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Stellungnahme der GEW Bayern im Rahmen der Verbändeanhörung

Zum Gesetzentwurf zur Förderung der Bundeswehr

Der Ministerrat hat den Entwurf für ein Bayerisches "Bundeswehr-Gesetz" gebilligt. Die GEW hat sich im Rahmen der Verbändeanhörung gegen die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und gegen den Einsatz der Bundeswehr im Klassenzimmer geäußert. Die ausführliche Stellungnahme der GEW Bayern dokumentieren wir im Folgenden:

Jugendoffizierin der Bundeswehr mit Waffe in der Hand. Sie schießt vor Jugendlichen, die hinter ihr sitzen und zugucken.
Original-Beschreibungstext zu diesem Bild: "Sie erläutert dem interessierten Bürger die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dabei informiert sie in Seminaren, Vorträgen und Diskussionen vor allem über den deutschen Beitrag zur internationalen Konfliktprävention und -bewältigung sowie über Schwierigkeiten und Perspektiven von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Kapitänleutnant Andrea Schulze ist Jugendoffizier und somit ein wesentlicher Bestandteil der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr." Original-Bild "Kommunikation ist ihre Aufgabe" von der Bundeswehr unter Creative-Commons-Lizenz. Veröffentlicht auf https://www.flickr.com/photos/wirdienendeutschland/ unter folgenden Bedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/deed.de#re

GRUNDSÄTZLICHES ZUM VORHABEN DES GESETZENTWURFES

Das Grundverständnis der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) von Bildung und Wissenschaft legt einen starken Fokus auf das Wohl des Einzelnen als auch auf das aller Menschen sowie – daraus abgeleitet – auf den Gedanken zur Nachhaltigkeit. Dies impliziert ein friedliches und solidarisches Miteinander, das nicht nur auf ein friedliches Zusammenleben zwischen den Menschen abzielt, sondern auch auf einen verantwortlichen Umgang mit sämtlichen Lebensformen. Wir leiten daraus eine Kritik an militärischer Konfliktlösung und Rüstungsproduktion ab. Die Produktion von Rüstungsgütern erfordert die Ausbeutung natürlicher Lebensgrundlagen. Ihr Einsatz führt zu Zerstörung. Daher befürwortet die Bildungsgewerkschaft GEW ein ‚Friedensgebot‘ für alle Bildungseinrichtungen, also für Schulen, Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen.

Zudem versteht sich die GEW als Mitgliedsgewerkschaft des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) als aktiver Teil der Friedensbewegung. Deshalb wenden wir uns auch gegen den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in Bildungseinrichtungen:

„Der DGB verurteilt die teils aggressive, teils verdeckte Werbung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit und in Bildungseinrichtungen für den Einsatz von Kriegswaffen und für den Soldat/innenberuf“.

Angesichts der von Ihnen benannten Zeitenwende als Grundlage des Gesetzentwurfs möchten wir auf die Beschlussfassung unserer Landesvertreter*innenversammlung im April letzten Jahres hinweisen:

„Nach mehr als einem Jahr ‚Zeitenwende‘ in der Politik der Bundesregierung bekräftigen wir als Gewerkschafter*innen unsere Positionen für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung. Als Teil der Friedens- und antimilitaristischen Bewegung und vor dem Hintergrund fehlender 100 Milliarden [Euro] in der Bildung, stellen wir uns als Lehrer*innen, Erzieher*innen, Pädagog*innen, Student*innen und Wissenschaftler*innen in Bildung und Forschung gegen weitere Aufrüstung und Militarisierung.“

Das im Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern angedachte ‚Kooperationsgebot‘ mit der Bundeswehr und die öffentlich finanzierte Wehr- und Rüstungsforschung nehmen hingegen als Grundannahme und -voraussetzung gerade nicht das friedvolle und solidarische Miteinander der Menschen, sondern das Gegenteil in den Blick: ein von Beginn an konfliktorientiertes Verhältnis zueinander.

