Das Problem
»Chemie-Unfall bei Projektwoche
Den Eltern sollten die Ergebnisse einer Projektwoche vorgeführt werden. Bei dem Versuch gab es dann aus ungeklärter Ursache eine Stichflamme. Die Schüler im Alter zwischen elf und 17 Jahren erlitten leichte bis schwere Brandverletzungen an Armen, Händen und im Gesicht. Sie mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das Experiment war im Chemieunterricht die ganze Woche über geübt und mehrfach unfallfrei durchgeführt worden.«
»Während Schulpause – Elfjähriger von Softgun verletzt
Am Mittwoch ist ein elf Jahre alter Schüler von einer Softgun verletzt worden. Zu dem Vorfall kam es während der Schulpause. Ein 13 Jahre alter Bub und ein zwölfjähriges Mädchen hantierten laut Polizei während einer Pause im Treppenhaus einer Mittelschule mit zwei Softguns herum. Plötzlich richtete der 13-Jährige die Waffe auf einen elf Jahre alten Mitschüler und feuerte einen Schuss ab. Der elf Jahre alte Schüler wurde von einer Plastikkugel am Oberarm getroffen. Er überstand den Vorfall leicht verletzt. Der Schulleiter informierte daraufhin die Polizei. Die beiden Softguns mit Laserzieleinrichtung und die dazugehörende Munition wurden von der Polizei beschlagnahmt.«
»Solche Meldungen sind der Albtraum vieler Lehrkräfte. Wie muss ich mich verhalten, wenn ich Aufsicht habe?«
Die Rechtslage im Überblick
Lehrer:innen sind verpflichtet, bei der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht mitzuwirken1: »Die Aufsichtspflicht der Schule erstreckt sich auf die Zeit, in der die Schüler am Unterricht oder an sonstigen Schulveranstaltungen teilnehmen, einschließlich einer angemessenen Zeit vor Beginn und nach Beendigung des Unterrichts oder der Schulveranstaltungen. Als angemessene Zeit nach Beendigung des Unterrichts gilt die Zeit bis zum Weggang der Schüler:innen aus der Schulanlage. Auch in Freistunden sind die Schüler:innen zu beaufsichtigen. Während sonstiger Zeiten, in denen sich die Schüler:innen im Schulgelände aufhalten, hat die Schule für eine angemessene Beaufsichtigung zu sorgen, soweit nicht anderweitige gesetzliche Aufsichtspflichten bestehen. Der Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich nach der geistigen und charakterlichen Reife der zu beaufsichtigenden Schüler:innen.«1,2,3,4,5
Eine Befreiung der Schule von der Aufsichtspflicht durch schriftliche Erklärungen der Erziehungsberichtigten ist nicht möglich.
An Gymnasien und Realschulen kann Schüler:innen ab Jahrgangsstufe 10 gestattet werden, während der Freistunde die Schulanlage zu verlassen.
Verschiedene KMS konkretisieren dies u. a. für Grund- und Mittelschulen.
Aufsichtspflicht
- 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn
- eine »angemessene Zeit« nach dem Unterricht
- auf Unterrichtswegen in Begleitung einer Lehrkraft außerhalb der Schulanlage
Keine Aufsichtpflicht
- während der Beförderung zur Schule
- während der Wartezeiten
Vor Unterrichtsbeginn
- 15 Minuten, auch vor dem Nachmittagsunterricht
- In den Jahrgangstufen 1 bis 4 durch Anwesenheit im Unterrichtsraum
- Ab Jahrgangstufe 5 richten sich »Umfang und Intensität der Aufsicht nach dem Alter, der geistigen und körperlichen Reife der Schüler:innen, dem Erziehungsstand der jeweiligen Klasse und den räumlichen Verhältnissen«. Über die Organisation der Aufsicht hat die Schulleitung eine schriftliche Regelung zu treffen. Die Lehrer:innenkonferenz hat hier nur beratende Funktion, sie kann hierzu keine bindenden Beschlüsse fassen.
