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Zweihundert Jahre Demokratenverfolgung in Deutschland (17 S.)

Zu den Kerngedanken der Demokratie gehört es, für das Recht des Andersdenkenden, seine Meinung frei zu äußern, auch dann einzutreten, wenn sich diese Meinung gegen die eigene richtet. Ein solches Prinzip ist in Deutschland immer noch nicht Allgemeingut geworden, denn es wurde noch nie erlebt, erkämpft oder von einer Obrigkeit anerkannt.

Die Geschichte der Verfolgung von Minderheiten und Oppositionellen soll hier nur ab dem im aufgeklärten Absolutismus des Preußenstaates entstandenen besonderen Gewaltverhältnis zwischen Staat und Beamtenschaft dargestellt werden.

Im preußischen Staat entsprach der Alimentationspflicht des Dienstherrn die Treue- und Hingabepflicht für den Beamten.

1794 im preußischen Landrecht wird erstmals neben den allgemeinen Untertanenpflichten von den Beamten „besondere Treue und Gehorsam" gefordert(§§ 1-3, I, 10 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten vom 5.2.1794).

1819 in den Karlsbader Beschlüssen wird eine Gesinnungsüberprüfung von den Ländern des Deutschen Bundes vereinbart:

 

Aus den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819:

 

Es soll bei jeder Universität ein mit zweckmäßigen Instruktionen versehener, am Ort der Universität residierender, außerordentlicher landesherrlicher Bevollmächtigter, entweder in der Person des bisherigen Kurators oder eines anderen von der Regierung dazu tüchtig befundenen Mannes angestellt werden.

Das Amt dieses Bevollmächtigten soll sein, über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Vorschriften zu wachen, den Geist, in welchem die akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privatvorträgen verfahren, sorgfältig zu beobachten und demselben, jedoch ohne unmittelbare Einmischung in das Wissenschaftliche und in die Lehrmethode eine heilsame, auf die künftige Bestimmung der studierenden Jugend berechnete Richtung zu geben....

Die Bundesregierungen verpflichten sich gegeneinander, Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufs durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe Feindseliger und die Grundlagen der bestehenden Staatsordnungsuntergrabender Lehren, ihre Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt zu haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen.

Ein auf solche Weise ausgeschlossener Lehrer darf in keinem anderen Bundesstaate bei irgendeinem öffentlichen Lehrinstitut wieder angestellt werden."

 

Artikel 47:

„Vereinigungen der Studierenden, zu wissenschaftlichen und geselligen Zwecken sind unter den von den Regierungen festzustellenden Bedingungen erlaubt. Alle anderen Verbindungen der Studierenden sowohl unter sich als mit sonstigen geheimen Gesellschaften sind als verboten zu betrachten."

 

Artikel 53:

„Jeder, der auf einer Universität studiert hat und in den Staatsdienst treten will, ist verpflichtet, bei dem Abgange von der Universität sich mit einem Zeugnisse über die Vorlesungen, die er besucht hat, über seinen Fleiß und seine Aufführung zu versehen. Ohne die Vorlage dieser Zeugnisse wird keiner in einem deutschen Bundesstaate zu einem Examen zugelassen also auch nicht im Staatsdienste angestellt werden.

Die Regierungen werden solche Verfügungen treffen, daß die auszustellenden Zeugnisse ein möglichst genaues und bestimmtes Urteil ergeben. Vorzüglich haben diese Zeugnisse sich auch auf die Frage der Teilnahme an verbotenen Verbindungen zu erstrecken. Die außerordentlichen Regierungsbevollmächtigten werden angewiesen, über den gewissenhaften Vollzug dieser Anordnung zu wachen."

 

1834 wird die Demagogenverfolgung durch die geheimen Beschlüsse der Wiener Ministerkonferenz vom 12. Juni 1834 eingeleitet:

1837 erreichte die Demagogenverfolgung mit der Entlassung der „Göttinger Sieben" (darunter die Gebrüder Grimm) aus dem Universitätsdienst einen Höhepunkt.

1850 nach der Niederwerfung der bürgerlichen Revolution der Jahre 1848/49 werden zehntausende Demokraten aus Deutschland vertrieben. Die aufstrebende Kraft der Arbeiterbewegung bringt dann die herrschende Klasse in Deutschland erneut in Unruhe und Sorge um ihre ungetrübte Machtausübung.

