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Der Mykologe Julius Schäffer (1882 – 1944): Ein Biologielehrer im Visier des Nationalsozialismus

Julius Schäffer war als Heranwachsender ein hochbegabter Schüler. Die Empfehlung lautete, er müsse nach dem Abitur in Weilheim Obb. im Jahr 1900 unbedingt studieren. Also ging er nach Tübingen und schloss dort ein Theologiestudium ab. Die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts faszinierte ihn dann allerdings doch mehr als die Glaubenslehre, weswegen er 1910 das Staatsexamen ablegte und ein Referendariat in Berlin absolvierte. Ab 1912 unterrichtete er am Realgymnasium in Potsdam Chemie, Biologie und Mathematik. Reformpädagogisch geprägt zog er auch seinen Unterricht entsprechend auf: Dieser fand zu großen Teilen in Form von Studienfahrten und im Rahmen der gerade in Mode kommenden Wandertage statt. Freund*innen und Wegbegleiter*innen beschreiben Schäffer als einen begeisterten und begeisternden Pädagogen, der es verstand, Interessierte in Gruppen durch die Natur zu führen und gemeinsam deren Geheimnisse zu erkunden.

Schäffer wird zum anerkannten Mykologen

Seit den zwanziger Jahren tritt sein Schwerpunktinteresse, das Pilzstudium, immer weiter in den Vordergrund: Schäffer sammelte, kategorisierte, beschrieb. Mit riesigem Aufwand und Einsatz stellte er sich der Aufgabe, die leider ebenso zahlreichen wie dadurch auch gefährlichen Fehler im damals gängigen „Führer für Pilzfreunde“ von Edmund Michaels für eine Neuauflage zu korrigieren. Von seiner Frau Liesl lernte er das Zeichnen und Anfertigen wissenschaftlicher Darstellungen und Skizzen der Pilze. Seine Expertisen müssen nahezu mitreißend gewesen sein, wenn man dem Bericht seines Freundes Seehuber glauben darf, der ihm einmal eine Tüte eigenen Sammelguts vorbeibrachte:

„Er entnahm ein Stück nach dem anderen mit den Worten: „integra, densifolia, grisea, azurea, rosea, badia“ usw. Dann kam die Begründung der Diagnose. Wo die Augen das charakteristische Merkmal nicht erfassten, mußten die anderen Sinne herhalten: Geschmack (z. B. „erst nach einiger Zeit scharf brennend“), Gehör (z. B. „knackendes Geräusch beim Abbrechen“), Gefühl (z. B. „schmierig beim Zerreiben der Blätter“). Mit Zunge, Nase, Ohr und Finger wurde da in atemberaubendem Tempo die Diagnose noch bestätigt.“

Seine Forschungen im Wald, am Mikroskop und anhand von Büchern, seine zeichnerischen Darstellungen, seine vielfältigen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und seine Arbeiten auf dem Gebiet der Systematik brachten Schäffer in der Pilzforschungsszene erhebliche Anerkennung ein, die zum Teil in tiefe Freundschaften voller Bewunderung und Verehrung überging. Über den Menschen Julius Schäffer schreibt Arno John in seinen „Reminiszenzen eines Pilzfreundes an Julius Schäffer“ nach dessen Tod:

Er war nicht nur verständnisvoller Lehrer und Erzieher in seinem Beruf, sondern weit darüber hinaus bei allen Pilzfreunden, mit denen er in Kontakt kam. In seiner gütigen, stets gern helfenden und dabei mitfühlenden Art war er Mensch und Humanist im besten Sinn des Wortes.“

Am Abend des 21. Oktober 1944 stirbt Julius Schäffer, nachdem er aufgrund des Kriegsgeschehens viel zu spät das Krankenhaus erreicht hatte. Er starb an einer selbst gesammelten und von seiner Frau Liesl zubereiteten Pilzmahlzeit. Der akribische Systematiker machte nach Hunderttausenden präziser Bestimmungen den einen wahrlich fatalen Fehler.

Schäffer schreibt gegen den „Rasse-Günther“

Diese tragische und auch kuriose Lebensgeschichte des Julius Schäffer lässt bislang die Frage offen, warum er in der Reihe verbrannter Wissenschaft auftaucht. Wie kann ein Mykologe dem Nationalsozialismus als Widersacher aufgefallen sein?

Die Antwort liegt im Jahr 1925, als Julius Schäffer in der Zeitschrift „Der Morgen“ einen Aufsatz veröffentlicht. Er untertitelt ihn mit „Eine Abrechnung mit H. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes“. Günther hatte im Jahr zuvor gleichnamiges Buch veröffentlicht und sich damit den Grundstein für seine spätere Karriere als prominenter NS-Rassenideologe gelegt. Nach 1945 wurde er dafür lediglich als Mitläufer eingestuft. Seine Thesen konnte er auch nach dem Krieg weiterhin munter veröffentlichen.

