehmensleitung nicht verscherzen. Hier mag dann auch das Berufsethos und die „Branchenkultur“ in der Sozialen Arbeit und Bildungsarbeit eine Rolle spielen. Sozialarbeiter*innen z. B. sehen sich häufig als Personen, die sich gut selbst vertreten und bei Konflikten vermitteln können. Zum Berufsethos gehört auch, in erster Linie an die Klient*innen zu denken oder sich sogar für sie aufzuopfern und bestenfalls in zweiter Linie an sich selbst. Diese Sichtweisen widersprechen tendenziell der Idee einer kollektiven Interessenvertretung durch einen Betriebsrat.

Aber ich bleibe dabei: Es spielt auch eine große Rolle, dass es im Bereich der Sozialen und Bildungsarbeit keine ausgeprägte Gewerkschaftskultur gibt, wie etwa im Metallbereich. Die Gewerkschaft ist oft „weit weg“, der Organisationsgrad gering. Mir erscheint es deshalb wichtig, daran zu erinnern, was Gewerkschaft eigentlich ist: Sie ist das Prinzip der Solidarität am Arbeitsplatz. Unter ihrem Dach tun sich abhängig Beschäftigte zusammen, um ihre Interessen gemeinsam besser als allein gegenüber einer machtpolitisch überlegenen Geschäftsleitung vertreten zu können. Betriebsräte sind von daher historisch gesehen die „Kinder“ der Gewerkschaftsbewegung. Und trotz ihrer rechtlichen Befugnisse bleiben sie schwach, wenn sie nicht von den Beschäftigten kollektiv unterstützt werden. Betriebsräte und Gewerkschaften gehören von daher eindeutig zusammen. In den oft kleinen Betrieben gibt es aber kaum Menschen, die die Ideen von Mitbestimmung und betrieblicher Demokratie kompetent vertreten und erklären können. Das Wissen um den Nutzen von Betriebsräten und Gewerkschaften ist oft leider gering.     

Was sollten Beschäftigte bei einer Betriebsratsgründung beachten?

Wichtig ist zunächst, dass es eine Kerngruppe von vielleicht zwei, drei, vier Personen gibt, die einander vertrauen und die entschlossen sind, die innerbetriebliche Kultur zu demokratisieren. Häufig ist ein konkreter Konflikt Auslöser dafür. Manchmal kumulieren aber auch kleine Ärgernisse, bis einige beschließen, „dass es so nicht weitergehen kann“. Die Gründung eines Betriebsrats ist oft der Ruf nach mehr Respekt für die Belegschaft. Gut ist es, wenn diese Initiative von Personen ausgeht, die über eine längere Betriebserfahrung verfügen, die in der Belegschaft bekannt und respektiert sind. In der Anfangsphase sollte die Initiative geheim gehalten werden. Die Kerngruppe sollte sich zunächst untereinander besprechen und sich dann möglichst schnell an die GEW wenden, dort also auch Mitglied werden. Deren rechtliche und strategische Beratung bei der Einleitung der Betriebsratswahlen ist wichtig. Außerdem verfügt sie über überbetriebliche Kontakte. Scheitern Betriebsratsgründungen, liegt dies oft daran, dass die Pläne zu früh bekannt wurden, noch kein Kündigungsschutz für die Initiator*innen galt und die Geschäftsleitung die Möglichkeit nutzte, „Gegenmaßnahmen“ einzuleiten. Sobald aber die Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung offiziell den Wahlvorstand eingesetzt haben, besitzt dieser Kündigungsschutz und es ist Zeit, offensiv „Wahlkampf zu machen“. Dann heißt es viele Gespräche zu führen, Überzeugungsarbeit zu leisten und sich von „Gegenpropaganda“ oder gar Repressalien der Geschäftsleitung nicht beirren zu lassen. In dieser Zeit muss die Kerngruppe gut zusammenhalten und ihr Vorgehen auch strategisch planen.