1878 wird mit dem Sozialistengesetz der Versuch unternommen, die Arbeiterbewegung zu kriminalisieren:

Am 19. Oktober 1878 verabschiedete der Deutsche Reichstag mit seiner konservativen Mehrheit das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen  Bestrebungen der Sozialdemokratie". Zwei Anschläge auf Kaiser Wilhelm I. dienten als Vorwand, ein schon seit längerem geplantes Ausnahmegesetz durchzusetzen. Am 21. Oktober trat das Gesetz mit der Verkündigung im Reichsblatt in Kraft.

Zuvor waren systematisch Sozialdemokraten verleumdet worden. Daraus entstand ein Klima der Hysterie. Auch die Begründung des Ausnahmegesetzes beruhte schließlich auf Unwahrheit: Die Behauptung, die Kaiser-Attentäter seien Sozialdemokraten, war nachweislich falsch.

Bismarck und die rechtskonservativen Parteien und Verbände hatten schon seit Jahren in der Presse Stimmung gemacht. Sie benutzten dort ihren Einfluß, um die Bevölkerung ,,zum fanatischsten Hasse gegen die Sozialdemokraten aufzupeitschen", wie August Bebel berichtet. Die Diffamierung freiheitlicher und sozialer Demokraten hat im konservativautoritären Lager bis heute angehalten. Die Formel Freiheit oder/statt Sozialismus beweist das.

Der im Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie verankerte Treue- und Diensteid auf den Monarchen wurde in der Weimarer Republik als Eid auf die „Treue zur Reichsverfassung" geleistet (Art. 176 WRV). „Ich schwöre Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten". Zugleich unterschied Artikel 130 entsprechend den Forderungen der parlamentarischen Demokratie deutlich zwischen den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten des Beamten einerseits und seinen dienstlichen Obliegenheiten.

Selbst noch im Gesetz zum Schutz der Republik aus dem Jahre 1922 wurde die Beamtenschaft lediglich verpflichtet, ,,in der amtlichen Tätigkeit für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt einzutreten" und alles zu unterlassen, ,,was mit seiner Stellung als Beamter in der Republik nicht zu vereinbaren ist".

Während der gesamten Zeit stellte die Rechtsprechung dazu klar, daß die Verpflichtung zur Treue gegenüber dem republikanischen Prinzip nicht mehr eine die gesamte Lebensführung ergreifende gesinnungsmäßige Verpflichtung des Beamten darstelle, sondern auf sein Handeln im Dienst bezogen sei.

Es ist durchsichtige Geschichtsklitterung , wenn heute behauptet wird, es seien „Radikale" im öffentlichen Dienst gewesen, die Hitler schließlich zur Macht verholfen hätten (so etwa der ehemalige bayerische Innenminister Merk in einer Broschüre ,,Schutz für Verfassung, Staat, Gesellschaft", 1976).

Ein Blick auf die Geschichte der Weimarer Republik zeigt, daß die Unterwanderung des öffentlichen Dienstes, das Problem einer „Demokratie ohne Demokraten" nicht zutrifft. Vielmehr übernahm der republikanische Staat fast vollständig den gesamten monarchischen Beamtenapparat in Justiz, Verwaltung und im Bildungswesen. Darüber hinaus waren die Justiz und die hinter ihr stehenden bürgerlichen Kreise nicht bereit, antirepublikanische Aktionen bis hin zu Aufruhr und Gewalt von rechts (z.B. Kapp-Putsch) konsequent zu ahnden, während sie umgekehrt gegen Linke mit aller Konsequenz vorgingen.

 

Wer verhalf Hitler zur Macht?

 

Aus der Erklärung unter Eid von Kurt Freiherr von Schröder, seinerzeit Teilhaber des Bankhauses J. H. Stein, im Nürnberger IG-Farben-Prozeß (1947) über das Zusammentreffen von Adolf Hitler mit Franz von Papen am 4. Januar 1933:

Diese Zusammenkunft zwischen Hitler und Papen am 4. Januar 1933 in meinem Hause in Köln wurde von mir arrangiert, nachdem Papen mich ungefähr am 10. Dezember 1932 darum ersucht hatte. Bevor ich diesen Schritt unternahm, besprach ich mich mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft und informierte mich allgemein, wie sich die Wirtschaft zu einer Zusammenarbeit der beiden stellte. Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden. würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt über­ schritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend. Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, daß die Nationalsozialisten - einmal an der Macht - eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden.

 

Anmerkungen zu einer Geschichtsklitterung

Der bayerische Innenminister Dr. Bruno Merk hat mit der Broschüre „Schutz für Verfassung, Staat, Gesellschaft" (September 1976) einen wichtigen Beitrag zur Politischen Bildung· vorgelegt.

Wichtig deshalb, weil hier dem Lehrer ein - durch die ASchO sicher nicht behindertes - Dokument in die Hand gegeben ist, an dem er „Geschichtsklitterung für politische Zwecke" eindrucksvoll erläutern kann. Und das ist unbestritten ein Lernziel, das den bayerischen Schülern nicht vorenthalten werden sollte.

Wir wollen an Hand des Kapitels „Die Lehren von Weimar" (S. 10 ff.) nun keine Unterrichtseinheit entwickeln (eine entsprechend ausgearbeitete Musterstunde dokumentieren wir natürlich gerne!), sondern nur aufzeigen, wie unter der seriös untertreibenden Formulierung, ,,einige Argumente der Vernunft und der Verantwortung" gegen die ,,Einseitigkeit der augenblicklichen Diskussion" (um die Berufsverbote) (S. 4) ins Feld zu führen, Geschichte so hingebogen werden kann, daß sie paßt.

Sie muß passen, um das gängige Argument der Befürworter der Berufsverbotspraxis im öffentlichen Dienst, die „Erfahrung aus der Weimarer Republik" (S. 10), heute historisch zu rechtfertigen.

Diese Erfahrung besteht nach Merk darin, daß die „erste deutsche Republik nicht zuletzt an der Toleranz gegenüber ihren intoleranten Feinden von rechts und links zugrunde gegangen" ist, daß es ihr nicht gelang, ,,die Unterwanderung des Beamtenapparates durch die Feinde der Republik zu verhindern" (S. 10).

Merk bedient sich hier der einfachen Methode, einige Details herauszuheben, wesentliche zusammenhänge aber unberücksichtigt zu lassen.

Er erwähnt das ,Republikschutzgesetz' (begründet mit „kommunistischen Aktivitäten" und „Gewalttaten rechtsradikaler Gruppen" - S. 10) vom Juli 1922, das zugleich erlassene Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutz der Republik und springt dann sogleich ins Jahr 1930. Hier wird der Beschluß des Preußischen Staatsministeriums vom Juni 1930 ausführlich zitiert, der die Mitgliedschaft und Unterstützung für die NSDAP und die KPD allen Beamten verbietet.

Sodann wird die ständige Rechtsprechung beklagt (Preußisches Oberverwaltungsgericht, Entscheidung vom 18. 8. 1932), die mit der Begründung, daß sie an Hitlers Erklärung, seine Ziele nur noch auf streng legalem Weg verfolgen zu wollen, nicht vorbeigehen könne, die Revision des preußischen Beschlusses erzwang.

Ohne auf den Charakter von Justiz und Verwaltung in der Weimarer Republik einzugehen, ohne auf die besondere Rolle Bayerns und seine unrühmliche Tradition in der Frage der Republikschutzgesetzgebung und der Abwehr reaktionärer und faschistischer Kräfte hinzuweisen, ohne die nationalsozialistische „Reinigung" des öffentlichen Dienstes durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auch nur zu erwähnen, folgert Merk, daß die „lebensfremde und unpraktikable Unterscheidung zwischen dem erlaubten Bekenntnis zu einer staatsfeindlichen revolutionären Partei und der verbotenen Betätigung für sie . .. letztlich den Versuch zum Scheitern verurteilt (habe), die Feinde der Weimarer Republik vom öffentlichen Dienst fernzuhalten" (S. 11/12).

Bei dieser Geschichtsdeutung, die von wesentlichen Tatsachen der historischen Entwicklung der Weimarer Republik keine Kenntnis nimmt, ist der Vorwurf der Geschichtsklitterung durch wenige Hinweise zu belegen.

Wenn Merk in der Unterwanderung des öffentlichen Dienstes in der Weimarer Republik durch „Radikale" einen Grund für das Scheitern der ersten deutschen Republik erkennen will, so sollte dazu vermerkt werden, daß im Gegenteil eine konsequente demokratische Erneuerung des Beamtenapparates während der gesamten 15jährigen Geschichte der Weimarer Republik nicht gelang. Die Beamtenschaft in Justiz und Verwaltung (und in weiten Teilen insbesondere des höheren Bildungswesens) verharrte in vordemokratischen Positionen und stand stets in latenter Opposition zur parlamentarischen Demokratie. (Vgl. Bracher in: Duve, Kopitzsch [Hrsg], Weimar ist kein Argument, rororo aktuell 1976, S. 99.)