Ihm soll hier nicht allzu viel Raum gegeben werden, jedoch: Der „nordische Gedanke“, die angeblich sittlich-charakterliche Überlegenheit der „nordischen Rasse“ und die laut Günther dringend notwendige „Aufnordung“ des deutschen Volkes – das alles erscheint dem Empiriker, Menschenfreund, Pädagogen und Humanisten Schäffer als ein großer, himmelschreiender Unfug, der ihm eine dreißigseitige Tirade an Falsifizierungen der gesamten politischen Rassenlehre wert ist. Dabei lehnt er die Einteilung der Menschen in Rassen an sich nicht ab und verwendet auch deren Kategorisierungsmaßstäbe, die sich beispielsweise auf die Kopfform beziehen. Er lehnt aber ab, dass diese „Rassen“ voneinander trennbar seien, da sie schon längst untrennbar miteinander verwoben seien. „D[d]en Antisemiten [bleibe] nichts anderes übrig, als entweder ihre Vorwürfe gegen die Juden fallen zu lassen oder sie auf das deutsche Volk auszudehnen: Eine Entscheidung, auf die man gespannt sein dürfte.“

Ein Ausweg aus der „Rassenkunde“

Schäffers Name und sein Aufsatz landen 1933 auf der Schwarzen Liste. Schlimmer noch: Als Lehrer wird er verpflichtet, eben jene Rassenkunde an seiner Schule selbst zu unterrichten. Aufgrund dieses Umstandes wird Schäffer ab 1938 ernstlich krank, wie seine Frau Liesl berichtet:

Dann kam die Hitlerzeit. Ich besinne mich deutlich darauf, daß eine Austauschschülerin aus Norwegen in einem Brief an ihre Eltern schrieb: ‚Alle Leute grüßen sich hier mit ‚Heil Hitler‘, nur Herr Schäffer grüßt immer ‚Guten Tag!‘‘ – Ja, Julius Schäffer war auch der Einzige im Kollegium, der nicht das Hakenkreuz im Knopfloch trug. Unter dem Hitlerzwang litt er sehr, und als ihm gar noch 24 Rassenkunde-Stunden in den oberen Klassen aufgebürdet wurden, war es um seine Gesundheit geschehen. Er litt so sehr unter diesem Zwang, daß er 1938 krank und bettlägerig wurde. Ich sagte ihm, daß nur eines helfen könne: Weg von diesem Zwang, weg von der Schule, Pensionierung. Dann alleine höre der seelische Druck auf. Der Arzt sah das ein, gab mir aber zu bedenken, dass er ja noch gar nicht das Pensionsalter erreicht habe und unsere Pension entsprechend klein sein würde. Ich antwortete: Dann schränken wir uns eben entsprechend ein, aber mein Mann wird bestimmt gesund, wenn er nicht mehr die Rassenlehre unterrichten muss.

Das Ehepaar zieht nach Dießen an den Ammersee in ein kleines Häuschen. Auf der ersten Fahrt in das von Liesl ausgesuchte Haus kann sich Schäffer vor Begeisterung kaum halten: „Mischwald! Überall Mischwald!“

Julius Schäffer wird wieder gesund. Er forscht weiter an Pilzen, bietet Waldführungen an, hält Vorträge, knüpft überregionale Kontakte zu anderen Pilzforscher*innen.  Sein Haus nennen die Dießener bald das „Schwammerl-Haus“.

Bildrechte: Liesl Schäffer: Julius Schäffer als Mensch, als Freund der Jugend, als Pädagoge, als Pilzforscher. In: Zeitschrift für Pilzkunde, Heft 3/4, 1967, S. 53

Aus der Münchner Freiheitsbibliothek:

Julius Schäffer: Die Zerstörung des Volksgedankens durch den Rassenwahn (1925)

Julius Schäffers Beitrag in der Zeitschrift „Der Morgen“ verneint die Kernanliegen der politischen Rassenlehre, zeigt deren innere Widersprüche auf und widerlegt deren scheinbare Plausibilität teilweise empirisch, teilweise polemisch. Am Schluss seines Aufsatzes erklärt er:

„Das also ist das Evangelium der Rasse. Ist es nicht eher eine Apokalypse? Aufbau durch Zerstörung, Wiedergeburt durch Untergang! Und ewige Wiederkunft dessen, was am Anfang aller Dinge war, zur Zeit der nordischen Renntiernomaden (sic!), in deren unvorstellbar riesigen Hirnen ein Dutzend Kultursprachen schlummerten. – Welch ein Irrglaube! Welch ein undeutscher nationaler Unglaube!

Es bleibt mir zum Schluß nichts zu tun, als ihm mein eigenes nationales Glaubensbekenntnis entgegenzustellen:

Ich glaube nicht, dass unsere Größe in der Vergangenheit liegt, sondern vor uns, in der Zukunft, auch als Rasse! Ich bekenne mich zu dem Geschlecht, das aus dem Dunklen ins Helle strebt.

Ich glaube nicht an das Blut, an den Fatalismus der vererbten Materie, sondern an die sieghafte Macht des Geistes, so auch des Geistes der deutschen Kultur, der allen deutschen Rassen, auch den deutschen Juden, das Siegel des Deutschtums aufzudrücken imstande ist.

Ich glaube nicht an die Rasse, weil es Glauben an den Durchschnitt ist, ich glaube vielmehr an den über die Rasse hinausragenden Einzelnen. […]

Endlich: ich glaube nicht an Rasse und Nation als an das Letzte und Höchste, sondern ich suche den nationalen Gedanken des Deutschtums mit den großen Meistern des deutschen Idealismus darin, die Völker über die Enge ihrer nationalen Horizonte hinauszuweisen in die Höhen des ewig Menschlichen, das zugleich das ewig Göttliche ist.

Textauszug aus Julius Schäffer: Die Zerstörung des Volksgedankens durch den Rassenwahn. Eine Abrechnung mit H. Günther, Rassenkunde des deutschen Volkes. In: Dr. Julius Goldstein (Hrsg.): Der Morgen, 1. Jahrgang, Heft 3, Darmstadt 1925 - Ausschnitt aus dem Originaltext.

 

Literatur:

Liesl Schäffer: Julius Schäffer als Mensch, als Freund der Jugend, als Pädagoge, als Pilzforscher. In: Zeitschrift für Pilzkunde, Heft 3/4, 1967, S. 49 ff.

Auszüge aus der Zeitschrift für Pilzkunde finden sich hier: Deutsche Gesellschaft für Mykologie e. V. (www.dgfm-ev.de)