Seminar-Bericht
"Zeitenwenden?"
Das traditionelle Sommerseminar der GEW Bayern - wie in den letzten Jahren ausgerichtet von der AG Perspektiven - befasste sich eingehend mit der Frage gewerkschaftlicher Friedenspolitik.
Das Seminarhotel “Schöne Aussicht” machte auf Landschaft und Wetter bezogen seinem Namen alle Ehre. In kollegialer bis freundschaftlicher Atmosphäre haben wir, wie in der Einladung angekündigt, ein Wochenende lang über die Herausforderungen der Gewerkschaften in der “Zeitenwende” diskutiert.
Mit dem satirischen Brassens-Chanson “Weltkrieg No. I” in der Übersetzung von F. - J. Degenhardt (https://www.youtube.com/watch?v=McAsQSlLoQs) begrüßte Reinhard Frankl und stimmte die Runde auf die Thematik ein. Trotz etlicher kurzfristiger Absagen zählte diese erfreulicherweise noch gut über 20.
Nach Vorstellungsrunde und ein paar Blitzlichtern in bzw. aus den vertretenen bayerischen Regionen hinsichtlich gewerkschaftlicher Präsenz bei Friedensaktionen 2024 (z. B. Ostermärsche) berichtete die Kollegin Ulrike Eifler (GS IGM WÜ) über das Projekt “gewerkschaftliche Friedenskonferenzen”, das in dem im Vorjahr gesetzten diesbezüglichen Meilenstein (Hanau) seinen Auftakt hatte. Sie stellte den von ihr herausgegebenen Sammelband dort gehaltener Vorträge vor (vgl. Buchbesprechung von R.F.), ging aber auch ausführlich auf die Folgekonferenz im Juni d. J. in Stuttgart ein, die wieder mit großer Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und diesmal der ver.di-Geschäftstelle dort stattfinden konnte (vgl. https://www.rosalux.de/mediathek/media/element/2535 ).
Da die DB schon in Marburg ihre Probleme zeigte, unseren Referenten und Kollegen Prof. Dr. Frank Deppe von dort pünktlich zu uns zu bringen, war Ulrike so flexibel und zog ihren für später geplanten Beitrag “Zur Repolitisierung der Gewerkschaften” dankenswerterweise vor (vgl. Die Rolle der LINKEN bei der Repolitisierung der Gewerkschaften).
Nach Aussprache und Kaffeepause war dann auch Frank Deppe eingetroffen und konnte seinen Beitrag Der “neue” und der “alte” Kalte Krieg halten. Dies ist auch der Untertitel seines neuen Buches “Zeitenwenden?” (statt Zusammenfassung oder Skript: Leseprobe: 3. Kapitel Absatz 4. - Differenzen zwischen dem alten und dem neuen Kalten Krieg) In der Aussprache wurden nicht nur die analytischen Erläuterungen zu den geopolitischen Entwicklungen hinter der Scholz'schen “Zeitenwende”, den Menschenrechtsbellizismus der Grünen und über Brüche und Kontinuitäten in der SPD gwürdigt, sondern auch diesbezügliche Defizite in der Partei wie in der gesellschaftlichen LINKEN insgesamt kritisch beleuchtet.
Nach dem Abendessen zeigte Reinhard Frankl einen 30-minütigen Zusammenschnitt des Filmes “Neben der Straße” (1:22:32). Die israelische Filmemacherin Lia Tarachansky dokumentierte 2013 darin Gespräche mit Veteran*innen der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana über die „Nakba“, wie die Vertreibung von über 700.000 PalästinenserInnen auch genannt wird. Auf der Basis dieser Auszüge entspann sich eine fruchtbare Diskussion über die Hintergründe des aktuellen Gaza-Krieges Zum weiteren Studium wies Reinhard u. a. auf die von ihm mitverfasste Broschüre “Nakba 2.0?” und die dort enthaltene Liste von weiteren Empfehlungen zur Literatur hin.
Franks Beitrag zur Rolle von Gewerkschaften in der Friedensbewegung knüpfte am nächsten Morgen an die Darstellung seines Buches an, nicht ohne den historischen Überblick auszulassen (vgl. https://www.klassegegenklasse.org/die-gewerkschaften-duerfen-auf-keinen-fall-kriegspartei-werden/ und https://yenihayat.de/die-rolle-der-gewerkschaften-im-kampf-fuer-den-frieden/). So zeitraubend wie köstlich natürlich Franks anekdotische Abschweifungen waren, sie unterstrichen wieder die Authentizität seines Vortags und colorierten die entsprechende Historie.
Unter dem Thema „Nie mehr ist jetzt!“ Der Buchenwaldschwur - nur noch zur Hälfte relevant? schlossen Ulrikes analytische Erläuterungen zum ungleichen Umgang von DGB und Mitgliedsgewerkschaften mit Demonstrationen gegen Rechts im Vergleich mit denen gegen Krieg vor dem Hintergrund jeweiliger Beschlusslagen (u. a. "Kerner-Papier"!) den Reigen der geplanten Beiträge ab. (vgl. auch jw-Interview v. 31.08.2024: Über das mutlose Schweigen der gesellschaftlichen Linken und die Rolle der Gewerkschaften in der Zeitenwende. Ein Gespräch mit Ulrike Eifler)
Insgesamt wieder ein äußerst inspirierendes Seminar, so wurde es jedenfalls in der Feedbackrunde bewertet. Seine deutsche Übersetzung des französischen Arbeiter-Traditionsliedes “Le Chiffon Rouge” gab Reinhard den Teilnehmer*innen auf den Weg, wo es zum Schluss heißt:
Teil mit uns deine Wut, Arm in Arm, das macht Mut
sie woll’n dass du schweigst, sag’n du wärst zu nichts gut.
Trag dieses Band, trau dir’s nur zu,
unsere Zukunft, die Zukunft machst du.
Sorg dafür, dass die Welt wird wie DIR sie gefällt,
mehr Freud’ und Liebe und Gleichheit erhält,
mehr Freud’ und Frieden und Gleichheit erhält.
PS: Zur Geschichte des bayerischen GEW Sommerseminars s. www.gew-unterfranken.de/somsem/