Josef Hofbauer (1886 – 1948) und Robert Danneberg (1885 – 1942): im Roten Wien der 1920er-Jahre
Ist Wohnen ein Grundrecht, das mit staatlichen und kommunalen Mitteln geschützt und durchgesetzt werden soll? Darf Wohnen damit nicht der freien Marktregulierung überlassen werden? In letzter Zeit häufen sich angesichts steigender Mietpreise wieder solche Forderungen. Immer mehr Menschen können sich in den Hauptstädten keine Wohnungen mehr leisten. Zwei Broschüren über das gleiche Thema aus den 1920er-Jahren berichten über das Rote Wien, einer Stadt, die einen anderen Weg gegangen ist.
Der Journalist und Autor Josef Hofbauer (1886 – 1948)
Der in Wien geborene Josef Hofbauer engagierte sich schon früh in der sozialistischen Arbeiterjugend. Als Journalist schrieb er zuerst für die Zeitschrift „Freiheit“. Nach dem Anschluss der deutschsprachigen Gebiete Böhmens infolge des Münchner Abkommens vom Herbst 1938 emigrierte Hofbauer nach Schweden. Dort arbeitete er an mehreren Exilzeitschriften mit. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück, starb aber noch im selben Jahr. Bekannt ist Hofbauer vor allem für seinen Kriegsroman „Der Marsch ins Chaos“ (1930), der auf seinen eigenen Kriegserlebnissen beruht. Ähnlich wie in Remarques Klassiker „Im Westen nichts Neues“ beeindruckt Hofbauers realistische Darstellung des Krieges an der österreichisch-italienischen Front. Er wirkte mit seinem Roman gegen zeitgenössische Tendenzen der Mythisierung von Fronterlebnissen im Ersten Weltkrieg, landete damit aber auch auf den nationalsozialistischen Listen der zu verbrennenden Bücher.
Aus der Münchner Freiheitsbibliothek:
Josef Hofbauer: Im roten Wien (1926)
Die Broschüre „Im roten Wien“ berichtet von einer Studienreise Hofbauers Ende April/Anfang Mai 1926. Einundachtzig sudetendeutsche Arbeiter*innen aus der Tschechoslowakei (aus allen deutschen Gebieten Böhmens, Mährens und Schlesiens) weilten acht Tage lang als Gäste der sozialdemokratischen Partei in Wien. Sie wollten die Errungenschaften der sozialdemokratischen Regierung kennenlernen – weltweit war sie die einzige sozialdemokratische Regierung in einer Großstadt. Der mitreisende Schriftsteller und Redakteur der Zeitschrift „Sozialdemokrat“ Josef Hofbauer (1886 – 1948) verfasste darüber einen knapp achtzigseitigen Bericht, der 1926 in Prag verlegt wurde.
Die Broschüre beginnt mit einer Art Vorwort zu Delegationen der Arbeiter*innen: Schon viele Kommunalpolitiker*innen aus verschiedenen Ländern hätten Wien besucht, aber jetzt kommt zum ersten Mal eine Abordnung von Arbeiter*innen. Hofbauer äußert sich sehr kritisch darüber, dass in der bürgerlichen, aber auch in der kommunistischen Presse sowohl die kommunalen Erfolge in Wien als auch die Reise der Delegation lächerlich gemacht werden. Hofbauer ist insbesondere zornig über die kommunistische Häme in der einschlägigen Presse. Dieser stellt er die Einigkeit der Sozialdemokrat*innen in Wien gegenüber und hebt das gerade deshalb so erfolgreiche Agieren hervor. Er spricht auch davon, dass im übrigen Österreich die national-konservativen Kräfte die Mehrheit haben und regieren und trotzdem für alles Schlechte im Land die Sozialdemokratie verantwortlich gemacht werde. So seien Artikel über die Arbeitslosigkeit in Österreich mit Überschriften wie „Aus dem Lande des Austromarximus“ oder „Aus dem Paradies Otto Bauers und Karl Renners“ (zwei führende Sozialdemokraten) betitelt.
Doch warum besucht die Delegation der Arbeiter*innen aus dem Sudetenland die Stadt Wien? Hofbauer schreibt, dass in Russland zwar Besuche von Delegationen von Arbeiter*innen auch möglich seien, aber die Verständigung mit russischen Arbeiter*innen über staatlich gestellte Dolmetscher*innen laufe, sodass eine direkte und unzensierte Unterhaltung nicht möglich sei. Auch müssten alle Reisenden ein staatlich verordnetes Programm durchlaufen und kritische Haltungen gegenüber dem Staatsbolschewismus seien nicht erwünscht.
Doch zurück zu seiner Kritik an der Presse: Hofbauer kritisiert, dass sie die sozialdemokratischen Erfolge in Wien nicht erwähnen. Als Beispiele führt er den Bau von über 30.000 Wohnungen, den Bau von Kindergärten, den Aufbau eines modernen Fürsorgewesens oder aber die durchgeführte Wiener Schulreform nach Otto Glöckel an. Dieser setzte die Trennung von Kirche und Schule durch. So wurden der Zwang zur Teilnahme am Religionsunterricht sowie das Schulgebet abgeschafft. Zudem strebte er eine demokratische Gesamtschule an.
Das Besuchsprogramm der Delegation der Arbeiter*innen in Wien
Die Delegation der Arbeiter*innen wird in Wien begeistert empfangen. In seiner Begrüßungsrede betont Bürgermeister Seitz die demokratische Vorgehensweise bei den Wiener Reformen. Nicht ein auserlesener revolutionärer Führungszirkel, sondern die Masse der Arbeiter*innen habe zusammengeholfen und an der Verbesserung der Zustände gearbeitet. „Denn es geht ja doch nicht nur darum, allen Menschen zu essen zu geben und allen Obdach zu schaffen, sondern darum, sie zu wirklich freien, zu freischaffenden Menschen zu machen.“ (S. 9) Die Einigkeit der Arbeiter*innen Wiens und das demokratische Zusammenwirken aller bewirkten die großen sozialdemokratischen Errungenschaften. Nach der überaus freundlichen Begrüßung der Gäste absolvieren diese ein sehr dichtes Programm, das sich nach dem Besuch des Rathauses und des Parlaments den Errungenschaften der sozialdemokratischen Regierung widmet: Viele gemeindliche Wohnhausbauten, die Konsumgenossenschaft, Kindergärten, Schulen, Ausbildungsanstalten, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen, wie z. B. öffentliche Bäder, besuchen sie. Die Arbeiter*innen werden dabei auch über Details der sozialdemokratischen Reformpolitik informiert.
In den Vorträgen geht es um die Finanz- und Steuerpolitik ebenso wie um die Wohnungs- und Fürsorgepolitik und deren Finanzierung sowie schließlich auch um die Schulreform. Am Ende der Reise, nach einer für die Teilnehmer*innen beeindruckenden Feier des 1. Mai, bilanzieren sie, dass aus dieser Reise auch ein Auftrag erwächst. In der eigenen Heimat wolle man für Einigkeit unter den Arbeiter*innen sorgen und für die Errungenschaften, die in Wien Wirklichkeit wurden, kämpfen.
Josef Hofbauer: Im roten Wien. Prag: Verlag der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakischen Republik, 1926 – Ausschnitt aus dem Originaltext
Robert Danneberg (1885 – 1942): Der Planer des Roten Wien
Die Betrachtung der praktischen Umsetzung sozialdemokratischer Politik in der Broschüre Hofbauers ist bei Robert Danneberg in der Broschüre „Zehn Jahre neues Wien“ (1929) theoretisch dargelegt. Danneberg war der Präsident des Wiener Landtags und einer der wichtigsten sozialdemokratischen Reformer des Roten Wiens. 1885 in Wien geboren absolvierte er nach seiner Matura ein Jurastudium. Schon früh engagierte er sich in der sozialdemokratischen Partei, hielt Vorträge und arbeitete journalistisch bei vielen Parteiveröffentlichungen mit. Nach dem Ersten Weltkrieg begann mit seiner Entsendung in den Provisorischen Gemeinderat der Stadt Wien im November 1918 seine politische Arbeit im Roten Wien. Er bekleidete zahlreiche Gemeindeämter und wurde schließlich auch Landtagspräsident. Als brillanter Verfassungs- und Verwaltungsexperte ist sein Beitrag zur Reform des Wiener Magistrats zu einer modernen und sozialen Kommune nicht zu unterschätzen. Er gestaltete die rechtlichen Grundlagen für die Wohnungsbaupolitik Wiens und beriet als Experte die Gestalter*innen der sozialdemokratischen Mietrechtspolitik und die Verantwortlichen der Wohnbausteuer. Die Errungenschaften des Roten Wiens veröffentlichte er in zahlreichen Broschüren, die teilweise in hohen Auflagen erschienen und in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurden. Als einer der führenden sozialdemokratischen Funktionär*innen wurde Danneberg schon 1934 unter dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime verhaftet, später unter Auflagen aber wieder freigelassen. 1938 erneut verhaftet, deportierte man ihn zunächst in das Konzentrationslager Dachau, dann nach Buchenwald und schließlich nach Auschwitz. Dort wurde Robert Danneberg 1942 ermordet. Das genaue Todesdatum ist unbekannt.
Aus der Münchner Freiheitsbibliothek:
Robert Danneberg: Zehn Jahre neues Wien (1929)
Sachlich und unprätentiös beschreibt Danneberg in der Broschüre „Zehn Jahre neues Wien“ die Verfassung, die Finanzpolitik, das Wesen der kommunalen Verwaltung und deren Beschäftigten, das Fürsorgewesen, das Schul- und Bildungswesen, das Wohnungswesen, technische und Wirtschaftsangelegenheiten sowie schließlich die städtischen Betriebe. Die Lesenden erhalten so ein umfassendes Bild der sozialdemokratischen Errungenschaften in der Stadt Wien, die nicht nur beeindrucken, sondern angesichts heutiger Notlagen in den Kommunen auch gerne zur Nachahmung empfohlen werden mögen, ganz nach den die Broschüre beschließenden Worten Dannebergs: „Der Kapitalismus kann nicht von den Rathäusern aus beseitigt werden. Aber große Städte vermögen schon in der kapitalistischen Gesellschaft ein tüchtiges Stück sozialistischer Arbeit zu leisten. Eine sozialdemokratische Gemeinderatsmehrheit kann auch im kapitalistischen Staat zeigen, welche schöpferische Kraft dem Sozialismus innewohnt.“ (S. 66) Zugänglich sind viele dieser Broschüren über die Digitale Wienbibliothek vom Wiener Rathaus (www.digital.wienbibliothek.at).
Robert Danneberg: Zehn Jahre neues Wien. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1929. „Die Wohnbausteuer“ S. 20-23 – Ausschnitt aus dem Originaltext
Literatur:
Eine Biografie über Josef Hofbauer steht noch aus. Ein kurzer Artikel von Ernst Fischer zu ihm findet sich in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Berlin: De Gruyter Verlag, 20092, Bd. 5, S. 510
Roland Pacher: Robert Danneberg. Eine politische Biografie. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag, 2014