Nach dem Unterricht
- Alle Schüler:innen sind eine »angemessene Zeit« zu beaufsichtigen, d. h. so lange, wie »die Schüler:innen ohne Eile, aber auch ohne Trödelei zum Verlassen der Schulanlage benötigen«.
- Fahrschüler:innen sind ggf. bis zum Beginn der Aufsichtspflicht durch die Gemeinde oder den Schulverband zu beaufsichtigen.
- Es ist »nicht Aufgabe der ... Lehrkräfte, die Schüler:innen während der Busfahrt zu beaufsichtigen, auch nicht während der Wartezeiten.«6
Aufsichtspflicht der Schule besteht für Unterrichtswege
Das sind Wege, welche Schüler:innen in Begleitung einer Lehrkraft zu einer Unterrichtsstunde oder sonstigen schulischen Veranstaltungen außerhalb der Schulanlage zurückzulegen haben.
Kind- und familiengerechte Halbtagesgrundschule7
Das Konzept der kind- und familiengerechten Halbtagesgrundschule verpflichtet alle Grundschulen, bei entsprechendem Bedarf die Sicherstellung einer verlässlichen Betreuung von 7.30 Uhr bis 13.00 Uhr zu gewährleisten und bei der Planung und Betreuung selbst aktiv zu werden. Die Betreuung vor Unterrichtsbeginn geschieht durch Lehrkräfte der Schule ohne Anrechnung auf die Dienstzeit.
Die Beaufsichtigung von Schüler:innen in der Mittagspause (betrifft Grund-, Mittel- und Förderschulen)
Schüler:innen, die vom Schulaufwandsträger nicht befördert werden müssen (also keine Fahrschüler:innen sind), und Fahrschüler:innen, deren Mittagspause zum Heimfahren zu kurz ist (in der Regel weniger als 90 Minuten), müssen von der Schule beaufsichtigt werden. Es gibt jedoch keine Vorschrift, die es der Schule oder Gemeinde erlaubt, Schüler:innen während der Mittagspause auf dem Schulgelände festzuhalten. Die Aufsicht der Schule beschränkt sich auf Schüler:innen, die sich auf dem Schulgelände aufhalten. Die Schule kann 16-jährigen Schüler:innen auch ohne entsprechende Erlaubnis der Erziehungsberechtigten erlauben, das Schulgelände zu verlassen. Mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten ist dies auch für Schüler:innen unter 16 Jahren möglich.
Folgende Personengruppen können zur Aufsicht herangezogen werden6
- Lehrer:innen, auch teilzeitbeschäftigte
- Personal für heilpädagogische Unterrichtshilfe (HPU)
- Heilpädagog:innen im Förderschuldienst (HPF)
- Förderlehrer:innen
- Hausmeister:innen in Einzelfällen, jedoch nicht regelmäßig
Lehrer:innen müssen den Dienst zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit leisten. Er wird nicht auf die Unterrichtspflichtzeit angerechnet, sondern »gehört zur Gesamtarbeitszeit eines Lehrers«.
Aufsichtspflicht der Schule nur bei kurzen Mittagspausen (weniger als 90 Minuten).
Schulveranstaltungen außerhalb des Unterrichts
»Je Gruppe ist die Begleitung durch zwei Personen, darunter mindestens eine Lehrkraft, abweichend hiervon bei eintägigen Schülerfahrten ab Jahrgangsstufe 11 die Begleitung durch eine Lehrkraft zwingend vorgeschrieben. Die Lehrkraft ist gegenüber weiteren Begleitpersonen weisungsberechtigt.
Die Auswahl geeigneter sonstiger Begleitpersonen obliegt der Schulleitung. Die Anzahl der Begleitpersonen je Schüler:in sowie die (speziellen) Anforderungen an sie
richtet sich nach dem Alter und der Reife der Schüler:innen sowie nach Art der Schülerfahrt. Bei mehrtägigen Fahrten gemischter Gruppen ist die Teilnahme von mindestens einer männlichen und einer weiblichen Begleitperson erforderlich. Bis einschließlich Jahrgangsstufe 4 ist ausnahmsweise auch der Einsatz von zwei weiblichen Begleitpersonen zulässig.
Zumindest eine der Begleitpersonen hat mit Maßnahmen der Ersten Hilfe vertraut zu sein. Bei der Ausübung von Wassersport muss mindestens eine Begleitperson rettungsfähig sein (Mindestqualifikation: Rettungsschwimmabzeichen Bronze).«8
Lehrkräfte sind verpflichtet, während des gesamten Aufenthalts ihre Aufsichtspflicht wahrzunehmen, also auch nachts. Ein Verlassen der Unterkunft stellt eine Aufsichtspflichtverletzung dar.
Tipps für die Praxis
Wer haftet?
Nach Art. 34 des Grundgesetzes9 haftet grundsätzlich der Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst die Lehrkraft tätig ist. Hat die Lehrkraft die Aufsichtspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt, kann sie nicht zur Haftung herangezogen werden. Sollten Erziehungsberechtigte oder andere geschädigte Personen gegenüber einer Lehrkraft Schadensersatzansprüche geltend machen, wird dringend empfohlen, dass die Lehrkräfte sie sofort an die vorgesetzte Dienststelle verweisen. Eine Lehrkraft sollte weder schriftlich noch mündlich ein Verschulden anerkennen.
Die Rechtsprechung über Vorgänge im Zusammenhang mit der Aufsichtspflicht ist auf den jeweiligen Fall bezogen. Allgemein ist festzustellen: Die Aufsichtspflicht ist gekennzeichnet durch drei Komponenten: Sie muss kontinuierlich, aktiv und präventiv erfolgen.
Daher wird von den Gerichten im Nachhinein überprüft, ob
- die Gefahrenquelle erkannt wurde,
- Regeln festgelegt wurden,
- die Einhaltung der Regeln kontrolliert wurde und
- ggf. die Nichteinhaltung sanktioniert wurde.
Bei Unfällen aller Art sind die Leistung von notwendiger ärztlicher Hilfe und die Minderung der Unfallfolgen oberstes Gebot.
Zum konkreten Unfallhergang und zu Fragen der Aufsichtsführung sollten sich Lehrkräfte erst dann äußern, wenn Rechtsberatung eingeholt worden ist. GEW-Mitgliedern hilft dabei der gewerkschaftliche Rechtsschutz.
von Siegfried Grob
Quellen:
1 Dienstordnung für Lehrkräfte an staatlichen Schulen in Bayern (Lehrerdienstordnung-LDO), KMBek. vom 5. Juli 2014 (KWMBl. S. 112), § 5
2 Schulordnung für die Grundschulen in Bayern (Grundschulordnung – GrSO) vom 11. September 2008 (GVBL S. 684), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Mai 2015 (GVBl. S. 82), § 31
3 Schulordnung für die Mittelschulen in Bayern (Mittelschulordnung – MSO) vom 4. März 2013 (GVBl. S. 116), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Mai 2015 (GVBl. S. 82), § 40
4 Schulordnung für die Realschulen (Realschulordnung – RSO) vom 18. Juli 2007 (GVBl. S. 458, ber. S. 585), zuletzt geändert durch Verordnung vom 12. Mai 2015 (GVBl. S. 82), § 40
5 Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung – GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Juni 2015 (GVBl. S. 640), § 38
6 Kultusministerielles Schreiben (KMS) vom 21. September 1990 Nr. III/114704-4/8447290
7 Kultusministerielles Schreiben (KMS) vom 13. März 2000 Nr. 1V/1a-S 7369-4/20145
8 KMBek vom 9. Juli 2010 (KWMBl. S. 204), Ziffer 4
9 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 1001, veröffentlichten bereinigten Fassung, die zuletzt durch das Gesetz vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2438) geändert worden ist