aus der DDS Oktober 2023
Crashkurs zur Erzieher*in führt zur De-Professionalisierung
Das bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales versucht seit Kurzem, dem eklatanten Fachkräftemangel in den bayerischen Kitas mit einem neuen Ausbildungsmodell entgegenzuwirken. Grundsätzlich sind hinsichtlich des Fachkräftemangels kreative Ideen zu begrüßen, aber hier geht die Kreativität zulasten der Fachlichkeit.
Das neu aufgelegte (Selbstzahler*innen-)Ausbildungsmodell bei Weiterbildungsträgern bietet in drei Blöcken zu ein bis zwei Modulen den Aufstieg von der Assistenz- über die Ergänzungskraft zur sogenannten pädagogischen Fachkraft. Bereits nach dem zweiten Block kann optional auf eine Ausbildung zur Kinderpfleger*in bzw. Erzieher*in an Fachakademien gewechselt werden. Der dritte Block schließt mit dem Erreichen der pädagogischen Fachkraft ab. An dieser Stelle stellt sich auch die Frage: Warum werden Erzieher*innen nach einer drei- bis fünfjährigen Ausbildung an einer Fachakademie für Sozialpädagogik nicht ebenfalls als pädagogische Fachkräfte bezeichnet? Ein*e Erzieher*in ist zumindest angesichts der Ausbildung ebenso eine pädagogische Fachkraft. Es wird also eine Gleichwertigkeit suggeriert, die es so nicht gibt.
Nach Beendigung des dritten Blocks der neuen Schmalspurausbildung können die daran Teilnehmenden bereits in Stellvertretung eine Einrichtung leiten. Bis vor Kurzem war die Voraussetzung dafür noch die staatliche Anerkennung zur Erzieher*in. Teilweise liegen diese Funktionen aber auch in den Händen von Absolvent*innen eines Studiums der sozialen Arbeit. Galt bisher nicht die Idee, das Berufsbild der Erzieher*innen zukünftig zu akademisieren?
Crashkurs versus fundierte Ausbildung
Die reguläre Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieher*in umfasste bisher eine drei- bis fünfjährige, gegliederte Ausbildung in Voll- bzw. Teilzeit sowie eine praxisintegrierte Ausbildungsvariante mit einem Wechsel von Unterricht und Arbeit an einer Praxisstelle aus den Bereichen Kinderkrippe, Kindergarten und Hort oder Tagesheim. Egal in welcher Ausbildungsrichtung sich die Studierenden befinden, sie erfahren ein hohes Maß an fundierter fachlicher Ausbildung in Theorie und Praxis. Demgegenüber steht jetzt das neue Ausbildungsmodell des Staatsministeriums zur pädagogischen Fachkraft als Crashkurs mit folgenden drei Blöcken:
- Block A (Einstieg als Assistenzkraft): Modul 1 mit 160 Unterrichtseinheiten (UE)
+ Modul 2 mit 40 UE - Block B (Aufstieg zur Ergänzungskraft): Modul 3 mit 120 UE + Modul 4 mit 80 UE
- Block C (Aufstieg zur pädagogischen Fachkraft): Modul 5 mit 300 UE
Jede UE umfasst 45 Minuten. Ein Teil davon kann laut Ausschreibung auch online absolviert werden. Somit müssen in den drei Blöcken insgesamt 700 UE (zu je 45 Minuten) abgeleistet werden. Im Gegensatz dazu sind es in der gegliederten Ausbildung im ersten und zweiten Studienjahr 2.880 Gesamtjahresstunden. Eine UE umfasst je nach Fach 45 bis 60 Minuten. Der neue Crashkurs dauert also weniger als ein Viertel der Unterrichtseinheiten an den Fachakademien.
Nimmt man den zeitlichen Umfang der zwei theoretischen Studienjahre der Regelausbildung zum Vergleich, würden die gesamten drei Blöcke des Crashkurses rein rechnerisch etwa ein halbes Studienjahr dauern. Nicht vergessen werden darf, dass zu den beiden Studienjahren der theoretischen Ausbildung bisher noch ein einjähriges Berufspraktikum hinzugezählt werden muss und einige Bewerber*innen vor der gegliederten Ausbildung noch ein einjähriges soziales Einführungsjahr leisten müssen.
Rein rechnerisch entsprächen die 700 UE zur pädagogischen Fachkraft im Crashkurs 525 Zeitstunden. Verteilen wir diese 525 Stunden auf (gnädige) sechs Stunden pro Tag, sind lediglich 87,5 Tage zu leisten. Auf eine Fünftagewoche verteilt, wären die drei Blöcke nach 17,5 Wochen absolviert. Nach etwa vier Monaten wäre man also eine pädagogische Fachkraft. Außer Acht gelassen ist in diesem Rechenbeispiel, dass die Studierenden der Fachakademien oft mehr als sechs Zeitstunden im Unterricht sind und Wahl- oder sonstige Ergänzungsfächer teilweise in Blöcken an Samstagen ableisten.