Wilhelm Hoegner hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß in der Justiz Demokraten oder gar Sozialdemokraten eine Seltenheit waren, daß „das politische Bekenntnis des übergroßen Teils der Justizbürokratie im Norden wie im Süden des

Reiches deutschnational war" (ebenda, s. 35).

Was Merk als Toleranz gegen rechts und links ausgibt, liest sich bei Hoegner als Einseitigkeit und politische Eindeutigkeit der Justiz und der hinter ihr stehenden bürgerlichen Kreise, die nicht bereit waren, antirepublikanische Aktionen bis hin zu Aufruhr und Gewalt von rechts konsequent zu ahnden.

Gegen alle Versuche, die auch nach der Novemberrevolution von 1918 bestehende ökonomisch-politische Dominanz der herrschenden Kapitalgruppen (die maßgeblich zu Hitlers Reputation und schließlicher Machtübernahme beitrugen) aufzuheben, ging die Justiz dagegen massiv vor.

Der Mörder des bayerischen Ministerpräsidenten Eisner, Graf Arco, wurde zwar zunächst zum Tode verurteilt, dann aber zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt und nach wenigen Jahren entlassen - und in Bayern als bayerischer Nationalheld gefeiert. und während man die Beteiligung in der bayerischen Räterepublik mit einer Todesstrafe (abgesehen von den zahlreichen Erschießungen bei und unmittelbar nach der Niederwerfung!) und 6000 Jahren Freiheitsstrafe ahndete (von der 2/3 verbüßt wurde), für die Beteiligung am Kapp-Putsch das Verfahren entweder durch Amnestie oder durch Einstellung beendet. Von den 775 am Kapp-Putsch beteiligten Offizieren wurde keiner belangt, von den Führern des Putsches wurde als einziger der frühere Polizeipräsident Jagow mit fünf Jahren Festung bestraft (Zahlen zit. nach: W. Hoegner, ebenda, S. 62/63).

Daß unter diesen politischen Umständen und angesichts von Inflation und später der Weltwirtschaftskrise, die die ökonomische Polarisierung vorantrieben und zu Verelendung und Existenzunsicherheit führten, große Teile insbesondere der Arbeiterschaft nur ein distanziertes Verhältnis zur Republik hatten, wird unter diesen Bedingungen verständlich.

Merk geht auch nicht auf die Rolle ein, die die „Ordnungszelle Bayern" unter der politischen Führung der Bayerischen Volkspartei, auf deren Tradition sich die CSU zu

Recht berufen kann, in der Weimarer Republik ausübte.

Im Gefolge des Kapp-Putsches wurde in Bayern die sozialdemokratische Minderheitsregierung durch eine bürgerliche Koalition unter der Führung der BVP ersetzt, die ein Bündnis der weiß-blauen mit der schwarz-weiß-roten Opposition darstellte, die trotz unterschiedlicher Ziele einig war in der Negation der Republik.

Schon nach dem Erzberger-Mord verweigerte die bayerische Regierung zunächst den Vollzug zweier Notverordnungen des Reiches zur Eindämmung der Hetze verfassungsfeindlicher Presseorgane und Parteiorganisationen; ,.gegen die Verordnung zum Schutze der Republik (nach dem Rathenau-Mord) wandte sich Bayern sofort aufs schärfste mit der Behauptung, daß in die Rechte der Länder eingegriffen sei. Während das übrige Deutschland vor Wut und Empörung über die Freveltat aufschrie, verschanzte sich Bayern hinter spitzfindigen Fragen der Zuständigkeit." (W. Hoegner, ebenda, S. 37.)

Wenn Merk der Rechtsprechung die Schuld am Scheitern der Republikschutzgesetzgebung zuweist, so läßt er völlig das gegen den verfassungsmäßigen Bestand der Weimarer Republik gerichtete Votum der bayerischen Staatsregierung außer acht. Er erwähnt nicht die zeitweilige stillschweigende Zusammenarbeit prominenter BVP-Politiker mit Hitler und den weitgehenden Handlungsspielraum für rechtsextreme Freikorps und Organisationen, der Hitler ermutigte, bereits 1923 nach der ganzen Macht zu greifen.

