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Dokumentation

Aus den zahlreichen Gedächtnisprotokollen von sogenannten „Anhörungsgesprächen", die der Rechtsschutzstelle vorliegen, veröffentlicht die GEW das ungekürzte Protokoll der Kollegin Höllersberger, mit ihrer Zustimmung.
Es ist beispielhaft für die Methode der Regierung, z. B. eine frühere Kandidatur für den Sozialistischen Hochschulbund (SHB), zum Anlaß einer mehrstündigen Gesinnungsprüfung zu nehmen.

Auch in ihrem Fall hat inzwischen das Verwaltungsgericht (Ansbach) die v o r l ä u f i g e  E i n s t e l l u n g verfügt und festgestellt, daß der Ablehnungsbescheid der Regierung rechtswidrig war. Dennoch schöpft der Freistaat Bayern alle Rechtsmittel aus, und wird möglicherweise bis zur letzten Instanz gehen. Der Rechtsstreit kann noch Jahre dauern, bis ein rechtswirksames Urteil vorliegt.

 

1. Einstellungsgespräch am 27. April 76 in Ansbach für die Regierung von Mittelfranken: Stender (S), Büttner (B) für den Bewerber: Höllersberger (H), Beyer (By)

Dauer: 14.30 bis ca. 16.30 Uhr

S: Herr B, Sie stellen sich als Rechtsbeistand der Gewerkschaft vor, sind Sie Jurist?

By: Nein.

S: Dann können Sie leider nicht teilnehmen; einen Anwalt würden wir selbstverständlich zulassen, auch Herrn S.

H: Dann geben Sie mir doch bitte einen neuen Termin, ich werde dann mit meinem Anwalt wiederkommen.

S : Das ist allerdings nicht ganz einfach, diese Woche geht es gar nicht mehr, nächste Woche wahrscheinlich auch nicht. - Herr By, wenn Sie versprechen, daß sie nicht versuchen, die Frau H zu .beeinflussen, dann können Sie mit hereinkommen, Sie dürfen aber nicht in das Gespräch eingreifen.

S: Sie haben unser Schreiben erhalten?

H: Ja.

S: Entspricht das alles der Wahrheit, daß Sie an Wahlen, die dem Bayerischen Hochschulgesetz nicht entsprechen, teilgenommen haben und zwar auf der Liste des SHB und an den Bayerischen Hochschulgesetz-Gremienwahlen auf einer gewerkschaftlich orientierten Liste?

H: Ja, ich habe an diesen Wahlen teilgenommen, allerdings kann ich nicht verstehen, wie daraus Zweifel an meiner Verfassungstreue erwachsen können, ich würde es eher als Beweis dafür an sehen, daß ich jederzeit bereit bin, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Im übrigen kann man diese Wahlen keineswegs als „illegal" bezeichnen, auch wenn sie im Bayerischem Hochschulgesetz nicht mehr geboten sind. Ich kann Ihnen hierzu ein Flugblatt geben, das Rektor Lobkowitz damals verteilen ließ . . .

S: Es interessiert mich hier nicht, ob diese Wahlen zulässig oder unzulässig sind.

H: Da steht außerdem noch, daß ich verantwortliche Leiterin von Sitzungen des Wahlausschusses gewesen sei. Das stimmt nicht. Ich wäre dazu zwar jederzeit bereit gewesen, da ich aber selbst mich zur Wahl gestellt hatte, konnte ich in dem Gremium, das die Wahlen organisierte nicht vertreten sein, das hätte demokratischen Grundsätzen widersprochen.

S: Ich kann Ihnen hier vom Amt für öffentliche Ordnung zeigen, unter Ihrem Namen war ein Informationsstand angemeldet zum Thema Konventswahlen mit Informationsmaterial und Urne.

H: Ja, natürlich. Ich war aber lediglich für den Informationsstand verantwortlich, im Wahlausschuß bin ich nicht gewesen.

S: Nun zu einer anderen Frage. Sie kennen das Grundsatzprogramm des SHB. Billigen Sie es? Entspricht es Ihrer Meinung nach der freiheitlich-demokratischen

Grundordnung? Stehen Sie noch dazu?

H: So, wie ich es verstehe, stehe ich dazu.

B: Hier steht (GSP S. 19), daß der SHB die Ausübung der politischen Macht durch

die Arbeiterklasse und ihre Organisationen sowie die fortschreitende Demokratisierung aller gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse anstrebt. Können Sie erläutern, was Sie darunter verstehen?

H: Nun, es gibt doch bei uns mehrere Parteien. Einige wie z. B. CDU/CSU oder FDP vertreten nach meiner Ansicht Unternehmerinteressen, andere wie z. B. die SPD haben sich die Interessen der Arbeitnehmer auf ihre Fahnen geschrieben, wenn ich mal so sagen darf. Es ist nun Aufgabe dieser Parteien, die Bevölkerung zu überzeugen, daß sie ihre Interessen vertreten - und die Bevölkerung besteht ja zum größten Teil aus Arbeitnehmern - so daß es wohl möglich sein muß, daß eine Partei, die Arbeiterinteressen vertritt, bei den Wahlen so viele Stimmen erhält, daß sie die Regierung stellen kann.

B: Aber was bedeutet dies denn, nun wirklich, wenn die Arbeiterklasse an der Macht ist? Sind dann andere Meinungen möglich? Können andere Parteien gewählt werden?

H: Selbstverständlich, schließlich sind in unserem Grundgesetz freie, geheime . .. Wahlen garantiert, ebenso das Recht auf Ausübung einer Opposition. Wenn es also einer anderen Partei gelingt, die Mehrheit der Bevölkerung zu überzeugen, daß sie ihre Interessen besser vertreten wird, wüßte ich nicht, wer die Leute daran hindern sollte, in der geschlossenen Wahlkabine ihr Kreuzchen an eine andere Stelle zu setzen.

Dazu würde ich Sie gerne noch etwas fragen: Herr Strauß hat vor den letzten Bundestagswahlen gesagt, wenn die SPD an die Regierung käme, wären dies die letzten freien Wahlen in unserem Land gewesen. Haben Sie den Eindruck, daß Sie im Oktober nicht frei wählen können?

S: Nein, natürlich nicht. - Aber können Sie uns nicht noch ein spezielles Merkmal der sozialistischen Demokratie nennen, worin besteht denn der Unterschied zu unserer jetzigen Demokratie?

H: Ein wesentlicher Unterschied besteht meiner Meinung nach darin, daß in Anwendung der Art. 14, 15 unseres Grundgesetzes die wesentlichen Industriezweige, soweit sie die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nicht erfüllen, vergesellschaftet werden.

B: Hier steht auch (GSP S. 15) : ,,In der letzten Zeit wurden, verbunden mit Hetze gegen nationale und politische Minderheiten, weitere antidemokratische Gesetze erlassen (Vorbeugehaft, Änderung des Verfassungsschutz-Gesetzes, Ausbau des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes, Errichtung einer Elitetruppe des Bundesgrenzschutzes zum Einsatz bei ,Terroranschlägen' u. a.)." Was verstehen Sie denn unter „antidemokratischen" Gesetzen?

H: Darunter würde ich solche Gesetze verstehen, die tendenziell die Demokratie unterhöhlen können.

B: Sie meinen also, daß es möglich ist, nach den Regeln des Grundgesetze Gesetze zu erlassen, die undemokratisch sind?

H: Das kann ich so allgemein nicht beantworten. Nennen Sie mir bitte ein konkretes Beispiel.

B: z.B.: Vorbeugehaft.

H: Im Grundgesetz ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet. Ich kann mir vorstellen, daß Vorbeugehaft dazu in Widerspruch geraten kann.

S: Was verstehen Sie unter sozialistischer Demokratie, sozialistischer Umgestaltung ·?

H: Was ich vorhin schon sagte : Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, wo die Sozialpflichtigkeit des Eigentums verletzt wird.

S: Ist das schon „Umgestaltung"?

H: Es besteht doch ein Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital und zwar insofern als der Unternehmer ein Interesse hat an möglichst großem Profit, der Arbeiter dagegen an möglichst hohem Lohn. Ich bin der Meinung, daß die Überwindung dieses Widerspruchs eine sehr große Veränderung darstellt.

S : Es steht aber auch im Grundgesetz, daß Entschädigung geleistet werden muß. Dadurch entsteht doch neues Kapital, d. h. es wäre nichts verändert.

H: Es steht darin, daß „angemessen" entschädigt werden muß, d. h. die Höhe der Entschädigung ist durch Gesetz zu regeln.

S: Es würde also z.B. ein Kapital mit einem Nennwert von 100 000 enteignet gegen 100?

H: Hierzu möchte ich darauf hinweisen, daß ich auch dafür eintrete, die Entscheidungsprozesse zu demokratisieren, d. h. die Mehrheit der Bevölkerung müßte entscheiden, was angemessen ist.

S: Was verstehen Sie darunter: die Entscheidungsprozesse demokratisieren?

H: z. B. Mitbestimmung oder daß Eltern, Schüler und Lehrer, d. h. diejenigen, die von Schule betroffen sind, dort auch mitzureden haben.

B: Haben Eltern jetzt keine Entscheidungsgewalt? ·

H: Ein wenig im Rahmen der Elternverbände, aber das nehmen nicht einmal alle in Anspruch.

S: Man kann sie ja nicht zwingen!

H: Natürlich nicht. Man muß sie davon überzeugen, daß es in ihrem Interesse liegt, sich darum zu kümmern, was in den Schulen vor sich geht.

S: Wenn Leute sich stärker engagieren, ist das schon Umgestaltung? Ist das nicht ein zu starkes Wort?

H: Wenn die Rechte, die im Grundgesetz auf dem Papier stehen, verwirklicht und garantiert werden, so ist das doch eine sehr große Änderung.

S: Ich würde das eher Anwendung nennen.

H: Schauen Sie, wenn ich zuerst ein Kochrezept vor mir habe und dann eine Mahlzeit, die ich essen kann, so würde ich das durchaus als Umgestaltung bezeichnen.

S: Ich würde das Wort Umgestaltung nicht so verstehen.

H: Das ist Ihre Meinung ; ich verstehe es so.

S: Kommen wir zur Wortwahl, das Wort Umgestaltung wird auch von der DKP gebraucht; was versteht denn die DKP darunter?

H: Da müssen Sie schon ein Mitglied der DKP fragen.

S: Aber Sie müssen doch wissen, was die Unterschiede zwischen DKP und SHB

sind, wenn Sie schon die gleichen Worte gebrauchen. Grenzen Sie sich denn gar nicht ab?

H: Meine Abgrenzung besteht darin, daß ich genau umreiße, was ich meine. Wer Unterschiede feststellen will, soll die DKP fragen, was sie meint und dann vergleichen.

S: Vielleicht etwas anderes. Sie haben auf der Liste Gewerkschaftliche Orientierung kandidiert, die ein Bündnis zwischen MSB und SHB darstellt?

H: Das stimmt so nicht. Wie Sie wissen, besteht bei den Bayerischen Hochschulgesetz- Gremien Mehrheitswahlrecht, d.h. je mehr Listen kandidieren, desto weniger Chancen bestehen für die einzelne Liste, hineinzukommen. Dies wurde zum Anlaß genommen, eine Plattform zu suchen, auf der möglichst viele Studenten kandidieren konnten. Diese Plattform waren die 23 Thesen des DGB zur Hochschulreform. Jeder Student, der sich für diese Thesen einsetzte, konnte auf dieser Liste kandidieren. Nachdem der MSB diese Thesen unterstützt, konnten selbstverständlich auch Mitglieder des MSB darauf kandidieren.

S: Nach Meinung des Innenministeriums ist es aber doch ein Wahlbündnis zwischen MSB und SHB.

H: Das ist es nicht, oder wie erklären Sie sich sonst die Tatsache, daß auch Studenten, die weder im MSB noch im SHB sind, auf dieser Liste kandidierten?

S : Etwas anderes: In der Zeitung „ Offensiv" des SHB München vom November 1975 steht in einem Artikel zum 15. Geburtstag des SHB (S. 8) unter der Überschrift „Namensentzug ". „Der SHB macht den Antikommunismus der Parteiführung nicht mit. Wie viele andere in der Partei lehnt er die ,Münchner Beschlüsse' (keine Zusammenarbeit mit Kommunisten) als falsch und gefährlich ab. Heute zeigt sich, daß sie eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Berufsverbote waren." Wenn Sie also nicht antikommunistisch sind, heißt das, Sie sind ,prokommunistisch?

H: Das ist aber eine sehr seltsame Schlußfolgerung, die Sie da ziehen. Daß ich keinen Antikommunismus vertrete, heißt für mich, daß ich ohne Vorurteile an Kommunisten oder den Kommunismus herangehe. Ich persönlich habe für mich daraus den Schluß gezogen, daß ich Sozialistin bin, nicht Kommunistin.