Verständlicherweise stellen einige Studierende an den Fachakademien vermehrt die berechtigte Frage, warum sie sich noch in eine derart lange Ausbildung an den Fachakademien begeben sollen, die zur staatlichen Anerkennung als Erzieher*in führt; eine Berufsbezeichnung, die einer pädagogischen Fachkraft ohne die entsprechende Ausbildung versagt bleibt. Dieser Gedanke führt zu einer weiteren zentralen Frage: Reicht eine viermonatige Ausbildung aus, um im gleichen Berufsfeld wie Erzieher*innen mit eventuellen Leitungsfunktionen pädagogisch fundiert arbeiten zu können? Haben hier nicht allein vom zeitlichen Umfang der Ausbildung her staatlich anerkannte Erzieher*innen mehr Erfahrung und pädagogisches Wissen? Letztendlich arbeiten sowohl die Assistenz-, Ergänzungs- sowie Fachkräfte als auch die staatlich anerkannten Erzieher*innen mit derselben Zielgruppe, nämlich mit (sehr) jungen Menschen in ihrer wichtigsten Entwicklungsphase.
Wege mit pädagogischer Zielsetzung
Sicherlich befinden sich auch unter den Auszubildenden in den Crashkursen sehr engagierte sowie kompetente Menschen, die sehr gut mit Kindern arbeiten können. Es wäre von daher sehr wichtig, diese informelle und non-formale Vorbildung systematisch zu bewerten und Anerkennungsverfahren dafür zu erarbeiten. In diese Richtung wird aber nicht gedacht – leider. Außerdem sollte darüber nachgedacht werden, wie mit Menschen umzugehen ist, die für die Arbeit in der frühkindlichen Bildung nicht geeignet sind. Diese Frage stellt sich auch während der Ausbildung an Fachakademien. Fachakademien stehen aber nicht unter ökonomischem Druck, wie er auf Weiterbildungsträgern liegt – gerade dann, wenn diese auch noch selbst Kitas betreiben. Das ist nahe an der Idee, die damals aufkam, als Schlecker Pleite machte. Wie die GEW aus Weiterbildungskreisen hört, soll zwar ausdrücklich eine Auswahl während der Ausbildung nach Eignung stattfinden, doch in der Praxis verlangt der strukturelle Druck nach einer möglichst hohen Absolvent*innenquote.
Pädagogisches Fachpersonal entlasten
Aufgrund der aktuellen personellen Notsituation muss leider konstatiert werden, dass fast alle Kitas personell auf Kante genäht arbeiten und jeder personelle Ausfall durch Krankheit, Urlaub oder auch notwendige Fortbildung das verbliebene Personal vor kaum zu bewältigende alltägliche Herausforderungen in der Arbeit mit Kindern stellt. Die meisten sind also sicherlich froh, überhaupt eine unterstützende Assistenz zu haben. Es wäre an sich eine hervorragende Idee, mehr Assistenzen für hauswirtschaftliche Aufgaben in die Einrichtungen zu bringen. Auch Kitaleitungen von einfachen Verwaltungsaufgaben zu entlasten, würde Sinn machen. Die neuen Assistenzkräfte als pädagogische Assistenzen zu konzipieren, führt aber zu einer De-Professionalisierung des Berufsbildes.
Bei allem Verständnis für Versuche, die personellen Engpässe in den Kitas zu beheben, die fachlich fundierte Ausbildung, wie sie die Fachakademien für Sozialpädagogik bieten, darf durch Crashkurse nicht aufgegeben und die fachliche Qualität der ausgebildeten Erzieher*innen nicht dem politischen Kalkül preisgegeben werden. Dies würde die Mühen und das Engagement aller Studierenden an den Fachakademien abwerten.
Doch den Beschäftigten in der pädagogischen Arbeit mit Kindern scheint eine Lobby zu fehlen, auf die andere Berufsgruppen wie beispielsweise Ärzt*innen oder Jurist*innen bauen können – oder kann man inzwischen nach einem mehrwöchigen Aufbaukurs Ärzt*in oder Jurist*in werden? Dass sich Kinderpfleger*innen mit Berufserfahrung leichter zu Fachkräften fortbilden können, ist sicherlich eine gute Idee. Doch für die Abwägung der einzelnen Fälle fehlt vor allem eines: ein gutes Konzept.
von Armin Anstett
Lehrer an der städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik