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Wachsende Gegenwehr und Forderungen der GEW

4. wachsende Gegenwehr

4.1. Kritische Öffentlichkeit

Stieß der Ministerpräsidentenbeschluß 1972 noch angesichts der allgemeinen Terroristenhysterie - auf ein gewisses Verständnis der Öffentlichkeit, so erweckt die Praxis des „Radikalenerlasses" in den folgenden Jahren zunehmende Empörung. Nicht nur kirchliche Jugendverbände und Jugendringe distanzierten sich immer schärfer; Wortführer der liberalen Öffentlichkeit griffen die demokratiegefährdende politische Verfolgung scharf an.

Dafür zwei Beispiele: -

4.2. Besorgnis im Ausland

Länder, die in der Vergangenheit leidvolle Erfahrungen mit dem deutschen Militarismus gemacht hatten, sahen mit wachsender Sorge den Verfall demokratischer Prinzipien in der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie. ,,Berufsverbot" fand Eingang in dem Wortschatz der Engländer und Franzosen.

Publizisten wie Alfred Grosser, Politiker wie Francois Mitterand, Joop den Uyl und Andreas Papandreou richteten mahnende Worte an ihre sozialdemokratischen Freunde in der Bundesrepublik. Komitees gegen die Berufsverbote entstanden in Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Niederlanden und Österreich.

Internationale Konferenzen wie das Russell-Tribunal zur Gefährdung der Menschenrechte in der Bundesrepublik von 1978 oder die Internationale Konferenz „Freiheit im Beruf – Demokratie im Betrieb - Weg mit den Berufsverboten" 1980 in Hamburg prangerten die politische Verfolgung Andersdenkender in der Bundesrepublik an.

4.3. Bürgerinitiativen

Um Betroffene als Kristallisationspunkte sind in vielen Orten lokale Bürgerinitiativen gegen Berufsverbote entstanden, die mit InfoVeranstaltungen  und Solidaritätsveranstaltungen die Öffentlichkeit aufklärten. Die Zahl dieser Initiativen ist ständig gestiegen, sie betrug 1980 über 300.

 

4.4. Wirkung auf Parteien und Regierungen

Der Widerstand in der Öffentlichkeit, in den Gewerkschaften und zunehmend von der Parteibasis blieb nicht ohne Einfluß auf die Führung der SPD, die den Ministerpräsidentenbeschluß 1972 mitgetragen hatte: 1976 bekannte

Willy Brandt: ,,Ich habe mich damals geirrt".

Tatsächlich ist es so, daß der Versuch, der mit dem sogenannten Extremistenbeschluß Anfang 1972 gemacht wurde, eindeutig als gescheitert zu betrachten ist. Das habe ich einzugestehen. Ich habe mich damals geirrt. Die Innenminister der Länder meinten seinerzeit, dieser Komplex müsse durch eine Verständigung über das administrative Verfahren geregelt werden . . .

Im übrigen hat sich die damalige Hoffnung meiner Freunde aus dem Kreis der Innenminister und Ministerpräsidenten - wie auch meine eigene - nicht erfüllt. Die Hoffnung nämlich, durch eine Vereinbarung, die fälschlich ein „Erlaß " genannt worden ist, zu einheitlichen, besseren Regelungen zwischen den Ländern zu kommen. Im Gegenteil: es hat grobe Abweichungen und groteske Fehlentwicklungen gegeben, und damit komme ich zum Grundsätzlichen. Das, was Helmut Schmidt die grundgesetzliche Ordnung nennt, ist von anderen in unserem Staat, und zwar von solchen, die dies von Amts wegen in Bundesländern und anderswo handhaben, interpretiert worden, als ein Einschwören- Können auf solche Bestimmungen des Grundgesetzes, die zu ändern jeder von uns das Recht hat, wenn er über die nötige Mehrheit verfügt.

Freimut Duve (Hrsg.),Deutschland 1976, Zwei Sozialdemokraten im Gespräch, Reinbek 1976, S. 48f.

Im Oktober 1978 veröffentlichte der Bremer Bürgermeister und damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Hans Koschnick neun Grundsätze für das Einstellungsverfahren im öffentlichen Dienst, mit denen das Ausmaß der Überprüfung von Bewerbern eingedämmt werden sollte.