In seiner Geschichtsbetrachtung übergeht Merk schließlich vollständig die Entlassung demokratischer Beamter durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933 und die Haltung der überwiegenden Mehrheit der Beamtenschaft zur Liquidierung der demokratischen Ordnung.

Mit diesem Gesetz schuf sich das nationalsozialistische Regime eine Handhabe, die noch verbliebenen „unzuverlässigen" Elemente zu entfernen und krönte damit eine Tradition, den öffentlichen Dienst gegen demokratisch gesinnte Beamte abzuschotten. Unter dem Alibi parteipolitischer Neutralität, mit dem sich die Beamtenschaft stets gegen eine Demokratisierung gewehrt hatte, stellte sie sich nun der faschistischen Diktatur zur Verfügung.

Zieht man diese für das Verständnis der Geschichte der Weimarer Republik wesentlichen zusammenhänge in Betracht, so wird Merks Geschichtsdeutung in doppelter Weise fragwürdig: richtig ist, daß „Radikale im öffentlichen Dienst" wesentlich zum Scheitern der ersten deutschen Republik beigetragen haben, allerdings anders, als Merk dies sieht. Nicht die „Unterwanderer", sondern die ,etablierte' Beamtenschaft in Justiz und Verwaltung machte aus ihrer antirepublikanischen Gesinnung kein Hehl. Getragen auch von der antirepublikanischen und antidemokratischen Politik rechtsgerichteter Landesregierungen (besonders Bayerns) haben sie wesentlich dazu geholfen, die demokratischen Strukturen zu unterhöhlen.

Wenn Merk die Berufsverbotspraxis heute mit den Erfahrungen von Weimar zu begründen sucht, so sollten die politischen Dimensionen dieses historischen Vergleiches deutlich gemacht werden. Die Abschließung von Justiz und Verwaltung vor demokratischen Kräften, die ihren gravierendsten Abschluß mit der „Reinigung" des öffentlichen Dienstes durch die Nationalsozialisten fand, ist von der Berufsverbotspraxis heute im Grundsätzlichen nicht mehr zu unterscheiden. Damals wie heute werden diejenigen, die sich auf Geist und Buchstaben der Verfassung berufen können, die sich für eine umfassende Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche einsetzen, vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen und in ihrer beruflichen Existenz zerstört.

Erst auf diese Weise gewinnt der historische Vergleich seine Bedeutung. Und die Lehre von Weimar „wehret den Anfängen" gilt heute vor allem für die, an die Alfred Grosser die abschließende Frage stellt: „Denn wenn eine Inquisition einmal begonnen hat, wenn sie anfängt, eine neue Furcht zu verbreiten, wer kann da wissen, wo und bei wem sie stehen bleibt?" (Grosser, ebenda, S. 13.)

H. K.

 

An den

Herrn Preussischen Minister des Inneren, Berlin

Durch Verfügung des Herrn Preussischen Ministers des Inneren vom 17. 7. 35 bin ich auf Grund des§ 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Dienst entlassen worden . Gründe sind mir nicht mitgeteilt worden. Ich beantrage, die Gründe dieser Verfügung einer Nachprüfung zu unterziehen und mich auf Grund des § 6 dieses Gesetzes in den Ruhestand zu versetzen.

In der Durchführungsverordnung vom 2. 4. 35 zu dem B.B.G. heisst es zu§ 4: ,, Bei der Prüfung , ob die Voraussetzungen des§ 4 gegeben sind, ist die gesamte politische Betätigung des Beamten, insbesondere seit dem 9. November 1918 in Betracht zu ziehen.

Die Durchführungsverordnung vom 6. 5. 33 lautet zu § 4:

1) Die Zugehörigkeit eines Beamten zu einer politischen Partei - ausgenommen die kommunistische Partei- rechtfertigt allein noch nicht die Annahme nationaler Unzuverlässigkeit. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte eingeschriebenes Mitglied der Partei gewesen ist, an sie Beiträge gezahlt und ihre Versammlungen besucht hat.