Der Gesetzesentwurf des Bayerischen Ministerrats steht in Konflikt zu den von uns bekräftigten Grundsätzen. Denn im Rahmen des Bundeswehrgesetzes soll der Besuch von Jugendoffizier*innen in Schulen verpflichtend eingeführt werden und den Universitäten und Hochschulen die Möglichkeit genommen werden, sich freiwillig der Forschung für nicht militärische Zwecke zu verpflichten. Als Bildungsgewerkschaft im DGB wollen wir uns im Rahmen der Verbandsanhörung im Folgenden zu diesen beiden Vorhaben äußern.

SICHERHEITSPOLITISCHER KONTEXT DES GESETZENTWURFES

Das neue Gesetz soll „vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Zeitenwende die Bundeswehr dabei unterstützen, ihren neuen Hauptauftrag Landes- und Bündnis­verteidigung zu erfüllen“. Der Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern geht davon aus, dass der Russland-Ukraine-Krieg und der Israel-Palästina-Krieg die Bundeswehr herausfordern, „die Einsatzbereitschaft zur Landes- und Bündnisverteidigung wiederherzustellen“ (vgl. Problembeschreibung im Gesetzesentwurf). Wir denken, dass hierbei die Eskalationsspiralen, in denen sich diese Kriege bewegen, nicht beachtet werden.

Die Zunahme militärischer Konflikte in der gegenwärtigen Zeit zeigt sehr deutlich, dass das sicherheitspolitische Konzept einer „Abschreckung durch Aufrüstung“ mit einer sich immer weiterdrehenden Aufrüstungsspirale gescheitert ist. Statt nun also eine weitere Militarisierung der Hochschulen mit grundgesetzlich nicht zu vereinbarenden Instrumenten wie einem Zivilklauselverbot oder Kooperationsverpflichtungen zu forcieren, wäre die bayerische Staatsregierung besser beraten, wenn sie friedenswissenschaftliche Ansätze in Forschung und Lehre an den Hochschulen des Freistaats fördert und ihre nachhaltige Verankerung in der bayerischen Hochschullandschaft mittels einer dauerhaften Finanzierung gewährleistet.

Diesem Gedanken folgend haben wir auf unserem a.o. Gewerkschaftstag in Leipzig Folgendes beschlossen:

„Die GEW lehnt das gigantische Rüstungspaket über 100 Milliarden Euro, das als Sondervermögen in den Bundeshaushalt 2022 eingestellt werden soll, und die langfristige Erhöhung des Wehretats auf jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab. Die GEW fordert, dass die für die Aufrüstung geplanten Gelder stattdessen für Bildung, Gesundheitswesen, Pflege, Umwelt- und Klimaschutz, Flüchtlingshilfe etc. bereitgestellt werden.“

In unserem Beschluss zur internationalen Zusammenarbeit hält der letzte GEW-Gewerkschaftstag fest:

„Statt Friedenssicherung und Rüstungskontrolle zu betreiben, wird weltweit massiv aufgerüstet. Nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg wurde so viel Geld für Waffen ausgegeben und waren international so viele Menschen auf der Flucht. […] Angesichts der Zunahme von Militarisierung, bewaffneten Konflikten und der Schwächung multilateraler Verträge und Institutionen wie der Vereinten Nationen droht eine erneute globale Aufrüstungsspirale. Statt höherer Ausgaben für immer modernere Waffen fordert die GEW eine internationale Abrüstungsinitiative und die Kontrolle von Waffenexporten. Entsprechend setzt sich die GEW gegenüber der Bundesregierung dafür ein, sich von der Zwei-Prozent-Vorgabe der NATO zu lösen. Die für Rüstungsausgaben eingeplanten Mittel sind für massive Investitionen in Bildung und die Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu verwenden. Die GEW fordert die Bundesregierung ebenfalls auf, sich entsprechend des im Jahr 2010 im Bundestag beschlossenen Antrags für eine Welt frei von Atomwaffen und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.“

ZUR GEPLANTEN ÄNDERUNG DES BAYERISCHEN HOCHSCHULINNOVATIONSGESETZES

Zivil- und Transparenzklauseln sind Selbstverpflichtungen und Bekenntnisse von Hochschulen, zu ausschließlich zivilen Zwecken zu forschen und zu lehren, die die Mitglieder einer Hochschule im Rahmen demokratisch geregelter Prozesse in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung beschließen. Dies mittels eines gesetzlich verankerten Verbots von Zivilklauseln zu unterbinden, wie es das Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern vorsieht, greift daher in unzulässigem Umfang in die Autonomie und Selbstverwaltungsstrukturen bayerischer Hochschulen ein.
Die Idee eines ‚Kooperationsgebots‘ läuft dem bundespolitischen Trend der letzten Jahre in den einzelnen Ländern zuwider. So haben Länder wie Bremen und Thüringen im Gegenteil sogenannte ‚Zivilklauseln‘ in ihre Hochschulgesetze aufgenommen, die in Hinblick auf das Wohl und die Würde des Menschen die wissenschaftlichen Einrichtungen zu einer ausschließlich zivilen, d. h. friedlichen Ausrichtung von Forschung und Lehre anhalten.
Die restlichen Länder machen den wissenschaftlichen Einrichtungen keine Vorgaben, womit sie ihnen ihr verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 GG) zugestehen. Der hochschulpolitische Ansatz im Entwurf des Ministerrats für ein bayerisches Bundeswehrgesetz ist daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

In den vergangenen Jahren hat die Hightech-Agenda in Bayern zu einer massiven Verschiebung der Forschungs- und Lehrtätigkeiten von wissenschaftlichen Einrichtungen in Bayern hin zu Hochtechnologie- und Naturwissenschaften geführt – inklusive einer ebenfalls massiven Verschiebung der Mittel und Zuwendungen. Dies alles ging in hohem Maße zulasten der Geistes- und Sozialwissenschaften, die sich oftmals einer wirtschaftlichen Verwertungslogik entziehen.
Da das ‚Kooperationsgebot‘, welches die Hochschulen mindestens zur Forschung für die Bundeswehr anhält, ohne einen entsprechenden Zuwachs im Haushalt vorgeschlagen wird, werden dadurch die ohnehin schon bestehenden Verteilungskämpfe weiter verschärft. Es steht zu erwarten, dass auch in diesem Fall die Geistes- und Sozialwissenschaften sowie insbesondere die ‚Kleinen Fächer‘ das Nachsehen haben werden, wenn die für die Bundeswehr notwendigen finanziellen Kapazitäten aus ihren Töpfen abgegriffen werden (im neuen Doppelhaushalt wurden die meisten Zuwendungen des Staates für wissenschaftliche Einrichtungen gekürzt).

Das Gebot bzw. die Verpflichtung zur Zusammenarbeit ziviler Hochschulen mit der Bundeswehr sind ebenfalls unvereinbar mit der im Grundgesetz in Art. 5 Abs. 3 verankerten Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Zudem ist der in der begleitenden Begründung des Gesetzes angeführte „Zugang zu wissenschaftlichem Know-how und wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften“ bereits heute über spezifisch militärische Einrichtungen wie beispielsweise die Universität der Bundeswehr München und der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg in ausreichendem Umfang gegeben und gesichert.

ZUR GEPLANTEN ÄNDERUNG DES BAYERISHCEN GESETZES ÜBER DAS ERZIEHUNGS- UND UNTERRICHTSWESEN

Mit dem Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern soll der Einsatz der Bundeswehr in den Schulen intensiviert werden. Dass die Einflussnahme der Bundeswehr-Jugendoffizier*innen auf die politische Willensbildung der Heranwachsenden  – oftmals sind es sogar noch Kinder – nicht neutral verläuft, sondern durchaus parteiisch ausgerichtet ist, ergibt sich bereits aus der Sonderstellung der Bundeswehr in den Klassenzimmern. Dieser Einfluss wurde bislang im Rahmen der Kooperationsvereinbarung ausgeübt und soll nun mit dem Entwurf des Ministerrats im Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz (BayEUG) festgeschrieben werden (aus dem Entwurf: „Die Schulen arbeiten mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung zusammen.“).
Die eingangs erwähnte Zielstellung des Bayerischen Ministerrats, „die Einsatzbereitschaft zur Landes- und Bündnisverteidigung wiederherzustellen“, deckt sich mit der Forderung des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius, der am 1. Juni 2023 eine neue Anwerbekampagne ankündigte. „Das Thema Personal habe neben dem Material höchste Priorität.“ Die von Ihnen formulierte Zielstellung, dass „auch künftig eine strikte Trennung von politischer Bildung und Unterstützung bei der beruflichen Orientierung gewahrt werden“ soll, ist angesichts der Zielstellung mit der Intensivierung der politischen Bildung durch die Bundeswehr die Einsatzbereitschaft für den Soldat*innendienst zu steigern, widersprüchlich. Für uns stellt sich also die Frage, wie diese Trennung gewährt werden kann.

Wir bezweifeln, dass speziell, aber nicht pädagogisch ausgebildete Jugendoffizier*innen der Bundeswehr die geeigneten Lehrkräfte für einen sicherheitspolitischen Exkurs im Sozialkundeunterricht sind. Wir können nicht davon ausgehen, dass das Prinzip der Schüler*innenorientierung in der politischen Bildung gewahrt wird, wenn die parteiliche Darstellung ohne sichtbare, zivile Gegenposition vermittelt wird. Wir meinen auch, dass das Thema Bundeswehr von dafür ausgebildeten und nicht von fachfremd unterrichtenden Lehrkräften (!) ausgewogen vermittelt werden sollte. Da die genannten Gründe fundamental für unsere Auffassung von Bildung an sich und vom Menschenrecht auf Bildung sind, spricht aus GEW-Sicht nichts für den Einsatz der Bundeswehr an Schulen. In Kriegs- wie auch in Friedenszeiten sollten in der demokratischen Erziehung die pädagogischen Grundsätze des „Beutelsbacher Konsens“ von 1976 beachtet werden: Um Lernende in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden, gilt ein Überwältigungsverbot im Klassenzimmer. Gleichzeitig gilt das Gebot der Kontroversität, demzufolge gegensätzliche Ansichten dargestellt und diskutiert werden müssen. Diese pädagogischen Grundsätze werden mit dem im Gesetzesentwurf vorgesehenen Kooperationsgebot ad absurdum geführt. Für die Beendigung der Kooperationsvereinbarungen sprach sich die GEW deswegen bereits im Jahr 2013 auf ihrem Bundes-Gewerkschaftstag aus. Aus unserer ablehnenden Haltung gegenüber der Kooperationsvereinbarung sind wir der Ansicht, dass das Kooperationsgebot mit der Bundeswehr nicht im BayEUG festgeschrieben werden sollte. Als GEW Bayern haben wir auf unserem Landesgewerkschaftstag im April letzten Jahres beschlossen: „Wir stehen weiterhin gegen jede Militarisierung im Bildungsbereich und gegen die Rekrutierung Minderjähriger durch die Bundeswehr.“
Grundsätzlich brauchen wir Lehrkräfte, die in den entsprechenden Fächern ausgebildet sind. Politische Bildung, die Kriegsursachen und die Folgen der Kriege thematisiert, ist eine weitere Möglichkeit, um für ein friedliches Miteinander zu werben. Friedenspolitische Bildung sollte aber auch fächerübergreifend thematisiert werden. Letztlich trägt aber auch ein konfliktlösungszentrierter Umgang zwischen den Schüler*innen, aber auch zwischen Schüler*innen und Fachpersonal in einer Schule zu einem praktischen Erleben friedenspolitischer Bildung bei. Wir meinen, Schüler*innen sind nicht in der Lage, die Risiken, die mit dem Eintritt in die Bundeswehr einhergehen, eingehend beurteilen zu können. Was aber gilt: Jugendliche haben ein Recht auf Bildung. Dafür müssen alle notwendigen Mittel und auch das notwendige Personal bereitgestellt werden. Die von Ihnen eingangs genannten Kriege sind für uns keine Gründe, Grundsätze der politischen Bildung zu unterlaufen. Denn unsere bildungspolitischen und friedenspolitischen Grundsätze und Positionen leiten sich aus einem humanistischen Bildungsideal und Menschenbild ab.

Mit den persönlichen Besuchen versucht sich die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber darzustellen, da sie seit dem Aussetzen der Wehrpflicht darauf angewiesen ist, mit Werbung um neue Rekrut*innen zu buhlen. Unter dem Vorwand gesellschaftspolitischer Information werden Schulen und andere Bildungsinstitutionen so zu Rekrutierungsorten durch die Hintertür. Es ist ja noch nicht einmal so, dass die Besuche der Jugendoffizier*innen nur bei über 18-jährigen Schülerinnen und Schülern erfolgen. In einem Bericht der Bundestags-Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder werden insbesondere die Inhalte der Bundeswehr-Werbung kritisiert.

Die Kommission bemängelt „die geringe Faktenorientierung, den geringen Informationsgehalt und die Unterkomplexität in den Werbekampagnen der Bundeswehr. So werbe die Bundeswehr immer wieder mit wissenschaftlich umstrittenen Aussagen, stelle nicht ausreichend die Komplexität des Soldatenberufes und die damit einhergehenden Gefahren dar. (…) Außerdem wurde bemängelt, dass die Werbung der Bundeswehr viel zu häufig auf potentielle Defizite von jungen Menschen abziele, verbunden mit dem Versprechen, dass diese Defizite bei der Bundeswehr überwunden werden könnten.“

Weiter lenkt die Bundeswehr kontinuierlich von den Gefahren des Soldat*innen-Berufs ab und wirbt stattdessen mit positiv belegten Begriffen wie Abenteuer, Spaß, Berufsausbildung, kostenloses Studium, gute Bezahlung usw., übrigens nicht nur an Bildungseinrichtungen, sondern auch auf Werbetafeln, in Schüler*innenzeitungen, beim alljährlichen Girls‘ Day, auf Tramwagen, in Anwerbe-Videos usw. Leider geben die Einwohnermeldeämter die Daten von Jugendlichen an die Bundeswehr weiter, ohne dass die Betroffenen dieser Datenverarbeitung zustimmen oder wiedersprechen können. Die Bundeswehr verschickt dann Werbematerial an die Jugendlichen unter 18 Jahre.

In Bayern gab es von Anfang 2022 bis Mitte 2023 über 160 Werbeeinsätze in Bildungseinrichtungen. Zusätzlich wirbt die Bundeswehr mit sogenannten „Karriere-Trucks“ auf Jobmessen oder schlimmer noch auf der Spielemesse „Gamescom“. Ob auf dem Schulgelände oder am Wochenende oder in der unterrichtsfreien Zeit – als GEW sind wir gegen solche Formen der Information, die in realiter Werbung ist. Wir sehen einen Zusammenhang zu den an sich steigenden Zahlen junger Rekrut*innen, die im letzten Jahr laut Bundesverteidigungsministerium verglichen mit 2021 von 2.016 auf 2.471 gestiegen ist. Das entspricht einem Zuwachs von rund 22,5 Prozent. Vor allem aber sehen wir einen Zusammenhang zwischen der gestiegenen Informations- und Werbearbeit der Bundeswehr bei Heranwachsenden und dem skandalösen Umstand, dass seit fünf Jahren jeweils ein Viertel aller minderjähriger Soldat*innen in Bayern rekrutiert wird.

Dabei wiederspricht die Werbung und die damit verbundene Rekrutierung von Minderjährigen den Verpflichtungen der UN-Kinderrechtskonvention. Zu einem Anwerbeverbot bei Jugendlichen unter 18 Jahren haben sich bereits mehr als 150 Staaten weltweit – darunter 23 NATO-Staaten und 21 EU-Länder – verpflichtet. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes und die Kinderkommission des Bundestags haben die Bundesregierung mehrfach aufgefordert, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben. Im Bericht ebenjenes Ausschusses der Vereinten Nationen von 2022 heißt es:

„Unter Hinweis auf seine vorherigen Empfehlungen fordert der Ausschuss die Vertragspartei nachdrücklich dazu auf, ihren Standpunkt bezüglich des Mindestalters für die freiwillige Verpflichtung bei den Streitkräften zu überdenken und empfiehlt der Vertragspartei: (a) das Mindestalter für die freiwillige Verpflichtung bei den Streitkräften auf 18 Jahre anzuheben und alle Formen der auf Kinder ausgerichteten Werbung oder Vermarktung des Militärdienstes zu verbieten, insbesondere an Schulen; (b) unverzüglich Berichte über sexuellen Missbrauch, sexuelle Belästigung und sonstige Formen von Gewalt gegen Kinder in den Streitkräften zu untersuchen und zu gewährleisten, dass die Täterinnen und Täter strafrechtlich verfolgt und bestraft werden“.

Zum Hintergrund der Forderung (b) erläuterte Martina Schmerr, Referentin im Organisationsbereich Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, anlässlich des Weltkindertags 2021:

„In einem Drittel der Fälle sexueller Gewalt, die minderjährige Soldatinnen und Soldaten in den vergangenen drei Jahren erleiden mussten, stehen Vorgesetzte unter Tatverdacht – dies deutet auf Machtmissbrauch und ein systemisches Problem bei der Bundeswehr hin. Und es macht sehr deutlich: Die Bundeswehr ist kein Ort für Kinder und Jugendliche.“

Doch im vergangenen Jahr wurden 1.996 von 18.802 Soldatinnen und Soldaten im Alter unter 18 Jahre bei der Bundeswehr ausgebildet – das entspricht 10,6 Prozent aller neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten und stellt damit einen Rekord seit Beginn der Erfassung dar. Darauf bezugnehmend fordert die GEW eine Anhebung des Rekrutierungsalters für Soldaten und Soldatinnen auf 18 Jahre sowie ein Verbot jeglicher Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen, damit die Kinderrechte umfassend verwirklicht werden.

Der Einsatz der Jugendoffizier*innen generell wäre nur tragbar, wenn die notwendige politische Ausgewogenheit gewährleistet ist. Dazu müssten die unterschiedlichen friedenspolitischen Konzepte, die Kontroversen über die verfassungsmäßige Funktion der Bundeswehr und die Möglichkeit des Zivildienstes sowie die verschiedenen Konzepte der internationalen Friedenspolitik in gleicher Gewichtung dargestellt werden. Davon jedoch ist im vorliegenden Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern nicht die Rede.

Ergänzend ist anzumerken: Der Besuch der Bundeswehr im Klassenzimmer stellt einen Bruch des Neutralitätsgebots der politischen Bildung dar. Denn die Bundeswehr verfügt über ein enormes Budget und hauptamtliche Jugendoffizier*innen. Kein Verein und keine Gruppierung der Friedensbewegung verfügt über ähnliche Mittel bzw. Personal. Damit ist eine Ausgewogenheit hinsichtlich der Themen Militär, Friedenssicherung usw. nicht gegeben. Diese Kritik wurde so auch vom Kinderrechte-Ausschuss des Deutschen Bundestags formuliert. Er kritisiert, dass die hauptamtlichen Jugendoffizier*innen einen strategischen Vorteil gegenüber ehrenamtlichen Friedensaktivist*innen haben und dadurch „einen privilegierten Zugang zu Schulen oder auch zur Lehramtsausbildung an den Universitäten“ gewährt bekommen.

SCHLUSSBEMERKUNG

Der sicherheitspolitische Kontext begründet die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht, noch begründen sich dadurch die vorgeschlagenen Änderungen im Bildungs- und Forschungsbereich. Die verfassungsrechtlichen Bedenken zur Freiheit von Forschung und Lehre bei Annahme und Umsetzung des Gesetzentwurfes und die pädagogischen Einwände gegen die Umsetzung der Zielstellung des Gesetzentwurfes im Wirkungsfeld von Schulen und damit bei Kindern und Jugendlichen lassen uns den vorliegenden Entwurf negativ bewerten.

Wir appellieren an den Bayerischen Ministerrat, das Vorhaben Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern in der vorliegenden Form zu verwerfen und Ansätze der stärkeren Militarisierung von Bildungseinrichtungen nicht weiter zu verfolgen.

 

Kontakt
Martina Borgendale
Vorsitzende
Adresse Neumarkter Straße 22
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Telefon:  089 544081 – 17
Kontakt
Eduard Meusel
Vorsitzender Landesfachgruppe Hochschule und Forschung, Leitungsteam Gewerkschaftliche Bildungsarbeit