S: Kommen wir noch mal zum Grundsatzprogramm. Da steht (S. 17) „Daher ist es notwendig, daß der Kampf um mehr Demokratie zugleich ein Kampf gegen die Monopole und ihren Staat ist, also nur als Kampf gerichtet sein kann gegen das bestehende Ausbeutungssystem, mit der Perspektive der Errichtung des Sozialismus." Können Sie uns Ihre Meinung dazu sagen?

H: Ich verstehe diesen Satz im Zusammenhang mit dem, was auf S. 9 über das Verhältnis von Monopolen und Staat ausgesagt ist, und zwar, daß der Staat relativ unabhängig von den Tagesinteressen einzelner Monopole ist und daß die Monopole den Staat niemals beliebig für ihre Ziele einsetzen können. Daß es Zusammenballungen ökonomischer

Macht gibt, ist ja unbestritten und im Godesberger Programm der SPD, der ich angehöre, wird auch ausgesagt, daß diese Staatsgewalt usurpieren. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Die 5 größten bundesdeutschen Wirtschaftsverbände haben vor einiger Zeit einen Brief an Bundeskanzler Schmidt geschrieben, in dem sie ihm anboten, soundsoviele Lehrstellen bereitzustellen - vom Lehrstellenmangel haben Sie sicher schon gehört - wenn die Reform der beruflichen Bildung nach ihren Vorstellungen ausfallen würde. Mit solchen Praktiken wird versucht, den Staat zu mißbrauchen und dagegen wende ich mich.

B: Hat Herr Schmidt sich denn nach dem Brief gerichtet?

H: Um diese Frage beantworten zu können, müßte ich mir das betreffende Gesetz genauer anschauen.

B: Im Programm steht aber „das bestehende Ausbeutungssystem" heißt das dann nicht auch Kampf gegen die bestehenden Monopole und den bestehenden Staat? - Das heißt doch, Sie wollen unseren Staat bekämpfen!

H: Nein, wie ich eben schon darlegte, kann es vorkommen, daß der Staat von Monopolen mißbraucht wird, so daß er seine grundgesetzliche Grundlage verläßt. Dagegen würde ich mich wenden.

S: Ich habe hier eine Zeitung „Offensiv" aus Nürnberg vom Februar 1976, hier ist ein Referat abgedruckt, das Prof. Deppe zu „15 Jahre SHB" gehalten hat. Er schreibt hier, man müsse die „Systemfrage" stellen. Wie ist Ihre Meinung hierzu?

H: Ich würde das dahingehend interpretieren, daß das Wirtschaftssystem geändert werden muß, wie ich es bereits beschrieben habe, um so Machtmißbrauch der Monopole zu verhindern.

S: Deppe schreibt hier nur „System". Meinen Sie, das ist nur wirtschaftlich gemeint?

H: Ich weiß nicht, was Prof. Deppe hier damit meint; ich würde es so auffassen und so auch unterstützen.

S: Weiter unten schreibt Deppe, die Gewerkschaften seien wieder zu Klassenorganisationen zu machen. Sind Gewerkschaften also keine Klassenorganisationen?

H: Meiner Meinung nach sind Gewerkschaften von ihrer Funktion her Klassenorganisationen, da sie die Interessen der Arbeitnehmer vertreten.

B: Ich möchte noch einmal auf diese Stelle im Grundsatzprogramm (Kampf gegen die Monopole und ihren Staat) zurückkommen. Ich bin mir immer noch nicht im Klaren darüber, was Ihre Meinung hierzu ist.

H: Das habe ich Ihnen doch schon ausführlich geschildet: Die Monopole gefährden meiner Meinung nach den Staat, so daß er unter ihrem Einfluß u. U. seine grundgesetzliche Grundlage verläßt. Wenn z. B. die Monopole die Sozialpflichtigkeit des Eigentums mißachten, sehe ich den Sozialstaatsauftrag gefährdet. Ich käme nie auf den Gedanken, den Staat, wie er im Grundgesetz festgelegt ist, zu bekämpfen. Das stünde ja auch im Widerspruch zu meinem Ziel, die Macht der Arbeiterklasse zu erreichen, läßt sich diese doch nur dadurch erreichen, daß Arbeiterparteien Staatsgewalt erlangen auf dem Wege von Wahlen.

B: Hier steht „Ausbeutungssystem" . Was verstehen Sie unter Ausbeutung?

H: Nun z. B. daß keine Mitbestimmung vorhanden ist, daß Arbeiter über das, was sie erarbeiten, nicht bestimmen können. Auch daß sie nicht mitbestimmen können, was mit dem Überschuß, den sie erarbeitet haben, geschieht.

S: Meinen Sie damit die marxistische Mehrwerttheorie?

H: Ja, genau die.

B: Wie ist das denn nun, wenn ein Monopol verstaatlicht ist, wie z. B. bei VEBA, ist dann die Ausbeutung weg?

H: Ich kenne den Betrieb nicht, ich weiß nicht, wie es dort ist.

B: Welche Maxime würden Sie denn angeben für keine Ausbeutung?

H: Ein erster Schritt dazu wäre die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital.

B: Also Mitbestimmung. In den Gewerkschaftsbetrieben gibt es aber auch keine Mitbestimmung.

H: Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Gewerkschaften das neue Mitbestimmungsgesetz mißachten.

S : Die Bundesregierung hat am 11 . 2.1975 eine Stellungnahme abgegeben, worin steht, daß der MSB verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und die Programmatik des SHB sich dem MSB angenähert hat.

H: Das ist eine Meinung von Teilen der Regierung. Ich könnte mir vorstellen, daß wir wieder eine Unionsregierung bekommen könnten und daß diese vielleicht die Meinung äußern könnte, SPD und FDP verfolgten verfassungsfeindliche Ziele.

S: Der Vergleich ist aber nicht ganz richtig, denn da handelt es sich ja schließlich um Gegner.

H: Im übrigen bin ich der Meinung, daß solche Fragen das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat.

S: Wie Sie wissen hat sich ja der SHB von der SPD getrennt ...

H: Das stimmt nicht, der SHB hat sich nie von der SPD getrennt.

S: Ja, ja im GSP steht ja auch, daß er unveränderlich im Rahmen der SPD arbeitet.

- Etwas anderes: Halten Sie die „Diktatur des Proletariats" als Zielvorstellung für verfassungswidrig?

H: Ja. Es gibt hierzu ja auch eine Aussage des BVG.

S: Die DKP hat die Diktatur des Proletariats als Ziel.

H: Steht das in ihrem Programm?

S: Nicht wörtlich, aber die Forderung ist Bestandteil des Marxismus-Leninismus, sie steht in anderer Formulierung darin. Halten Sie es für verfassungswidrig, wenn sie in anderer Formulierung drinsteht?

H: Diktatur ist Diktatur - da bin ich dagegen - aber etwas anderes ist etwas anderes.

S: Glauben Sie, daß die Staatsform in Rußland oder der DDR Diktatur des Proletariats ist?

H: Ich bin dort noch nicht für längere Zeit gewesen, -wie soll ich das beurteilen können?

S: Lesen Sie dern keine Zeitung?

H: Vielleicht kann ich ihnen dazu etwas vorlesen, was der Bundesvorsitzende der Falken, Konrad Gilges, 1973 gesagt hat : ,,Mehr als zwei Jahrzehnte haben wir, die junge Generation der BRD, mit der Jugend der DDR nicht sprechen können. Zwischen uns hatten die Herrschenden, repräsentiert durch die CDU, die Ideologie des Antikommunismus gebracht. Durch die Verträge von Moskau, Warschau und der Verabschiedung des Grundvertrages zwischen der Regierung der DDR und der BRD ist es nun möglich geworden, daß wir Gespräche miteinander führen. Wir, die Sozialisten in der BRD, haben großen Respekt vor der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR. Wir werden aber gemäß den Prinzipien von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auch in Zukunft noch Fragen stellen zur sozialistischen Demokratie in der DDR, ohne dabei als Besserwisser aufzutreten." - Da ich Zeitungsmeldungen nicht nachprüfen kann, kann ich dazu weiter nichts aussagen.

S: Was ist denn nun, wenn eine Partei die Staatsform der UdSSR bei uns einführen will?

H: Da ich die Staatsform der UdSSR nicht gut genug kenne, kann ich diese Frage jetzt nicht beantworten.

S: Gibt es in der UdSSR ein Mehrparteiensystem?

H: Das weiß ich nicht.

S: Gibt es in der DDR ein Mehrparteiensystem?

H: Soweit ich weiß, gibt es in der DDR mehrere Parteien.

S: Was würden Sie zu einem Verfassungsartikel sagen , der lautete: Die Volkskammer ist das oberste Organ des Staates, ihr unterstehen Legislative und Exekutive.

H: Was soll denn das bedeuten?

S: Ich kann es Ihnen vorlesen (zit. Art. 1 Verfassung der DDR). Halten Sie das mit unserer Verfassung vereinbar?

H: Die Verfassung der DDR ist nicht die unsere; wieso sollte sie vereinbar sein? Im Grundgesetz ist Gewaltenteilung verankert, wir können sie nicht abschaffen, denn sie gehört zu den unveränderbaren Grundsätzen.

S: Marxismus-Leninismus ist ohne Gewaltenteilung.

H: Wissen Sie, ich habe in den Werken von Marx und Engels bisher soviel zu

lesen gehabt, daß ich zu Lenin überhaupt nicht gekommen bin.

S: Aber um sich darüber zu informieren, muß man doch nicht gleich Lenins

Werke lesen, dazu gibt es doch Bücher, die weniger umfangreich sind. (Zeigt mir ein Taschenbuch von Lefevre: Marxismus-Leninismus o. ä.)

H: Ich habe während meines Studiums gelernt, daß man, um sich ein begründetes Urteil über eine Sache zu bilden, Grundlagentexte lesen sollte und keine Sekundärliteratur.

B: Der MSB vertritt den Marxismus-Leninismus. Halten Sie eine Zusammenarbeit mit MSBlern für möglich?

H: Wir vom SHB setzen uns für die Interessen der Studenten ein. Dies tut der MSB auch und insoweit ist eine Zusammenarbeit durchaus möglich. Solche gemeinsamen Ansatzpunkte sind z.B.die Forderung nach kostendeckender Ausbildungsförderung, nach Mitbestimmung aller Hochschulangehöriger oder nach umfassender Qualifikation durch das Studium.

S: Dann müßten Sie ja mit jeder Gruppe zusammenarbeiten, die gleiche Ziele

verfolgt. Was wäre denn z.B. wenn der RCDS auch für mehr BaFöG ist?

H: Die Forderung nach ausreichender Ausbildungsförderung ist bei uns immer damit verbunden, daß wir angeben, woher das Geld kommen soll, nämlich aus dem unserer Meinung nach überhöhten Rüstungsetat - wir treten ja auch für Frieden und Völkerverständigung ein. Ich glaube nicht, daß der RCDS diese Forderung unterstützen würde.

S: Sind denn Ihrer Meinung nach die Ziele der DKP verfassungsfeindlich?

H: Ich halte diese Frage für nicht gerechtfertigt, ich äußere hier ja auch nicht Ansichten über die katholische Kirche.

S: Aber Sie werden doch z. B. eine Meinung zur Abtreibung haben.

H: Es gibt hierzu ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das genügt doch.

S: Können Sie sich eine Verfassungsbestimmung vorstellen, daß Richter des XV-Gerichts auf 10 Jahre bestellt werden und jederzeit abwählbar sind?

H: Soweit ich weiß, sind Richter Beamte und fallen unter die Beamtengesetze. In diesen ist vorgesehen, daß Beamte z.B. aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig pensioniert werden können.

S: Die Richter haben einen Sonderstatus, außerdem redete ich von Abwahl.

H: Und wer sollte denn dazu befugt sein, Richter abzuwählen?

S: Haben Sie schon etwas von der Unabhängigkeit der Gerichte gehört?

H: Ja, natürlich, ich habe doch gerade -gesagt: wer soll denn Richter absetzen?

S: Sie sind also der Meinung, daß Sie die Gewähr bieten ...

H: Ja, das zeigt ja wohl auch das Gespräch, das wir eben führten.

 

 

II. Wer nicht betet, ist noch kein Verfassungsfeind !

Verwaltungsgericht erklärt die Jagdmethoden der Regierung von Niederbayern für rechtswidrig

Der nachfolgende Bericht über den Rechtsschutzfall unseres Kollegen K. Ist keine aktuelle Sensationsmeldung mehr. Einzelaspekte dieses skandalösen Falls einer nlederbayerlschen „RadlkalenJagd", die durch den Mlnlsterpräsidentenbeschluß am 28. 1. 1972 ausgelöst, vom bayerischen lnnenmlnlster und vom Kultusminister gefördert und von der Regierung von Niederbayern durchgeführt worden ist, sind von Zelt zu Zelt In der Öffentlichkeit aufgetaucht.

Trotzdem scheint es uns wichtig genug, diese Geschichte einer reaktionären Intoleranz bayerischer Schulbehörden, die vor der Existenzvernichtung kritischer Junglehrer nicht zurückschreckt, zusammenfassend darzustellen, denn

  • sie Ist typisch für die rechtswidrige Praxis bayerischer Schulbehörden bei der Handhabung des sogenannten „Radikalenerlasses,
  • sie wirft ein Schlaglicht auf die Hexenjagdmethoden reaktionärer Eiferer bei der Verfolgung Andersdenkender, die im vorliegenden Fall zu einer verhängnisvollen Verquickung der Begriffe „nicht dorfgerecht" und „nicht verfassungsgerecht" führte,
  • sie ist auch ein Beispiel für den Anpassungsdruck und die Einschüchterungsversuche unterhalb der Schwelle der Berufsverbote, unter denen bayerische Junglehrer tagtäglich leiden und oft genug resignieren,
  • sie Ist aber auch ein Beispiel dafür, daß sich die Betroffenen w e h r e n  m ü s s e n und dafür, daß sie sich erfolgreich w e h r e n  k ö n n e n , wenn auch wie im vorliegenden Fall der Richterspruch um Jahre zu spät kommen kann. Denn trotz des vernichtenden Urteils In der ersten Instanz am 18. 2. 1976 hat der Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von Niederbayern, Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof eingelegt.

 

Die Sache, fast so alt wie der Radikalenerlaß selbst, Ist damit noch nicht ausgestanden!

A. Vorgang

1. Ausbildung

Kollege K. bestand im Jahre 1965 in München die Reifeprüfung, leistete anschließend zwei Jahre Wehrdienst und schied als Leutnant d. R. aus. Er studierte ab Wintersemester 1967/1968 an den Universitäten Gießen und -München Germanistik, ab Sommersemester 1969 an der Pädagogischen Hochschule (PH) München der Universität München Pädagogik. Die Erste Prüfung für das Lehramt an Volksschulen 1971/II bestand er mit der Gesamtnote „gut" (2,13). Vom 1. 9. 1971 bis 15. 7. 1972 war er beim Kreisjugendring München-Stadt als Freizeitpädagoge im Jugendfreizeitheim Neuhausen beschäftigt.

2. Bewerbung

Mit Schreiben vom 29. 7. 1972 bewarb sich K. bei der Regierung von Niederbayern um Einstellung in den Schuldienst an Volksschulen und bat um Einsatz im Raum Teisnach/ Bodenmais (Landkreis Regen), weil er im Hause eines Freundes im Bayerischen Wald wohnen könne. Auf seinen Antrag auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst vom 8. 8. 1972 teilte ihn das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 14. 8. 1972 dem Regierungsbezirk Niederbayern zu.

3. Einstellung

Mit Urkunde vom 14. 8. 1972, ausgehändigt am 18. 9. 1972, wurde K. unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Lehramtsanwärter für den Volksschuldienst ernannt. Am gleichen Tage wurde K. vereidigt und über die Bekanntmachung der Bayer. Staatsregierung vom 25. 4. 1961 über verfassungsfeindliche Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Kenntnis gesetzt.

4. Dienstantritt

K. trat noch am 18. 9. 1972 seinen Dienst an der Volksschule Patersdorf/Kaikenried an und übernahm als Aushilfe ein 5. Schuljahr. K. wohnte abseits des Dorfes am Waldrand in einem Häuschen als Gast eines Bekannten aus der Studentenzeit, der ihm das Haus vorübergehend überließ. Glück und Friede in der Einsamkeit des Bayerischen Waldes währten jedoch nicht lange: Der kath. Ortspfarrer Zitterbart und 2. Bürgermeister Kauschinger leiteten die Radikalenjagd ein:

5. Gesundes Volksempfinden

Mit Schreiben vom 17. 1. 1973 teilte der zweite Bürgermeister der Gemeinde Patersdorf dem Staatlichen Schulamt im Landkreis Regen, Dienststelle Viechtach, mit, daß

a) die Klasse K. bei Unterrichtsbeginn kein Gebet mehr zu sprechen brauche wie es·in allen anderen Klassen der Schule Patersdorf selbstverständlich sei.

b) Herr K. seit dem 18. 9. 1972 in Auerkiel Hs.-Nr. 171 Gemeinde Böbrach mit zweitem Wohnsitz gemeldet sei. Bei diesem Haus habe man im Sommer/Herbst 1972 Sexspiele im Freien beobachten können. Außerdem sei an diesem Haus die Rote Fahne ausgehängt.

c) Herr K. sei gegenüber seinen Kollegen sehr verschlossen.

Es wurde gebeten, den Herrn K. schnellstmöglichst zu versetzen.

Später teilte Pfarrer Zitterbart der Presse mit, daß er - erfolglos - versucht hatte, die Kinder gegen ihren Lehrer aufzubringen, diese müßten sich gegen die angebliche „Gottlosigkeit" des Lehrers durchsetzen, sonst sei „die ganze Erste HI. Kommunion umsonst". Auf Fragen der Presse, warum er sich nicht an K. gewandt habe, antwortete Zitterbart: ,,Was soll man denn mit so einem schon reden!".

6. Schulbürokratle

Einmal in Gang gebracht, mahlten die Mühlen der bayerischen Schulbürokratie von selbst weiter:

Mit Schreiben der Regierung von Niederbayern vom 6. 3. 1973 wurde dem K. mitgeteilt, daß Zweifel laut geworden seien, ob er in seiner Eigenschaft als Beamter und Erzieher für die freiheitlich demokratische Grundordnung zu wirken bereit und gewillt sei.

7. Verfassungsschutz

Bereits mit Schreiben. vom 20. 9. 1972 teilte das Bayer. Staatsministerium des Innern dem Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus mit, daß K. am 12. 12. 1969 als Vertreter der Fachschaften Basisgruppen/links LFB-Liste) in den 17. Konvent der Universität München gewählt worden sei.

Im Dezember 1970 wurde er von den Studenten der Pädagogischen Hochschule München-Pasing bei 8 % Wahlbeteiligung zusammen mit vier anderen in den 18. Konvent der Universität München gewählt.

8. Anhörung

Am 20. 3. 1973 gab Koll. K. bei der Regierung von Niederbayern auf Vorladung., laut Urteilstext vom 18. 2. 1975 an, ,,es sei richtig, daß er Ende 1969 als Vertreter der Fachschaften Basisgruppen/links (LFB) in den 17. Konvent der Universität München gewählt worden sei. Diese Gruppen · hätten kein klar definiertes politisches Programm, wohl aber bestimmte links gerichtete Zielvorstellungen gehabt, die er im Wesentlichen gebilligt habe.

Er sei auch heute noch politisch interessiert, wolle aber seine politische Meinung noch unmißverständlicher als damals in dem Rahmen, den das Grundgesetz vorschreibe, verwirklichen. Die Grundzüge der demokratischen Grundordnung bejahe er uneingeschränkt. Er sei jetzt Mitglied in der SPD.

Es sei richtig, daß er das gemeinsame Schulgebet in seiner Klasse abgeschafft habe, weil er darin eine Indoktrination und Manipulation sehe. Wenn die Eltern oder die Kinder selber dieses Gebet wünschten, würde er sich dem nicht widersetzen. Das Haus, in dem er in Auerkiel wohne, gehöre einem seiner Freunde, der in München wohne. Es sei richtig, daß vor diesem Haus auf einer Stange die rote Fahne hänge. Er habe diese Fahne nicht aufgezogen, sondern bei seinem Einzug bereits vorgefunden. Sie störe ihn nicht, er wolle sie auch nicht als Manifestierung seiner politischen Meinung verstanden wissen. An den Sexspielen vor dem Hause, in dem er wohne, habe er sich weder beteiligt noch habe er sie initiiert. Er glaube auch nicht, daß solche Spiele überhaupt stattgefunden haben.

9. Versetzung

Ohne weitere Vorwarnung wurde Koll. mit Wirkung vom 2. 5. 1973 an die Volksschule Zwiesel überwiesen.

10. GEW-Rechtsschutz

Angesichts der nun deutlichen Anzeichen für eine Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst beantragte Koll. K. am 31. 7. 1973 den Rechtsschutz der' GEW, die umgehend einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen des Kollegen beauftragte.

11. Personalrat

Am 1. 8. 1973 stimmte der Personalrat bei der Regierung von Niederbayern der beabsichtigten Entlassung zu, ohne selbst den betroffenen Kollegen zu hören.

12. Entlassung

Am 9. 8. 1973 erhielt Kollege K. folgenden Bescheid der Regierung von Niederbayern:

1. Der Lehramtsanwärter für den Volksschuldienst wird mit Ablauf des 30. 9. 1973 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen.

2. Die sofortige Vollziehung wird angeordnet.

3. Für diesen Bescheid werden keine Kosten erhoben.

Gründe:

Erst nach Begründung des Beamtenverhältnisses und nach seinem Einsatz in der Schule wurde von den Organen des Verfassungsschutzes folgendes festgestellt:

a) Im Dezember 1969 wurde Kordatzki als Vertreter der Fachschaften Basisgruppen-Links (LFB-Liste) in den 17. Konvent der Universität München gewählt.

b) lm Januar 1970 unterzeichnete er neben 5 anderen Studierenden ein Flugblatt des „lnitiativausschusses Rote Zelle Pädagogik", das die Überschrift „Zur Situation der Lehrerbildung in der Bundesrepublik" trug. Darin ist im wesentlichen ausgeführt, daß in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Bildungssektor objektiv eine Unterdrückung vorherrsche, die bislang mit Erfolg verschleiert werde.

c) In der Zeitung „Kandidaturen für die Wahlen zum 18. Konvent" stellte er sich im Spätherbst 1970 als Kandidat vor und bezeichnete sich als Mitglied der Roten Zelle Pädagogik.

Mit Schreiben vom 17. 1. 1973 teilte der 2. Bürgermeister der Gemeinde Patersdorf dem Staatlichen Schulamt im Landkreis Regen, Dienststelle Viechtach, mit, daß

d) vor dem Hause Nr. 171 in Auerkiel, in dem Kordatzki seit 18. 9. 1972 wohnt, die Rote Fahne ausgehängt sei,

e) in der Klasse des Herrn Kordatzki im Gegensatz zu allen übrigen Klassen der Schule Patersdorf kein Schulgebet mehr gesprochen werde .. . "

Immerhin wurden nunmehr die angeblichen, noch am 18. 4. 1973 amtlich „beglaubigten," „Sexspiele" schamhaft verschwiegen und tauchten auch in späteren Schriftsätzen mit Ausnahme des Urteils, nicht mehr auf.

Weiter heißt es in der Entlassungsbegründung:

,“Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf war nach Sachlage geboten, denn K. bietet nicht die Gewähr dafür, daß er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Bayer. Verfassung eintreten wird (Art. 9 Abs. 1 Ziffer 2 BayBG) . . ..

Da das In der Zukunft liegende Verhalten eines Menschen weder vorausgesagt noch voraus analyslert werden kann, kommt es nur darauf an, daß diese Zweifel In sich schlüssig sind. Nicht notwendig ist der Nachweis, daß der Bewerber sich unter allen Umständen auch hinfort verfassungswidrig verhalten wird und ein verfassungskonformes Verhalten nicht einmal theoretisch denkbar ist. ...

Die Erklärungen, die K. zu Protokoll gegeben hat, sind nicht geeignet, die Zweifel an seiner Verfassungstreue auszuräumen ....

Glaubhaft ist auch nicht die Behauptung, er habe sich mittlerweile von den Vorstellungen seiner Studentenzeit gelöst und stehe heute fest auf dem Boden der Verfassung. Die Tatsache, daß er seit seiner Berufung in das Beamtenverhältnis freiwillig in einem Hause wohnt und dort zu wohnen bestrebt war, vor dem die rote Fahne aufgezogen ist, macht deutlich, daß er sich Innerlich nicht gewandelt hat. Darüberhinaus wurde von Organen des Verfassungsschutzes festgestellt, daß eben jenes Haus auch jetzt noch wiederholt Treffpunkt von Angehörigen linksgerichteter Vereinigungen ist.

Auch die Tatsache, daß K. von sich aus und ohne Rücksprache mit Schülern, Eltern oder anderen Erziehern das Schulgebet in seiner Klasse abgeschafft hat, nährt die Zweifel an seiner Verfassungstreue.

Wer es eigenmächtig beseitigt, verletzt das Verfassungsgebot.

