Schulbeginn
Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Lehrer*innenberufs gefordert
Die Schullandschaft in Bayern gleicht einer Großbaustelle: akuter Lehrkräftemangel, Überlastung des Personals und schwindende Attraktivität des Lehrer*innenberufs. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) analysiert die Lage zu Schuljahresbeginn und zeigt Wege aus der Misere auf.
„Die ‚Lehrerbedarfsprognose 2024‘ des Kultusministeriums hat erschreckende Zahlen offengelegt: Bis zum Schuljahr 2034/35 werden bayernweit etwa 5.300 Lehrkräfte fehlen. Besonders stark betroffen sind die Mittelschulen, aber auch im Bereich der beruflichen Schulen, der Realschulen und der Gymnasien sind gravierende Lücken absehbar“, fasst Markus Weinberger, für die GEW Mitglied des Hauptpersonalrats, zusammen. Schon lange wisse das Ministerium von dieser Problematik, doch die Risse in der Bildungsstruktur werden immer größer. Die Folge: Klassenräume sind überfüllt, Unterrichtsausfälle häufen sich und die Lehrkräfte arbeiten am Limit. In vielen Schulen werden diese aus dem Ruhestand zurückgeholt oder Quer- und Seiteneinsteiger*innen – viele davon ohne pädagogische Ausbildung – eingesetzt, um die Lücken notdürftig zu schließen.
Das bayerische Kultusministerium versucht seit Jahren, das in seinen Grundfesten wankende Schulsystem mit einer Vielzahl von Notmaßnahmen zu stabilisieren. Diese Maßnahmen ähneln zunehmend einem Flickwerk und einige haben die Situation sogar verschärft, kritisiert die Gewerkschaft. Als Beispiel führt sie die rechtlich fragwürdige Erhöhung der Lehrer*innenwochenstunden für Grundschullehrer*innen von 28 auf 29, das faktische Teilzeitverbot für Lehrkräfte an Grund-, Mittel- und Förderschulen ohne eigene minderjährige Kinder, die Aussetzung des Sabbatmodells oder den Antragsruhestand erst ab 65 Jahren an. „Die Folge dieser dienstrechtlichen Maßnahmen von 2020 war ein sprunghafter Anstieg von Teildienstfähigkeit und Dienstunfähigkeit. Unter dem Strich ein Minusgeschäft“, erklärt Weinberger.
Sein Hauptpersonalratskollege Florian Kohl, der auch stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern ist, setzt sich deshalb für eine Dienstvereinbarung zum „altersgerechten Arbeiten“ ein. „Es kann nicht sein, dass ältere Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten möchten, um sich und ihre Gesundheit zu schützen und ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, zu einer Stundenanzahl gezwungen werden, die sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht schaffen. Kolleg*innen sehen dann als einzigen Ausweg noch die Teildienstfähigkeit oder sogar die Dienstunfähigkeit. Es wäre wesentlich sinnvoller zu versuchen, für diese Lehrkräfte altersgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen, um sie im System zu halten. Wir brauchen sie dringend.“
Genauso desaströs ist für die GEW der mit diesen Maßnahmen einhergehende Imageschaden für den Lehrberuf. Da helfen dann auch keine neu eingesetzten „Lehramtsbotschafter“ mehr, die Schulabgänger*innen den Beruf schmackhaft machen sollen.
Die Studierendenzahlen in den Lehrämtern Mittelschule und Förderschule, die besonders dringend voll ausgebildete Lehrkräfte benötigen, sind weiter rückläufig:
- Mittelschule: minus 3,7 Prozent zwischen den Wintersemestern 2022/23 und 2023/24
- Förderschule: minus 5,7 Prozent zwischen den Wintersemestern 2022/23 und 2023/24
Und auch im Bereich der Gymnasien und Realschulen steigen sie nur zaghaft an.
Martina Borgendale, Landesvorsitzende der GEW, fordert ein „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Lehrer*innenberufs“: „Das ‚Piazolo-Paket‘ muss dringend zurückgenommen und der Beruf attraktiver gestaltet werden. Junge Menschen erwarten heutzutage vor allem auch Flexibilität in ihrem gewählten Beruf. So muss zum Beispiel unbedingt mehr auf die Ortswünsche von Referendar*innen und jungen Lehrkräften eingegangen oder zum Beispiel, nach dem Vorbild Sachsens, Referendar*innen eine Prämie gezahlt werden, wenn sie sich verpflichten, für eine bestimmte Zeit in eine „Bedarfsregion“ zu gehen. Zudem brauchen wir auch endlich in Bayern das Altersgeld für Beamt*innen. Kündigt in Bayern eine verbeamtete Lehrkraft, so ist der bisher erwirtschaftete Pensionsanspruch dahin und sie werden in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. In zehn Bundesländern und für die Beamt*innen des Bundes gibt es das Altersgeld bereits. In Bayern wehrte man sich bisher mit dem Argument, man wolle ja keine Lehrkraft aus dem System verlieren. Momentan stellt sich die Situation aber so dar, dass erstmal junge Menschen ins System gebracht werden müssen. Und das geht nur, wenn der Wunsch der jungen Generation nach einer flexiblen Lebensplanung mitgedacht wird.“
Die GEW Bayern begrüßt die hohe Gesprächsbereitschaft der Kultusministerin Stolz und das Einbeziehen der Verbände bei den ab Herbst 2024 stattfindenden Runden zur Erarbeitung von Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel. „Es ist gut, dass die Kultusministerin alle Betroffenen an den Tisch holt. Wichtig ist es aber, kreative Lösungen zu finden und keinesfalls wieder Lehrkräfte zur Stundenaufstockung zu verpflichten. Es müssen positive Anreize geschaffen werden. Für Lehrkräfte, die Eltern sind, ist zum Beispiel oft die Kinderbetreuung ein großes Thema. Hier gilt es familienfreundliche Modelle zu finden. Sei es nun, den Lehrkräften im Rahmen ihres Stundenplanes entgegenzukommen oder sogar zu überlegen, ob Betreuungsmöglichkeiten speziell für Kinder von Lehrkräften geschaffen werden könnten, die auch schon früh genug geöffnet haben. Vielleicht wäre an größeren Schulen sogar eine Kinderbetreuung vor Ort eine Möglichkeit“, fasst Borgendale zusammen.
Der stellvertretende Landesvorsitzende Kohl erinnert in diesem Zuge auch an das „Teilzeiturteil“ des Bundesverwaltungsgerichtes von 2015, das noch mal klarstellte, dass auch der Umfang außerunterrichtlicher Tätigkeiten der reduzierten Anzahl an Unterrichtsstunden entsprechen müsse: „Es kann nicht sein, dass Kolleg*innen in unterhälftige Teilzeit gehen, nur weil sie dann hoffen, keine Klassenleitung zu bekommen, die durch den hohen Zeitaufwand die Teilzeit gleich wieder zunichtemachen würde. Teilzeit ist Teilzeit. Auch bei den außerunterrichtlichen Tätigkeiten wie Aufsichten, Konferenzen oder Schulfahrten. Eine Umsetzung des Urteils würde den Beruf familienfreundlicher machen und eventuell auch dazu motivieren, das Stundendeputat zu erhöhen.“
Zudem ist es in der aktuell sehr angespannten Lage essenziell, gut abzuwägen, ob zusätzliche Ressourcen im System vielleicht unnötig gebunden werden. So einen Fall sieht Florian Kohl bei der Einführung verpflichtender Sprachtests in den Kitas: „Natürlich ist das Ziel, Sprachdefizite frühzeitig zu erkennen, grundsätzlich sinnvoll und wird daher schon längst durch die Erzieher*innen zuverlässig erfüllt. Das neue ‚Kita-Abitur‘, also der ab kommendem Frühjahr für alle Viereinhalbjährigen verpflichtende Sprachtest an der Grundschule, geht jedoch völlig an den Bedürfnissen und der Realität vorbei und belastet die Grundschullehrkräfte nur zusätzlich.“
Martina Borgendale, selbst Realschullehrerin, fasst zusammen: „Die GEW schlägt als Paket gegen den Lehrkräftemangel die Rücknahme der dienstrechtlichen Maßnahmen von 2020, altersgerechtes Arbeiten, bessere Berücksichtigung von Ortswünschen, Altersgeld für Beamt*innen, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Umsetzung des ‚Teilzeiturteils‘ und die Vermeidung von unnötiger Bindung von Ressourcen im System Schule in Bayern vor. Damit können die Bestandslehrkräfte entlastet und der Beruf der Lehrkraft endlich wieder attraktiver gestaltet werden. Es würde zudem mehr Lehrkräfte im System halten und auch mehr ins System bringen.“
81673 München
GEW Fachgruppe Grund- und Mittelschule
Im HPR für die Gruppe der Lehrer*innen an Grundschulen und Mittelschulen