2) Die Voraussetzungen des § 4 Satz 1, sind insbesondere dann erfüllt, wenn ein Beamter in Wort, Schrift oder durch sein sonstiges Verhalten gehässig gegen die nationale Bewegung aufgetreten ist, ihre Führung beschimpft oder seine dienstliche Stellung dazu missbraucht hat, um national gesinnte Beamte zu verfolgen, zurückzusetzen oder sonst zu schädigen. Ich bin im Jahre 1906, nachdem ich im Jahre 1902 das Examen als Gerichtsassessor bestanden hatte, in den Dienst der Stadt Köln als Beigeordneter eingetreten. Im Jahre 1917 bin ich einstimmig zum Oberbürgermeister der Stadt Köln gewählt und vom Könige bestätigt worden. Im Jahre 1929 bin ich als solcher wiedergewählt worden, trotzdem die Sozialdemokraten und die Kommunisten den heftigsten Kampf gegen meine Wiederwahl geführt haben. Ich bin seit langer Zeit eingeschriebenes Mitglied der Zentrumspartei gewesen, einer anderen Partei habe ich niemals angehört. Die N S D A P habe ich immer durchaus korrekt behandelt und mich dadurch wiederholt in Gegensatz zu den damaligen ministeriellen Anweisungen und auch zu den von der Zentrumsfraktion der Kölner Stadtverordnetenversammlung vertretenen Anschauungen gesetzt. So habe ich Jahre lang entgegen der damaligen Verfügung des Preussischen Innenministers der NS DA P die städtischen Sportplätze zur Verfügung gestellt und ihr bei ihren Veranstaltungen auf diesen das Hissen ihrer Hakenkreuzfahnen an den städtischen Flaggenmasten gestattet. Ich beziehe mich auf die einschlägigen Akten der Stadt Köln und auf das Zeugnis des Beigeordneten i. R. Billstein .

Seit Jahren bin ich in dem zuständigen städtischen Ausschuss entgegen den ministeriellen Verfügungen dafür eingetreten, dem Westdeutschen Beobachter die städtischen Bekanntmachungen zu geben. Siehe das Protokollbuch des Verfassungsschutzes der Stadt Köln.

 

Im Sommer 1930 habe ich angeordnet, dass die Verfügung des Preussischen Staatsministeriums, die nationalsozialistischen Beamten zwecks Disziplinierung namhaft zu machen - die Verfügung war vom Regierungspräsidenten zur Durchführung übersandt worden - nicht ausgeführt worden ist, da ich sie für unberechtigt und ungerecht hielt. Beweis: Zeugnis des Beigeordneten i. R. Berndorff in Köln. Dem nationalistischen Stadtverordneten Gauleiter Grohe habe ich in jener Zeit auf seine an mich gerichtete Frage, ob städtische Beamte, die sich für die N S D A P bekännten, von mir etwas zu befürchten hätten, geantwortet, dass kein Beamter- gleichgültig, welcher Partei er angehöre - im Dienste für diese Partei agitieren dürfe; wenn aber ausserhalb des Dienstes ein Beamter für die N S D A P eintrete, so sei das seine persönliche Angelegenheit, deretwegen er von mir nichts zu befürchten habe.

Ein Vorfall, der sich an einem der letzten Sonntage vor der Reichstagswahl vom 5. März 33 abspielte, hat in dem Teil der Kölner N S DA P, der nicht-die ganzen Vorgänge kannte, den Eindruck einer feindseligen Behandlung der Partei entstehen lassen. In der Nacht vor diesem Sonntage waren auf den Pylonen der Hängebrücke heimlich Hakenkreuzfahnen aufgezogen worden. Die Brücke war städtisches Eigentum , ihre Beflaggung fand immer nur dann statt, wenn die Stadtverwaltung selbst flaggte. Ich habe infolgedessen der Kölner Parteileitung mitteilen lassen , ich könne verstehen, dass die Partei bei ihrer Kundgebung ihre Flagge zeigen wolle, es handle sich aber hier um ein städtisches Bauwerk, das in keinem örtlichen Zusammenhange mit dieser Kundgebung stehe; ich sei damit einverstanden , dass die Fahnen vor den Messehallen, in denen die Kundgebung stattfinden sollte, gehisst wurden, die Parteileitung möge jemand schicken, der angebe, wo dort die Flaggen gehisst werden sollten. Es sind dann in Gegenwart eines Vertreters der Parteileitung unter Aufsicht eines Beigeordneten durch städtische Beamte vor den Messehallen Fahnenmaste in den Boden gerammt, und an diesen die Fahnen gehisst worden . Beweis: Zeugnis des Beigeordneten i. R. Billstein in Köln.

