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Was heißt Wertschätzung sozialer Arbeit?

Interview mit Norbert Hocke Für die DDS interviewte Verena Escherich Norbert Hocke, den Leiter des Organisationsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit beim Hauptvorstand der GEW.

Die Bedeutung von Bildung und Erziehung wurde im Wahlkampf  von allen Parteien betont. Wie sieht die Wertschätzung durch Gesellschaft  und Politik für diesen Bereich in Wirklichkeit aus?

»Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner  Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen  und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.« (Paragraf 1  des Kinder- und Jugendhilfegesetzes – KJHG) Vor diesem  Rechtsanspruch müssen alle Maßnahmen im Bereich Bildung,  Erziehung und Betreuung bestehen und sich legitimieren.  Dieses Recht muss für alle in Deutschland lebenden Kinder  gelten, ganz gleich, welchen rechtlichen und sozialen Status  sie innehaben. Leider kennen unsere Politiker diesen im KJHG  festgeschriebenen Rechtsanspruch oft nicht oder sie verdrängen  ihn in Haushaltsberatungen. Denn dieses Recht wird allzu  oft mit Füßen getreten – durch Ausgrenzung von Migrantenkindern;  durch Ausgrenzung von Kindern mit besonderem  Förderbedarf, die nicht in Regeleinrichtungen aufgenommen  werden; durch ein selektives Schulsystem, das Kinder  ohne weitere Förderung sitzen bleiben lässt und aussondert;  durch Diskriminierung von Kindern, die in Armut leben –
z. B. durch Hartz IV – und die somit von vielen Kultur- und  Bildungsangeboten ausgeschlossen werden, weil diese häufig  gebührenpflichtig sind; durch fehlende Berufsausbildung;  durch abschreckende Studiengebühren! Diese Aufzählung  macht deutlich, wie weit die Sonntags- und Wahlreden vom  Bildungsalltag der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen  entfernt sind. Sie haben mit der Lebenswirklichkeit  nichts gemein. 

Die mangelnde Wertschätzung von pädagogischer Arbeit bildet sich  auch in einem hohen Einkommensgefälle bis hin zu prekären Arbeitsverhältnissen  ab.

In den pädagogischen Arbeitsfeldern – von der Kinderpflegerin  bis hin zum Erwachsenenbildner – spiegelt sich in  der Bezahlung auch die völlig verkehrte Bildungspyramide  wider: Leiharbeit in der Schulsozialarbeit und in der Erwachsenenbildung,  Halbtagstätigkeiten im Kindergarten, von denen  keine Erzieherin eine Familie ernähren kann, bis hin zu  1-Euro-Kräften im Ganztagsschulbereich oder bei ambulanten  Wohnbetreuungen. Wer so die pädagogischen Berufe systematisch  runterwirtschaftet, braucht sich nicht zu wundern,  wenn der Nachwuchs für diese Berufe fehlt. Es muss in einem  der reichsten Länder der Welt doch möglich sein, dass  Pädagoginnen und Pädagogen – auch in München – von ihrem  Verdienst eine eigene Familie ernähren können. Diese  mangelnde Wertschätzung muss von uns als GEW viel stärker  skandalisiert werden.

Dienstliche Beurteilungen und Zielvereinbarungsgespräche dienen  inzwischen u. a. als Grundlage für die Zuteilung von Leistungszulagen.  Behindert diese Art von »Wertschätzung« Teamarbeit und führt sie zu  Entsolidarisierung?

Wer beurteilt und Zielvereinbarungen schließt, muss  zunächst die gesellschaftlichen Ziele im Konsens definieren.  Das ist nicht passiert, denn die Beurteilungskriterien lassen  sich eben nicht aus der Wirtschaft ableiten. Bildung, Erziehung  und Betreuung sind keine Ware! Das »Aufwachsen in  öffentlicher Verantwortung« muss durch die Gesellschaft gestaltet  werden. Dazu gehören Vereinbarungen wie jene im
10. Kinder- und Jugendbericht, in denen Fähigkeiten definiert  werden, die jedem Kind für seinen Lebensweg mitgegeben  werden sollten: die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die Fähigkeit zur Mitbestimmung und die Fähigkeit zur Solidarität.  Wertschätzung bedeutet aber auch, Rahmenbedingungen  zu schaffen, in denen »…eigenständige und gemeinschaftsfähige  Persönlichkeiten…« erzogen und gebildet werden  können. Ich habe den Eindruck, dass eine Reihe von  Arbeitgebern mit Beurteilungen und sogenannten Zielvereinbarungen  von den miserablen Arbeitsbedingungen ablenken  wollen. Eine Gesellschaft, die alle Lebensbereiche ökonomisiert,  die Bildung und Erziehung als Ware begreift, die  Eltern per Gutschein oder Studierende über Gebühren Bildung  »einkaufen« lässt, verstößt gegen das Recht auf Bildung  für alle Kinder und Jugendlichen. Eine solche Gesellschaft  signalisiert der nachwachsenden Generation, dass die  Kurse der Börse einen größeren gesellschaftlichen Wert besitzen  als die Erziehung und Bildung der nachwachsenden  Generation. Damit dürfen wir uns als Gewerkschaft nicht  abfinden.

Die Erzieherinnen und Erzieher haben mit den Streiks auf die  Bedeutung und die Bedingungen ihrer Arbeit aufmerksam gemacht.  Wie beurteilst Du das Ergebnis der Tarifrunde zur Eingruppierung  im Sozial- und Erziehungsdienst?

Es war ein langer und harter Kampf. Viele ehren- und  hauptamtliche Funktionärinnen und Funktionäre haben mit  ihrem Engagement diesen Arbeitskampf gestaltet. Von solchem  Engagement lebt die GEW. Aber ich hätte mir mehr  Unterstützung durch die gesamte Organisation und vom  DGB gewünscht. Die Erzieherinnen und Erzieher und auch  einige Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben gezeigt,  dass sie nicht mehr bereit sind, unter den schwierigen Arbeitsbedingungen  zu arbeiten und sich auch nicht mehr mit  der schlechten Bezahlung des TVöD abspeisen lassen. Sie  haben in hervorragender Weise gezeigt, dass sich Erzieherinnen  und Erzieher nicht mehr alles gefallen lassen. Das hat  diese Profession verändert! Die jüngeren Kolleginnen und  Kollegen sind die Gewinnerinnen und Gewinner dieses Abschlusses.  Deutlich liegt der Abschluss über dem TVöD. Für  die Kolleginnen und Kollegen, die schon länger im Beruf  sind, hätte ich mir einen besseren Abschluss gewünscht.  Ebenso für die Mehrzahl der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter  und nicht nur für die, die mit Kindeswohlgefährdung  arbeiten. Aber nach der Sommerpause weiterzustreiken,  wäre ein gefährliches Unterfangen gewesen. Ich habe  keine Steigerungspotenziale gesehen. Ich weiß, dass einige  Kolleginnen und Kollegen dies anders sehen und deshalb  auch in der Urabstimmung mit Nein gestimmt haben. Ich  kann dies sehr wohl nachempfinden! Wir stehen ja im kommunalen  Bereich 2010 wieder vor einer Tarifrunde. Die Forderungen  müssen jetzt an der Basis aufgestellt werden. Wir  brauchen einen langen Atem, um unsere Forderungen durchzusetzen.  Wer glaubt, mit einer Runde Streiks würden sich  die Arbeitgeber schon in die Knie zwingen lassen, der irrt  gewaltig! Die TVöD-Runde hat gezeigt: Diese Arbeitgeber  spiegeln überhaupt nicht die gesellschaftliche Diskussion um  Wertschätzung der pädagogischen Arbeit wider. Sie sind knallharte  Finanzbürokraten! Hier ist nicht nur eine andere Gewerkschaftsstrategie, sondern auch die Politik gefordert:  Wenn der Münchner OB in Sonntagsreden die Erzieherinnen  und Erzieher lobt, dann muss er seinem Vertreter in der  Tarifverhandlung auch entsprechende Anweisungen geben.  Sonntags waren die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister  die großen Kinderfreunde und am Montag in der Verhandlungsrunde  wollten sie davon nichts mehr wissen. Sie spielten  ein falsches Spiel!

Welche Strategien wären sinnvoll, um die Diskussion über die Qualität  von Bildung und Erziehung auf eine breitere Basis zu stellen?  Konkret: Gibt es Erfahrungen zu erfolgreicher Bündnisarbeit?

Ja, es gibt Erfahrungen, übrigens auch in Bayern. Mit  Eltern, Wohlfahrtsverbänden und den anderen DGB-Gewerkschaften  sind zurzeit solche Bündnisse für den Bereich  Kita am Laufen. Aktuell haben wir in Brandenburg, Baden- Württemberg, Niedersachsen und Berlin solche Bündnisse,  die die Parlamente bei den Haushaltsberatungen zwingen  müssen, deutlich mehr Geld in die Bildung zu geben als in  Prestigeprojekte. In Berlin ist es den Kita-Eltern gelungen,  einen Volksentscheid einzuklagen. Hierbei geht es ganz direkt  um bessere Rahmenbedingungen für die Erzieherinnen  und Erzieher.

Wir müssen damit rechnen, dass das Argument der leeren öffentlichen  Kassen jetzt jede Tarifrunde prägt. Welche Argumente können  wir denn diesen Einwänden entgegenhalten?

Warum sollen wir uns dieses Argument zu eigen machen,  solange Steuergeschenke für Besserverdienende und Unternehmen  verteilt werden. Solange viel Geld für Militär-Einsätze  vorhanden ist, müssen wir uns der Argumentation der  leeren Kassen nicht anschließen. Es ist seit PISA ja hin- und  hergerechnet worden und auch seit dem Bildungsgipfel der  Kanzlerin: Wer gute Bildung haben will, muss jährlich ca. 40  Milliarden mehr ausgeben, ansonsten kann man von den Pädagoginnen  und Pädagogen, den Wissenschaftlerinnen und  Wissenschaftlern nicht verlangen, unter schlechten Rahmenbedingungen  Top-Ergebnisse zu erzielen. Dies müssen wir  gegenüber den Eltern noch deutlicher machen.

Was sind die Ziele für die angestellten Lehrerinnen und Lehrer in  den anstehenden Tarifverhandlungen?

Hier sind die Forderungen der GEW ganz klar: Wir wollen  für gleiche Arbeit den gleichen Lohn, das heißt E 14 für  alle Lehrerinnen und Lehrer! Wir müssen die Tarifarbeit auch  für bildungspolitische Ziele nutzen. Wer eine Schule für alle  will, muss dies auch in der Bezahlung sichtbar werden lassen.  Ich weiß, dass dies selbst in der GEW strittig ist. Aber  eine Grundschullehrerin arbeitet genauso angestrengt wie  die Gymnasiallehrerin. Unterschiede müssen dann mit den  Rahmenbedingungen ausgeglichen werden: in Hauptschulen  mehr Sozialarbeiter; für erhöhten Korrekturbedarf weniger  Unterrichtsverpflichtung. Aber der alte gewerkschaftliche  Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« muss  endlich umgesetzt werden! Hier unterscheidet sich die GEW  auch deutlich von anderen Lehrerverbänden.


DDS November 2009