Neue Grundsätze zur Feststellung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst

Die freiheitliche Demokratie lebt vom Engagement und Vertrauen der Bürger in die demokratische Ordnung.

Fehlendes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit des Handelns staatlicher Organe kann die freiheitliche Demokratie ebenso gefährden wie fehlendes Vertrauen staatlicher Organe in die Verfassungstreue der Bürger.

Die bisherige Praxis der Feststellung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst wird dem nicht gerecht.

Die SPD geht aus von den bestehenden gesetzlichen und tarifrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen und Pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Unser demokratisches Gemeinwesen verlangt zu Recht von den Beamten, Richtern, Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst und den Berufssoldaten Verfassungstreue.

Die SPD wendet sich jedoch gegen eine Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften, die auf eine Gesinnungsprüfung hinauslaufen und eine nicht mögliche Prognose über künftiges Verhalten eines Menschen verlangen. Sie will nicht mit Prognosen spekulieren, sondern konkretes Verhalten beurteilen.

Die SPD geht von einer Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes in der rechts- und sozialstaatlichen Demokratie aus, wie sie aus den Bestimmungen des Grundgesetzes folgt. Danach genießen die Angehörigen des öffentlichen Dienstes den gleichen Schutz der Grundrechte wie alle Staatsbürger; insbesondere darf niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden (Art. 3 Abs. 3 GG) und niemandem aus einer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen (Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG).

Hiervon ausgehend tritt die SPD für folgende Grundsätze zur Feststellung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst ein:

1. Der Staat hat von der Vermutung auszugehen, daß der einzelne Bewerber und der Angehörige des öffentlichen Dienstes die Gewähr der Verfassungstreue bietet. Das entspricht der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Oktober 1975.

2. Die Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation, die Betätigung in ihr und für sie bzw. ihre Unterstützung im Rahmen des geltenden Rechts reicht allein für die Ablehnung eines Bewerbers oder für die Entlassung eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes nicht aus. Grund für die Ablehnung oder Entlassung darf nur konkretes Verhalten (Handlungen, Äußerungen und Unterlassungen) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sein. Das gilt für Verhalten sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Partei oder Organisation.

3. Bei der Entscheidung über die Einstellung oder Entlassung ist nur von den Tatsachen auszugehen, die der Einstellungs- oder Beschäftigungsbehörde ohne besondere Ermittlungen bekannt sind: deshalb findet eine routinemäßige Anfrage beim Verfassungsschutz nicht statt.

4. Eine Anfrage beim Verfassungsschutz muß jedoch stattfinden:

a) wenn der Behörde Tatsachen bekannt sind, die Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers oder eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes begründen;

b) bei der Einstellung von Richtern, Staatsanwälten, Polizei- und Strafvollzugsbediensteten, Berufssoldaten und solchen Personen, die nach der Entscheidung des politisch verantwortlichen Ministers/Senators in der Verwaltung eine besondere Vertrauensstellung erhalten sollen.

5. Die Anfrage erfolgt erst, wenn der Bewerber alle sonstigen dienstrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und seine Einstellung beabsichtigt ist.

6. Die Anfrage bezieht sich nur auf Tatsachen, die eine Ablehnung oder Entlassung begründen können (siehe Grundsatz 2).

7. Tatsachen sind vorhalt bare und vor Gericht verwertbare Erkenntnisse, die für die Beurteilung der Verfassungstreue bedeutsam sind. Erkenntnisse über Tatsachen, die aus der Zeit vor Vollendung des 18. Lebensjahres stammen oder die mehr als zwei Jahre zurückliegen, sind nicht zu berücksichtigen.

8. In Fällen, in denen Zweifel an der Verfassungstreue bestehen, liegt die Zuständigkeit für Anfragen beim Verfassungsschutz, für Ablehnungen von Bewerbern oder die Einleitung von Entlassungsverfahren bei der obersten Dienstbehörde, d.h. dem politisch verantwortlichen Minister/Senator.

9. Die nach besonderen Richtlinien durchzuführende Sicherheitsprüfung bleibt unberührt.

Um Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit des Dienstrechts zu sichern, empfiehlt die SPD dem Bund und den Ländern, zu prüfen, wie disziplinarrechtliche Ordnungsmaßnahmen unter Beachtung des Rechtsstaatsprinzips und des Personalvertretungsrechts zügig durchgesetzt werden können.

Soweit bei der Ausbildung zu Berufen, für die der Staat das Ausbildungsmonopol besitzt, der Schutz der Verfassung nach den 9 Grundsätzen nicht gewährleistet ist, empfiehlt die SPD zu prüfen, ob einer Sondervorschrift für Monopolausbildungen (entsprechend der Voraussetzung für die Zulassung von Rechtsanwälten - § 7 der Bundesrechtsanwaltsordnung -) geschaffen werden sollte.

 

Diese Grundsätze wurden von einem außerordentlichen SPD-Parteitag in Köln am 10.12.1978 bestätigt.

Im Bundesland mit der härtesten Handhabung des Radikalenerlasses wandte sich die Landtagsopposition, die bayerische SPD, mit einer Interpellation zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst gegen die Praxis .der bayerischen Staatsregierung.

 

Aus der Interpellation der SPD in in Bayerischen Landtag am 29.11.1978

Betreff: Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst

I.

1.a) Wie vollzog sich die Überprüfungspraxis bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst vor dem Beschluß vom 28. Januar 1972?

b) Hat die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1972 Anlaß dazu gegeben, eine Überprüfungspraxis mit Regelanfragen bei den Verfassungsschutzämtern zu installieren ?

c) Ist während dieser Zeit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes durch Extremisten im Staatsdienst beeinträchtigt worden ?

2. Teilt die Staatsregierung die Auffassung, daß weder die Verfassung, noch die geltenden Beamtengesetze, noch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes die sog. Regelanfrage bei der Einstellung eines Bewerbers in den öffentlichen Dienst erforderlich machen?

( . . . )

11. Welche Erkenntnisse werden vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz an die Einstellungsbehörden weitergegeben? Teilt die Staatsregierung die Auffassung, daß nur solche gerichtsverwertbaren Erkenntnisse vom Verfassungsschutzamt an die Einstellungsbehörde weitergegeben werden sollten, die den Schluß zulassen, daß der Bewerber sich nachhaltig gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenden wird?

III.

1. In welcher Weise hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz von der gemäß

Art. 4 des Gesetzes über die Errichtung eines Landesamtes für Verfassungsschutz gegebenen Möglichkeit, auch bei Schulleitungen Auskünfte und Informationen über Schüler einzuholen, bisher Gebrauch gemacht?

Wurden oder werden von der bayerischen Verfassungsschutzbehörde über Schüler an Schulen Erkenntnisse gesammelt und ggf. auf welche Weise?

2. Wie erklärt die Staatsregierung die Tatsache, daß entgegen den Behauptungen des Staatsministers des Innern vor dem Landtag, angeblich verfassungsfeindliche Aktivitäten von Schülern hätten seit dem 1. Januar 1973 in Bayern in keinem Fall zur Ablehnung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst geführt und seien auch gar nicht vorgebracht worden, die Regierung von Schwaben in dem Einstellungsgespräch am 7. Oktober 1976 sehr intensiv und nachdrücklich auf die Schulzeit des Bewerbers und auf dessen Mitgliedschaft in Schülervereinigungen einging?

3. Ist der Staatsregierung bekannt, daß dem Lehramtsbewerber Reinhard Vanoni im Einstellungsverfahren bei der Regierung von Oberbayern am 5. September 19 77 vorgeworfen wurde, bei einer von der örtlichen SPD unterstützten Rosenheimer Schüler- und Lehrlingszeitung einmal im Impressum unter den Mitarbeitern aufgeführt worden zu sein?

Wie verträgt sich dies mit der Verlautbarung der Staatsregierung, ,,Schulinterna" und angebliche „Jugendsünden" spielten keine Rolle?

( . . . )

V.

1. Wie beurteilt die Staatsregierung die Verfassungsschutzberichte, die Organisationen klassifizieren und ihr Eintreten für durchaus grundgesetzkonforme Forderungen in einer Weise veröffentlichen, daß unkritische Bürger zu der Auffassung gelangen könnten, diese Forderungen seien verfassungswidrig?

2. Ist sich die Staatsregierung bewußt, daß mit der Erwähnung des Bundes Naturschutz, evangelischer und katholischer Studentengruppen, des Liberalen Hochschulverbandes, der Jungdemokraten, der Jungsozialisten, der Gewerkschaftsjugend u.a. im bayerischen Verfassungsschutzbericht diese Organisationen der Gefahr der Diskriminierung ausgesetzt werden?

3. Teilt die Staatsregierung die Auffassung, daß die gegenwärtige bayerische Praxis eine Verunsicherung vieler Jugendlicher mit sich bringt  und deren Engagement - es sei denn es gilt der regierenden CSU - für die demokratischen Parteien verringert?

4. Teilt die Staatsregierung die Auffassung, daß grundsätzlich Kritik an der in der Bundesrepublik Deutschland praktizierten wirtschaftlichen Ordnung nicht zu Zweifeln an der Verfassungstreue führen darf?

5. Macht sich die Staatsregierung die Feststellung der Regierung von Schwaben zu eigen, die in einem Ablehnungsbescheid einer Bewerbung die Forderung nach „fortschreitender Demokratisierung aller gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse" für verfassungswidrig   erklärt hat?

 

,,Ich stelle lieber 20 Kommunisten als Lehrer ein, als daß ich 200 000 junge Leute verunsichere," erklärte der damalige Hamburger Bürgermeister Hans Ulrich Klose am 26.9.1978 vor der Hamburger Landeskonferenz

.In einem Brief an den SPD-Vorsitzenden Willy Brandt faßte Klose die Punkte zusammen, die Hamburg notfalls auch alleine zur Politik machen wolle, von denen sich der Stadtstaat allerdings wünsche, daß sie sich „mit denen decken würden, die der Parteivorstand zu erarbeiten angekündigt hat". Dabei enthält der erste Punkt die radikale Abkehr vom Radikalenbeschluß :

- ,,Für jeden Bewerber und Mitarbeiter gilt die positive Vermutung der Verfassungstreue."

- Diese Vermutung kann nur durch aktives Handeln gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung widerlegt werden. Das bedeutet, daß die Mitgliedschaft einschließlich der  Funktion in einer verfassungsfeindlichen Organisation für sich genommen für die Ablehnung eines Bewerbers oder für die Entlassung nicht ausreicht. Entscheidend ist das persönliche Verhalten, also zum Beispiel konkret verfassungsfeindliche Propaganda oder einseitige ideologische Beeinflussung am Arbeitsplatz oder die Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele.

- Grundlage der Beurteilung des Verhaltens sind nur solche Tatsachen, die der Einstellungsbehörde ohne besondere Ermittlungen während der Probezeit bekanntgeworden sind. Eine routinemäßige Anfrage beim Verfassungsschutz wird nicht vorgenommen.

Am 5. Nov.1978 bekräftige Bundeskanzler Schmidt vor einem SPD-Parteitag in Saarbrücken, daß die Bundesregierung ,jede Gesinnungsschnüffelei entschieden ablehnt'.'. Andererseits werde es die Regierung aber auch nicht zulassen, ,,den Gehorsam gegenüber der Verfassung zu verletzen". Der Bundesregierung, so ihr Sprecher Klaus Bölling, gehe es darum, ,,daß wir in unserem Land nicht Opportunisten und angepaßte junge Bürger sich entwickeln sehen, sondern Bürger, die selbstbewußt, mit Mut und kritisch für diese Demokratie wirken".

Innenminister Baum sprach sich ebenfalls am 5. November in der Fernsehsendung „Bonner Perspektiven" für eine weitere Liberalisierung" des Extremistenbeschlusses aus.

Die Bundesreigerung blieb nach mehrstündigen Beratungen am 8. November 1978 bei ihren im Mai 1976 beschlossenen Richtlinien, mit denen sie für ihren Bereich den Extremistenbeschluß außer Kraft gesetzt hatte.

Dazu muß allerdings festgestellt werden:

• Diese Beschlüsse sind halbherzig, da sie auf den Bereich der Bundesregierung beschränkt bleiben; die Abschaffung des Ministerpräsidentenbeschlusses von 1972 und damit eine andere Praxis in den Bundesländern wurde nicht angestrebt.

• Eine Änderung des Beamtenrechtes und der Einstellungsbedingungen wurde nicht angegangen.

• Die Bundesregierung hat in ihrem eigenen Bereich die Praxis des „Radikalenerlasses verschärft. Die Disziplinarverfahren des Bundesdisziplinaranwalts im Post- und Bahnbereich wurden nicht unterbunden, falls das überhaupt ernsthaft beabsichtigt gewesen war. Entlassungsverfahren gegen Lebenszeitbeamte wurden  weiter betrieben, zuletzt gipfelnd in der Entlassung des Postbeamten und DKP-Mitglieds Hans Peter.

 

4.5. Gewerkschaftsbewegung

Der Widerstand der Gewerkschaften gegen den „Radikalenerlaß" wurde angesichts der haarsträubenden Praktiken der Einstellungsbehörden immer entschlossener, der Ruf nach Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit immer dringender.

Zwei Beschlüsse im Wortlaut:

Beschluß der Landesdelegiertenkonferenz des DGB Bayern 1978

Im In- und Ausland wächst die Besorgnis über die in der Bundesrepublik, besonders in den konservativ regierten Ländern wie Bayern, geübte Praxis, gegen politisch engagierte Lehrer und andere Angehörige oder Bewerber des öffentlichen Dienstes Überprüfungs- und Anhörungsverfahren einzuleiten, die für die Betroffenen einschneidende Folgen für ihren Berufs- bzw. Ausbildungsweg zur  Folge haben können.

Hundertausende von Bewerbern wurden schon überprüft, einigen Hundert verwehrte man die Tätigkeit im öffentlichen Dienst oder sie durften ihre Ausbildung nicht vollenden.

Wie weitgehend die Auslegung der angeblich nicht gewährleisteten Verfassungstreue in Bayern ist, beweist der jüngste Fall des Berufs- und Ausbildungsverbotes in Bayern des Landesvorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft - Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG-IDK) und Gewerkschaftskollegen Heinrich Häberlein. Die Landesbezirkskonferenz des DGB Bayern ist empört über das Urteil der Ersten Kammer des Verwaltungsgerichtes Ansbach. Das Gericht hat damit die skandalöse Entscheidung der mittelfränkischen Einstellungsbehörde, den Kollegen Häberlein nicht als Beamten in den öffentlichen Dienst des· Staates zu übernehmen, bestätigt. Die Entscheidung beweist einmal mehr, daß die Praxis des Radikalenerlasses in Bayern in diesem wie auch in anderen Fällen mit der Abwehr von Verfassungsgegnern sehr wenig, mit dem Versuch, eine ganze Generation einzuschüchtern, hingegen sehr viel zu tun hat.

Das Ergebnis der Anwendung des Radikalenerlasses in Bayern sollen offenbar nicht Beamte sein, die sich aktiv für die Demokratie engagieren, sondern im Gegenteil passive, eingeschüchterte und überängstliche Duckmäuser. Was die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit im Fall des Kollegen Häberlein besonders gravierend macht, ist

1. daß das Gericht, anstatt die engagierte Betätigung in einem demokratischen Verband positiv zu werten, pauschal einen nicht ausreichenden AntiKommunismus zum Grund der Ablehnung macht;

2. daß das Gericht - entgegen den Grundsätzen des VerfassungsgerichtsUrteils vom 22. Mai 1975 - mit seiner Entscheidung bereits die Ableistung des Vorbereitungsdienstes und damit die Möglichkeit, die Berufsausbildung abzuschließen, verwehrt.

Die Anwendung des Radikalenerlasses ·verletzt elementare im Grundgesetz verankerte Grundrechte, insbesondere auf freie politische Betätigung, Berufsausbildung und -ausübung.

Die Delegierten der 11. Ordentlichen Landesbezirkskonferenz bekräftigen daher die im Beschluß des DGB-Bundesausschusses vom 8.6.1977 geforderte Rechtsstaatlichkeit bei der Abwehr von Verfassungsgegnern im öffentlichen Dienst. Die Praxis die in Bayern bei der Anwendung der Beamtengesetze und der Tarifverträge vorherrschend ist, entspricht nicht den Grundsätzen, wie sie vom Bundesausschuß des DGB am 8.6.1977 gefordert worden sind. Die Delegierten betonen die im Bundesausschußbeschluß vertretene Auffassung, daß bei Beantwortung der Frage, ob jemand Gewähr bietet für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, weder seine politische Meinung noch Gesinnung maßgebend sein kann, sondern ausschließlich die Feststellung einer auf die Beseitigung der tragenden Grundsätze unserer Verfassung gerichteten aktiven Betätigung.