Einer Vielzahl von Eltern darf nicht zugemutet werden, ihre Kinder in den entscheidungsträchtigsten Jahren ihres Lebens einem die Staatsautorität verkörpernden Lehrer anzuvertrauen, gegen dessen Verfassungstreue erhebliche Bedenken bestehen. Auch der Staat selbst, als öffentlicher Erziehungsträger, kann dies nicht dulden."

13. Widerspruch

Am 11. 8. 1973 legte der GEW-Anwalt gegen die Entlassung Widerspruch ein, mit der Begründung, Kollege K. habe nicht das Schulgebet abgeschafft, sondern dessen Durchführung und Respektierung durch anders gesonnene Schüler geschützt und gefördert. Er empfinde sich auch nicht als ,,Antiklerikaler".

Die vor dem Hause· hängende „Rote Fahne" sei ein vom Winde zerfetzter, zerschlissener und verblichener rosa-weißer Fahnenrest, dem K. keinerlei Bedeutung beim Einzug beigemessen hatte und der auch keinerlei Rückschlüsse auf mangelnde eigene Verfassungstreue zulasse. Im übrigen wehe die rote Fahne auch am Sitz des Bundesvorstands der SPD in Bonn und habe darüberhinaus eine ehrenvolle und zutiefst demokratische Tradition.

Die langatmigen Vorwürfe hinsichtlich der studentischen Aktivitäten des Kollegen K. seien in keiner Stelle geeignet, Zweifel an der Verfassungstreue des K. zu belegen.

14. Antrag auf Weiterbeschäftigung

Am 28. 8. 1973 stellte der Anwalt den Antrag auf Aussetzung des sofortigen Vollzugs der Entlassung nach §§ 80 (5) und 80 (3) VwGO.

In der 23seitigen Begründung wird die absolute Glaubwürdigkeit der Aussagen des Kollegen K. herausgestellt und mit den Methoden der Regierung von Niederbayern verglichen :

„Die eigenen Wertungen des Bescheidverfassers spotten jeder justizförmigen Einordnung und lesen sich wie ein staatliches Dokument aus dem Dritten Reich . . . Es wird im vorliegenden Verfahren darauf ankommen, klar herauszuarbeiten, daß der Geist unserer Verfassung nicht verwechselt werden darf mit dem Geist einer rechtsrestaurativen Subkultur."

15. Gutachten

Am 4. 9. 1973 bescheinigte Rektor Zitzelsberger der Volksschule Patersdorf dem Kollegen K. nach erfolgter Entlassung :

„Auf Wunsch bescheinige ich gerne, daß Herr K. während seiner Dienstzeit an der Volksschule Patersdorf von September 1972 bis Ostern 1973 sich weder in der Schule noch in der Öffentlichkeit politisch betätigte ....Auch als mir die Sache vom unterlassenen Schulgebet in K.s Klasse bekannt wurde und ich ihn daraufhin in einer Aussprache darauf aufmerksam machte, daß er sich damit ins Unrecht setze, wenn auch nur ein einziges Kind wirklich beten wolle und ihn dabei auf die Verfassung hinwies, meinte Herr K.: ,,wenn das so ist, dann beten wir halt". Eine Beschwerde von Seiten der Eltern wegen des unterlassenen Schulgebetes wurde bei mir nicht vorgebracht. Ansonsten zeigte sich Herr K. bei uns als stiller, freundlicher junger Kollege."

16. Gerichtsbeschluß

Am 4. 10. 1973 entsprach das Verwaltungsgericht Regensburg dem Antrag des Anwalts vom 28. 8. 1973 und stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entlassungsbescheid wieder her mit der Maßgabe, daß die weitere Vollziehung der Entlassung ausgesetzt würde. Koll. K. wurde „zur Fortführung seiner Ausbildung" der Volksschule Schöllnach zugewiesen.

17. Widerspruchsbescheid

Am 12. 12. 1973 wies die Regierung von Niederbayern den Einspruch des Kollegen K. gegen seine Entlassung zurück.

In dem Widerspruchsbescheid heißt es unter anderem:

Das Verfassungsverständnis von Staat und Kirche geht nicht vom Grundsatz der völligen Trennung der beiden aus, wie es etwa in den Vereinigten Staaten seit 1787 und in Frankreich seit 1789 der Fall ist. Die durch Art. 140 in das GG übernommenen Artikel 136- 139 und 141 der Weimarer Verfassung haben einen so gearteten Laizismus nicht zum Inhalt und schreiben auch den Ländern einen solchen nicht vor. Das ergibt sich aus der Fortgeltung der vor 1945 geschlossenen Konkordate und Kirchenverträge (Art. 123 Abs. 2 GG; Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 6, 309; Art. 182 BV), die vom Geiste guter Partnerschaft zwischen Staat und Kirche getragen sind; es ergibt sich ferner aus den vielfachen Vermögenszuwendungen des Staates an die Kirche und aus den vielfachen Schutzfunktionen, die der Staat den Kirchen gegenüber eingenommen hat und einnimmt. ...

Der Umstand, daß bisher keine Klagen über eine · politische Beeinflussung seiner Schüler und seiner Ihm nicht besonders nahestehenden Umgebung bekanntgeworden sind, kann die Zweifel an seiner Einsatzbereitschaft für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung genausowenig ausräumen wie · das übrige Vorbringen in der Widerspruchsbegründung.

Der Widerspruch war deshalb zurückzuweisen."

18. Klage

Am 1. 1. 197 4 reichte der Anwalt die Klage zum Verw.-Gericht Regensburg ein mit dem Antrag, die Entlassung des Kollegen K. aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 16. 5. 1974 stellte der Anwalt die Klageanträge auf eine Feststellungsklage um, weil Kollege K. aus gesundheitlichen Gründen sein Beamtenverhältnis auf Widerruf beenden mußte.

19. Staatsanwalt

Nach der scheinbar erfolgreichen Existenzvernichtung eines Junglehrers sollte natürlich auch kein Richterspruch mehr den Jagderfolg der Niederbayern trüben:

Am 27. 12. 1974 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Verwaltungsgericht Regensburg die kostenpflichtige Abweisung der Klage vom 1. 1. 1974 - nach einem Jahr der Untätigkeit und Verschleppungstaktik!- in erster Linie mit der Begründung, daß „es am erforderlichen berechtigten Interesse zur Erhebung der Fortsetzungsfeststellngsklage fehlt."

Am Ende seines Schriftsatzes offenbarte Erster Staatsanwalt Ruland noch einmal, sozusagen zusammenfassend, den Beweismechanismus der behördlichen Hexenjagdmethoden: Wer sich zu seiner Überzeugung bekennt, Ist schuldig - wer behauptet, seine Meinung geändert zu haben, dem glauben wir nicht!

Ruland wörtlich: „Die Entscheidung des Rechtsstreits wird daher vor allem von der Beurteilung der Frage abhängen, ob ein späterer Gesinnungswandel des Betroffenen zu berücksichtigen ist und bejahendenfalls wie sich dann die materielle Beweislast hierfür verteilt. Dabei ist Insbesondere zu berücksichtigen, daß nicht nur ein Abrücken von den bisherigen (verfassungsfelnlichen) Zielen verlangt werden muß, sondern auch ein positives Bekenntnis zum freiheitlich demokratischen Rechtsstaat und daß dieses Bekenntnis nicht durch eine eidesstattliche Versicherung oder durch ein Lippenbekenntnis in der mündlichen Verhandlung Genüge getan ist. Die Staatsanwaltschaft verkennt dabei keineswegs, daß ein derartiger (posltiver) Beweis in der Praxis dem Betroffenen schwer fallen wird, sie Ist jedoch der Meinung, daß sich der Kläger diese Beweisschwierigkeiten selbst zuzurechnen hat."

B. Urteil

Am 18. 2. 1976 (!!) sprach nach mündlicher Verhandlung das Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Aktenzeichen R/N 6 1 74 das Urteil:

I. Der Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 3. 8. 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. 12. 1973 war rechtswidrig.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

III. Das Urteil ist in Ziffer II gegen Sicherheitsleistung von 700,- DM vorläufig vollstreckbar.

 

C. Begründung

I.

„Die als Anfechtungsklage erhobene, auf eine sog. Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage ist zulässig . .. .

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist oder nicht, denn eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis wegen mangelnder Verfassungstreue stellt für den Betroffenen einen so schweren Makel dar, daß eine gerichtliche Klärung auch dann gerechtfertigt ist, wenn sich der Verwaltungsakt zwischenzeitlich erledigt hat.

II.

Die Klage ist begründet, denn der Verwaltungsakt war rechtswidrig.

1. Nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayBG kann der Beamte auf Widerruf zwar ,jederzeit' durch Widerruf entlassen werden. Damit ist dem Dienstherrn ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt. Es muß aber stets ein sachlicher Grund für die Entlassung vorliegen . .. . Ein solches Beamtenverhältnis darf nur aus Gründen widerrufen werden, die mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Einklang stehen.

Nach Art. 43 Abs. 2 Satz 1 BayBG soll nämlich dem Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst Gelegenheit gegeben werden, den Vorbereitungsdienst abzuschließen und die Anstellungsprüfung abzulegen . .. .

2. Mangelnde Verfassungstreue ist nur dann ein Widerrufsgrund, wenn sie sich als Verletzung der Dienstpflicht des Art. 62 Abs. 2 Satz 1 BayBG darstellt. . ..

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 39, 334/350) hat nämlich erkannt, daß die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst wegen mangelnder Verfassungstreue nur aufgrund eines begangenen konkreten Dienstvergehens möglich sei. Das Dienstvergehen bestehe nicht einfach in der ,mangelnden Gewähr' des Beamten dafür, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde .. . .

3. Die Entlassung wegen eines Dienstvergehens setzt voraus, daß tatbestandsmäßig ein rechtswidrig und schuldhaft begangenes Dienstvergehen des Beamten auf Widerruf vorliegt und daß die Verfahrensvorschriften des Art. 116 Abs. 3 BayDO beachtet worden sind. Dies war vorliegend nicht der Fall.

a) Die formellen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, denn die Regierung von Niederbayern hatte gegen den Kläger eine auf Entlassung wegen eines Dienstvergehens gerichtete Untersuchung nicht eingeleitet (Art. 116 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 BayDO). Sie hatte dementsprechend auch dem Kläger die Einleitung der Untersuchung nicht mitgeteilt. . ..

b) Auch die materiellen Voraussetzungen für eine Entlassung waren nicht erfüllt, denn der Kläger hatte gegen die Dienstpflicht des Art. 62 Abs. 2 BayBG nicht verstoßen. Die Nichtdurchführung des Schulgebets berührt nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Bayer. Verfassung . ... Die demokratische Grundordnung im Sinne der Bayer. Verfassung ist keine andere wie die des Grundgesetzes. Da in Bayern für das Schulgebet keine Bestimmungen bestehen, es vielmehr dem einzelnen Lehrer überlassen bleibt, ob die erste Unterrichtsstunde am Morgen mit einem Schulgebet begonnen wird . . . , ist nicht zu ersehen, daß der Kläger dadurch, daß er das Schulgebet entgegen der vorherigen Übung nicht weiter durchgeführt, aber auch nicht untersagt hat, gegen Verfassungsgebote, geschweige denn gegen die Grundprinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung verstoßen hat.

Ein Verstoß gegen Art. 62 Abs. 2 BayBG ist auch nicht darin zu sehen, daß der Kläger in ein Haus eingezogen ist, vor dem die rote Fahne angebracht war und daß er diese dort belassen habe. Es mag schon zweifelhaft sein, ob diese rote Fahne, die der Kläger nicht selbst aufgestellt, sondern bereits vorgefunden hat, ihm als Manifestation einer bestimmten Geisteshaltung zugerechnet werden kann. Es erscheint darüberhinaus fraglich, ob einem zerschlissenen Fahnenrest Symbolkraft zukommt. . . .

Schließlich vermag die Vermutung, das Haus in Auerkiel sei wiederholt Treffpunkt junger Leute gewesen, die sich zuweilen als Mitglieder einer ,Roten Front' oder der ,Roten

Zellen' bezeichnet haben sollen, mangels konkreten Bezugs zum Kläger nicht den Nachweis eines Dienstvergehens zu erbringen. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn man das vordienstliche Verhalten des Klägers mit berücksichtigt. Die vor seiner Ernennung zum Beamten liegenden Vorgänge können auch für sich allein genommen kein Dienstvergehen darstellen.

Nach alledem war der Klage stattzugeben."

Die bayerischen Radikalenjäger In den Schulbehörden sind unbelehrbar. Der bereits erwähnte „Landesanwalt" Ruland hat am 20. 7. 1976 im Auftrag des Freistaates Bayern gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Die GEW wird den Rechtsstreit bis zur Rehabilitierung des Kollegen K. weiterführen.

P. Kurz