Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Stamm,
mit Interesse habe ich gestern in der Presse gelesen, dass Sie Sympathien für die Arbeit der ehrenamtlichen Asylhelfer gezeigt haben und dass Sie auch für eine Neubewertung von Afghanistan „als sicherem Land“ sind. Ich erinnerte mich sofort wieder an den 28. Januar dieses Jahres, als ich mit einer Delegation des Bayerischen Landtages das ehemalige KZ-Außenlager Leitmeritz besucht habe und wir beide im Krematorium tief ergriffen nebeneinander standen.
Wir leben heute in einem demokratischen Staat! Sie und viele Politiker aus Ihrem Haus mahnen die Öfffentlichkeit immer wieder: Wir dürfen nicht vergessen – wir müssen aus der Geschichte lernen.
Dürfen wir zulassen, dass Menschen, die Furchtbares erlebt haben, hilflos in Elend und Krieg zurück geschickt werden?
Ich habe am 30. April, am 72. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau, gegen die derzeitige Asylpraxis protestiert. Über diese Entwicklung und die Ereignisse der letzten Tage bin ich entsetzt.
Zum Beispiel über Ablehnungsbescheide des BAMF, die ich einsehen konnte und in denen wider besseres Wissen und Wahrheit Schlüsse gezogen werden, dass das im Kriegs- und Terrorzustand befindliche Afghanistan sicher genug sei für die Abschiebung von Menschen dorthin.
Ich bin empört, dass z.B. das Rechtsamt in Nürnberg mit einer Weisung aus dem Innenministerium die Schulleitungen für Abschiebungen zur Mitwirkung verpflichten will.
Ich bin empört, dass junge Menschen, die sich in einer entscheidenden Situation solidarisch zeigen, nämlich dann, wenn aus ihrer Klasse und Schule ein Mitschüler heraus gegriffen wird und abtransportiert werden soll, durch einen Polizeieinsatz mit Knüppeln, Pfefferspray und Hunden bekämpft werden.
Das kann nicht Recht sein!
72 Jahre ist es nun her, dass ich nach 12 Jahren der Verfolgung meiner Familie während der Nazizeit in Theresienstadt befreit wurde. Befreit von Todesangst, von Ausgrenzung und Entrechtung, befreit von Fachismus und Krieg. Ich kann die Angst und Verzweiflung der Menschen, die ins sichere Elend transportiert werden sollen, nachempfinden. Meine beiden Geschwister und ich gehörten zu den wenigen aus München deportierten Kinder, die wieder zurück gekehrt sind.
Deshalb bin ich überzeugt, dass wir in unserem Land ein waches, gegenüber Unrecht empfindliches Gespür und Bewusstsein brauchen, um als Demokratie zu bestehen.
Denn damals gab es Solidarität nur als Ausnahme. Wie haben wir uns Menschen gewünscht, die überall im Land wahrnehmen, was los ist, die uns rechtzeitig geschützt hätten. Vergeblich.
Gerade müssen wir erleben, wie durch Maßnahmen unseres Staates Menschen in die Verzweiflung getrieben werden.
Der durch unsere Verfassung garantierte Schutz wird zunehmend aufgekündigt.
Existenzmöglichkeiten, der Aufbau von Perspektiven durch Ausbildung und Arbeit, wie sie im Bundesintegrationsgesetz festgelegt sind, werden immer zahlreicher gerade in Bayern verweigert.
Asyl und Schutz sind weder ein Gnadenakt noch ein Deal. Sie sind eines der zentralen Rechte unserer Verfassungen.
Aus der Geschichte lernen heißt doch auch für Menschen, die vor Krieg, Terror und Not fliehen, einzutreten und ihnen Schutz zu geben.
Aus all diesen Gründen, die ich versucht habe Ihnen darzulegen, bitte ich Sie eindringlich sich dafür einzusetzen, dass Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden.
Ihr Ernst Grube
Präsident der Lagergemeinschaft Dachau e.V.