Der DGB-Bayern und seine Gewerksschaften werden sich auch weiterhin mit politischen und juristischen Mitteln gegen die rechtswidrige Anwendung des Radikalenerlasses in Bayern einsetzen.

Wendepunkt in der Entwicklung nach dem sogenannten „Radikalenerlaß"

Beschluß der Landesvertreterversammlung der GEW Bayern vom bis 24. 5. 1981

Seit fast einem Jahrzehnt sind in der Bundesrepublik wichtigste Elemente des Grundgesetzes, z.B. die Meinungsfreiheit, die freie Berufswahl - insbesondere das Recht des gleichen Zugangs zum öffentlichen Dienst – aber auch das grundgesetzliche Verbot politisch und weltanschaulich begründeter Diskriminierung im Sinne eines besorgniserregenden Abbaus demokratischer und sozialer Grundrechte zum Teil außer Kraft gesetzt.

Auftakt dazu war der Beschluß der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers am 28.1.1972, der sog . .,Radikalenerlaß". Mit ihm wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der sich die junge Generation verunsichert fühlen mußte aufgrund einer rigiden Verhörund Ablehnungspraxis staatlicher Einstellungsbehörden.

Der „Radikalenerlaß", die damit verbundene Praxis der generellen politischen Überprüfung und Überwachung und die Praxis der Berufsund der Berufsausbildungsverbote haben zu dieser für die Demokratie schädlichen Entwicklung maßgebend beigetragen. Auch im Ausland  wird mit zunehmender Sorge der Verfall demokratischer Grundsätze in der BRD beobachtet.

Das Grundrecht auf Ausbildung - z.B. für ein Lehramt - wird in Bayern von Anfang an verwehrt. Oft muß der Zugang zum öffentlichen Dienst gerichtlich erstritten werden. Bei der Bewerbung um das Beamtenverhältnis auf Probe wird dann die Bewährung im Vorbe.reitungsdienst zumeist nicht anerkannt. Mit Disziplinarverfahren wird der Versuch unternommen, Lebenszeit-Beamte wegen einer mißliebigen Parteizugehörigkeit aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Besonders gravierend ist dabei der Umstand, daß sich die Bundesregierung, die für ihren Bereich den ,,Radikalenerlaß" für abgeschafft erklärt hat, in den Verwaltungsbereichen Post und Bahn zum Vorreiter der Disziplinierung gemacht hat.

Trotz serienweiser Niederlagen vor Verwaltungs- und Arbeitsgerichten wegen ihrer rechts- und teilweise verfassungswidrigen Praktiken hat die Bayerische Staatsregierung ihre Berufsverbotspraktiken auf immer mehr Gruppen von Kritikern ihrer Politik (z.B. Pazifisten) ausgedehnt. Sie hat sich weder um Urteile gekümmert, noch ihre Verhöre beendet, obwohl z.B. 90 % aller rechtskräftig abgeschlossenen Rechtsschutzfälle der GEW erfolgreich waren.

Durch die unlängst ergangenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes, letztlich eine Zusammenfassung der reaktionärsten Elemente der bisherigen Rechtsprechung, ist allerdings eine Wende der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten  eingetreten. Den Behörden ist eine „Beurteilungsermächtigung" hinsichtlich der Wertung politischer Ansichten eingeräumt worden, die rechtlich kaum mehr überprüfbar sein wird, und damit zu einem alarmierenden Abbau weiterer Prinzipien der verfassungsmäßigen demokratischen Grundordnung beiträgt.

Damit gewinnt der politische Kampf gegen die Berufsverbote einen noch größeren  Stellenwert.

Die GEW-Bayern hat, wie auch andere Landesverbände, von anfang an vor dieser Entwicklung gewarnt und mit politischen und rechtlichen Mitteln konsequent gegen Berufsverbote und Abbau von Grundrechten gekämpft. Auch der Gewerkschaftstag 1980 der GEW und im Anschluß daran der Hauptausschuß (13. Februar 1981) haben die prinzipielle Ablehnung des sog. ,,Radikalenerlasses" bestätigt.