Aber sitzt der Betriebsrat nicht immer am kürzeren Hebel?

In der Tat gibt es häufig ein Machtungleichgewicht zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung. Das liegt schon daran, dass die Geschäftsführung im Betrieb viel mehr Verfügungsgewalt als der Betriebsrat hat. Aber erstens haben Betriebsratsmitglieder das Recht auf Fortbildung, d. h. sie können und sollten unbedingt (!) an rechtlichen Schulungen z. B. zum Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht, aber auch zu sinnvollen Strategien von Betriebsratsarbeit teilnehmen. Gewerkschaften bieten hier ein umfangreiches Schulungsprogramm an. Bei konkreten Sachfragen können Betriebsrätinnen und -räte auch auf Kosten des Betriebes Unterstützung von Anwält*innen oder Expert*innen in Anspruch nehmen. Zweitens verfügt ein professionell und basisdemokratisch arbeitender Betriebsrat oft über Informationen aus der Belegschaft, die der Geschäftsleitung vielleicht fehlen. Er hat „das Ohr an der Basis“ und spricht idealerweise täglich mit vielen Beschäftigten. Ein kluges Management weiß diesen „Wissensvorsprung“ eines Betriebsrats übrigens zu schätzen und „hört“ auf die Ratschläge der Basisvertretung. Und last, but not least: Oft haben Betriebsratsmitglieder weit mehr betriebliche Erfahrung, sie sind schon länger im Unternehmen und kennen das Geschäft von der Pike auf. Ich bin daher nicht davon überzeugt, dass ein Betriebsrat notwendig über weniger Kompetenzen und Informationen als die Geschäftsleitung verfügt. Was ihm an Direktionsrechten und formaler Macht fehlt, kann er im besten Fall durch die kollektive Unterstützung der Belegschaft „wettmachen“. Daher: Es stimmt zwar, dass Betriebsrätinnen und -räte – schon allein rechtlich – „am kürzeren Hebel“ sitzen, aber bei professioneller Arbeitsweise, einem strategischen Umgang mit seinen rechtlichen Befugnissen und solidarischer Unterstützung durch die Belegschaft kann der Betriebsrat ein echter betrieblicher Machtfaktor sein.

Welches Risiko gehen Geschäftsleitungen ein, wenn sie die Betriebsratsarbeit torpedieren?

Laut Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes kann die Behinderung von Betriebsratsarbeit oder auch von Betriebsratswahlen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden. In der Praxis werden jedoch Strafanzeigen zu diesen Themen von den Staatsanwaltschaften oft nicht verfolgt, dauern viel zu lange und enden mit relativ milden Geldbußen. Das ist ein Problem und müsste dringend geändert werden. Allerdings gehen Geschäftsleitungen bei der Missachtung eines von der Belegschaft respektierten und unterstützten Betriebsrats das Risiko einer empfindlichen Störung des Betriebsfriedens ein. Das wiegt vielleicht schwerer als die Gefahr einer rechtlichen Sanktionierung.   

Wie können Betriebsratsmitglieder auf Formen von Union Busting reagieren?

Gegen Repression hilft nur Solidarität. Freilich muss man auch versuchen, rechtlich gegen Union Busting vorzugehen, aber mindestens genauso wichtig ist es, sich Unterstützung von Kolleg*innen, der Gewerkschaft, vielleicht auch von einer überbetrieblichen Öffentlichkeit zu holen. Man muss offensiv über die Machenschaften der Geschäftsleitung informieren, denn betriebliche Auseinandersetzungen sind immer auch Deutungskämpfe. Auf keinen Fall darf man zulassen, dass Einzelne von der Geschäftsleitung abgestraft werden, denn das schürt die Angst bei allen anderen. Union Busting kann nur mit kollektiver Geschlossenheit wirksam bekämpft werden. Da braucht der Betriebsrat auch unbedingt die Unterstützung der Belegschaft.

Frau Prof. Dr. Artus, danke für das Gespräch.

 

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Dorothea Weniger
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