Die in der Entlassung nach§ 4 des B.B.G. liegende Kennzeichnung als national unzuverlässig ist für mich und meine Familie- ich habe sieben Kinder-in höchstem Masse schmerzlich und unverdient. Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich mir unter den schwierigsten Verhältnissen erhebliche Verdienste um die Rettung der deutschen Rheinlande erworben habe. Der Herr Reichspräsident von Hindenburg hat nach dem Abzug der englischen Besatzung diese meine Verdienste in sehr warmen Worten anerkannt und mir sein Bild geschenkt. Um so bitterer ist für mich die Entlassung auf Grund des § 4. Ich bitte daher dringend um eine Nachprüfung der Entscheidung . Wenn noch über irgend einen Punkt Unklarheiten oder Zweifel bestehen sollten, so bitte ich mir Gelegenheit zur Stellungnahme dazu geben zu wollen .    

 gez. Adenauer

 

 

Aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Art. 1. [Schutz der Menschenwürde]

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(a) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

 

Art. 2. [Freiheitsrechte]

 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Art. 3. [Gleichheit vor dem Gesetz]

 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

(a) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Art. 4. [Glaubens- und Bekenntnisfreiheit]

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

(a) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Art. 5. [Meinungs- und Pressefreiheit; Freiheit der Kunst und der Wissenschaft]

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußem und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(a) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Art. 7. [Schulwesen]

(1 )Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

(a) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. (,) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

(6) Eine private Volksschule ist nur zuzulassen, wenn die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse anerkennt oder, auf Antrag von Erziehungsberechtigten, wenn sie als Gemeinschaftsschule, als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden soll und eine öffentliche Volksschule dieser Art in der Gemeinde nicht besteht.

(11) Vorschulen bleiben aufgehoben.

Art. 8. [Versammlungsfreiheit]

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Art. 9. [Vereinigungsfreiheit, Verbot von Maßnahmen gegenArbeitskämpfe]

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(a) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen. sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87 a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

Art. 12. [Freiheit der Berufswahl]

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

( 8) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Art. 14. [Eigentum, Erbrecht und Enteignung]

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Art. 15. [Sozialisierung] Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Art. 20. [Verfassungsgrundsätze; Widerstandsrecht]

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(a) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Art. 21. [Parteien]

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ilirer Mittel öffentlich Rechenschaft geben.

Art. 139. [Befreiungsgesetz] Die zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.

Art. 66. [Berufsverbot] Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.

Art. 55. [Berufsverbot] (1) Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören.

(2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.

 

Chronologie der wichtigsten Beschlüsse und Urteile zu den Berufsverboten

Unter Berufung auf die vorkonstitutionelle Treuepflicht der Beamten konnte in den fünfziger Jahren erneut Gesinnungsüberwachung betrieben werden:

19. September 1950

Ein Beschluß der damaligen Bundesregierung gegen Mitglieder oppositioneller Organisationen führt zur Entlassung vieler Beamter und Angestellter aus dem öffentlichen Dienst. Bis 1971 bleibt das Thema „Radikale im öffentlichen Dienst" jedoch weitgehend außerhalb der allgemeinen Diskussion.

25. April 1961

Die bayerische Staatsregierung faßt einen Beschluß über „verfassungsfeindliche Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes", der bis 1972 in Kraft bleibt.

23. November 1971

Der Hamburger Senat stellt in einem Grundsatzbeschluß fest, daß die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei politischen Aktivitäten des Bewerbers in radikalen Gruppen unzulässig sei. Die Angst vor der kritischen Jugend von 1968, die nun auch in die Staatsämter nachrückt, stärkt offenbar die obrigkeitsstaatlichen Elemente in den Regierungen und Bürokratien des Bundes und der Länder. ,,Radikal" wird zum Schimpfwort.

28. Januar 1972

Die Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler beschließen „Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen".

18. April 1972

Die bayerische Staatsregierung übernimmt wie andere Bundesländer diese Grundsätze. Sie erläßt am

27. März 1973

in einer „Bekanntmachung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst" bereits weitgehende Durchführungsbestimmungen.

30. August 1973

Das bayerische Kultusministerium weist alle nachgeordneten Behörden und Dienststellen an, die Bekanntmachung der Staatsregierung vom 27.3.1973 zu vollziehen.

2. Oktober 1973

Die Landesregierung von Baden-Württemberg verabschiedet den sog. ,,Schieß-Erlaß", der eine besonders rigide Berufsverbotspraxis einleitet.

Februar 1974

Die Länder Bayern und Baden-Württemberg bringen einen gemeinsamen Gesetzentwurf im Bundesrat ein, der dort aber scheitert.