Daß sich der Kampf gegen die Praxis der Berufsverbote aber auch lohnt, beweist neben den rechtlichen Erfolgen vor allem die Entwicklung in den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen, wo - freilich ohne konsequente Abkehr von jeglicher politischen Überwachung - zumindest in der letzten Zeit keine neuen Ablehnungsfälle mehr auftreten, teilweise auch mit der Rehabilitierung der Betroffenen begonnen wurde. Solange jedoch die politische Diskriminierung junger Menschen mit dem Schlagwort „Verfassungsfeind" nicht aufhört und daraus Berufs- und Berufsausbildungsverbote werden können, wird die GEW-Bayern ihren Mitgliedern, die davon betroffen sind, jeden möglichen rechtlichen Schutz und die gewerkschaftliche Unterstützung gewähren.

Die Gewerkschaftsbewegung als bedeutendste demokratische Kraft unseres Landes ist hier aufgerufen. die Grundrechte der Bürger gegen Berufsverbieter und reaktionäre Politiker zu verteidigen, zumal die Berufsverbotepraxis auch auf die Privatwirtschaft ausgedehnt wird. Darüber hinaus muß ein politischer Anstoß erfolgen zur Wiederherstellung der wichtigsten verfassungsmäßigen Rechte aller Bürger und zur Verwirklichung des Verfassungsauftrages des Grundgesetzes.

Am 28.1.1982 jährt sich zum zehnten Mal der Beginn dieser Berufsverbotspraxis. Die GEW Bayern wird zusammen mit dem DGB dieses Datum zum Anlaß nehmen, eine breite Öffentlichkeit für die Wiederherstellung der politischen Meinungsfreiheit zu gewinnen.

1. Der Landesvorstand ist aufgefordert, die DDS Januar 1982 mit einer geeigneten Dokumentation und Erklärung an die Öffentlichkeit zu geben, die auch geeignet ist, gewerkschaftliche Solidarität im Ausland zu initiieren. Dazu wird beim Landesvorstand eine Arbeitsgruppe eingerichtet.

2. Möglichst zusammen mit dem DGB, anderen DGB-Gewerkschaften und mit örtlichen Initiativen gegen Berufsverbote wird in jedem Kreisverband der GEW im Rahmen einer Aktionswoche (Monat) zu Beginn des Jahres 1982 eine öffentlichkeitswirksame Aktion durchgeführt. Eine interne Mitgliederversammlung mit Referat ist keine ausreichende Aktion!

Der Arbeitstitel für die Aktionswoche: ,,Gegen Disziplinierung am Arbeitsplatz, gegen Berufsverbote - für Wiederherstellung politischer Grundrechte."

3. Der Landesvorstand wird aufgefordert , im Rahmen dieser GEW-Aktion eine zentrale Veranstaltung in München durchzuführen.

4. Die bayerischen GEW-Mitglieder werden aufgefordert, eine Spende in der Höhe ihres Monatsbeitrags in den Solidaritätsfond der GEW zu leisten.

5. Die Mitglieder der GEW Bayern werden aufgefordert, das Thema - besonders im Hinblick auf das oberste Bildungsziel „Erziehung im Geiste der Demokratie" – zu behandeln. Die Kreisverbände sind aufgefordert - aufgerufen, geeignete Unterrichtsmaterialien zu erstellen.

6. Die gesamte GEW wird in diesem Zusammenhang , auf der Grundlage des DGBGrundsatzprogramms, die Diskussion über die dringende Reform des öffentlichen Dienstrechts, verbunden mit der notwendigen Aufhebung der hergebrachten Dreiteilung in Beamte, Angestellte und Arbeiter, verstärkt führen.

7. Die GEW Bayern wird auch im kommenden Personalratswahlkampf, vor allem im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Mitwirkung der Personalräte bei Einstellungsverfahren, das Thema Berufsverbote und politische Disziplinierung thematisieren.

8. Der Landesvorstand wirkt in den Bundesgremien darauf hin, daß auch in der GEW/Bund und in den anderen GEW-Landesverbänden Aktivitäten im Sinne dieses Antrages entwickelt werden (Sondernummern der GEW Zeitungen, Aktionswochen, zentrale Veranstaltungen mit dem DGB und anderen DGB Gewerkschaften, Spende in Höhe eines Monatsbeitrages in den Solidaritätsfond der GEW.)