6. März 1974

Das Bundeskabinett verabschiedet einen Gesetzentwurf zur ,,Änderung dienstrechtlicher Vorschriften" ( „Genscher-Entwurf"). Der Entwurf scheitert ebenfalls im Bundesrat.

27. September 197 4

Der Bayerische Landtag verankert im „Gesetz über die Errichtung eines Landesamtes für Verfassungsschutz" ausdrücklich die Pflicht der Verfassungsschutzämter, ,.bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den Öffentlichen Dienst bewerben", mitzuwirken. (Art. 2 (2) 4. Satz) 3. Findet ein Anhörungsgespräch statt, ist ein Protokoll zu führen. Dem Bewerber ist auf Antrag Einsicht zu gewähren.

6. Februar und 23. März 1975

Bundesverwaltungsgerichtsurteile bestätigen die Nichtzulassung zum Lehrerberuf wegen der Mitgliedschaft in einer „verfassungsfeindlichen" Partei.

22. Mai 1975

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt in wesentlichen Punkten die bisherige Berufsverbotspraxis, verurteilt aber die Speicherung von . Ermittlungen der (Staatsschutz-) Behörden für Zwecke der Einstellungsbehörden als ,,schwerlich vereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip".

19. Mai 1976

Die Bundesregierung erläßt neue „Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst". Diese Grundsätze werden von den SPD/FDP-regierten Ländern übernommen.

„1. Die Einstellungsbehörden sind verpflichtet, Bedenken, die gegen die Einstellung eines Bewerbers sprechen, und die dafür

erheblichen Tatsachen schriftlich mitzuteilen.

2. Der Bewerber hat das Recht, sich hierzu mündlich oder schriftlich zu äußern.

4. Die Mitwirkung eines Rechtsbeistands ist auf Antrag des Bewerbers zu gestatten. Sie ist auf die Beratung des Bewerbers und auf Verfahrensfragen zu beschränken.

5. Die Entscheidungszuständigkeit in den Fällen, in denen die Eignung des Bewerbers nicht festgestellt werden kann, liegt bei der obersten Dienstbehörde, das heißt grundsätzlich bei dem politisch verantwortlichen Minister oder der Landesregierung.

6. Ablehnende Entscheidungen dürfen nur auf gerichtsverwertbare Tatsachen gestützt werden.

7. Dem Bewerber ist die Ablehnungsbegründung unter Angabe der hierfür maßgeblichen Tatsachen, jedenfalls auf seinen Antrag hin, schriftlich mitzuteilen. Der Bescheid erhält eine Rechtsmittelbelehrung.

8. Die für den Verfassungsschutz zuständigen Ressorts stellen sicher, daß den anfrage berechtigten Stellen nur solche gerichtsverwertbaren oder vorhaltbaren Tatsachen mitgeteilt werden, die Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers begründen können.“

1.Juni 1976

In einer Erklärung lehnt die bayerische Staatsregierung die Grundsätze der Bundesregierung ab .

 

Wortlaut der gemeinsamen Erklärung des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der Länder vom 28. Januar 1972

Nach den Beamtengesetzen von Bund und Ländern und den für Angestellte und Arbeiter entsprechend geltenden Bestimmungen sind die Angehörigen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes positiv zu bekennen und  für deren Erhaltung einzutreten. Verfassungsfeindliche Bestrebungen stellen eine Verletzung dieser Verpflichtung dar.

Die Mitgliedschaft von Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Parteien oder Organisationen, die die verfassungsmäßige Ordnung bekämpfen - wie auch die sonstige Förderung solcher Parteien und Organisationen - , wird daher in aller Regel zu einem Loyalitätskonflikt führen. Führt das zu einem Pflichtverstoß, so ist im Einzelfall zu entscheiden, welche Maßnahmen der Dienstherr ergreift.

Die Einstellung in den öffentlichen Dienst setzt nach den genannten Bestimmungen voraus, daß der Bewerber die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintritt. Bestehen hieran begründete Zweifel, so rechtfertigen diese in der Regel eine Ablehnung.

 

Wortlaut der von der Ministerpräsidentenkonferenz am 28. Januar 1972 beschlossenen „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst"

Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt, sind Beamte verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen. Es handelt sich hierbei um zwingende Vorschriften.

Jeder Einzelfall muß für sich geprüft und entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist dabei auszugehen:

Bewerber: Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt. Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsantrages.

Beamter: Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des Paragraphen 35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, aufgrund derer er verpflichtet ist, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten, so hat der Dienstherr aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhaltes die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist.

Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze.