Vorspann
Zwei Wochen vor Ende des letzten Schuljahres wurden alle oberbayerischen Schulleiterinnen und Schulleiter, die im Schuljahr 2006/07 evaluiert werden sollten, in die Regierung von Oberbayern einbestellt. Draußen 30 Grad und drinnen war die Stimmung auch ziemlich hitzig. Eine Veranstaltung weit überflüssiger als ein Kropf und das in einer Zeit, in der an den Schulen wirklich allerhand zu tun war. Über Einwände und Bedenken von SchulleiterInnen wurde in typischer hierarchischer Beamtenmentalität kommentarlos hinweggegangen.
Ein wirklich gelungener Einstieg in die externe Evaluation!
Das EVA-Team stellt sich vor
Anfang Oktober 2006 stellte sich dann das EVA-Team an unserer Schule vor: drei Lehrkräfte aus dem benachbarten Landkreis und ein Mann aus der Wirtschaft. Geladen waren alle am Schulleben Beteiligten: Kolleginnen, Bürgermeister, Elternbeiratsvorsitzender, Hausmeister, Sekretärin, Personal der Mittagsbetreuung und Reinigungspersonal.
Das Evaluationsteam war uns als Gäste herzlich willkommen.
Wir begegneten dem Team aufgeschlossen und unvoreingenommen. Ich persönlich bin überzeugt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, wenn Personen von außen einen Blick auf unsere Schule werfen, weil es sich gar nicht vermeiden lässt, dass bei den Leuten, die in der Einrichtung tätig sind, die eine oder andere Betriebsblindheit auftritt.
Trotzdem wurde eine gewisse Skepsis nicht verhehlt, die auch durchaus ihre Berechtigung hatte.
- Diese Evaluation ist nun mal keine freiwillige Veranstaltung und ihre Regularien wurden auch nicht in Zusammenarbeit mit den von der Evaluation betroffenen Einrichtungen und Personen festgelegt.
- Die Papierlage – sprich der Arbeitsumfang – war wieder mal ausgezeichnet.
So, und jetzt machten wir uns an die Arbeit
Statistiken zusammensuchen, Übersichten erstellen, Organisationspläne für die Schulbesuchstage erarbeiten.
In diesem Zusammenhang passierte etwas Lustiges und durchaus Symptomatisches. Ich bin das dritte Jahr an dieser Schule. Was das Auffinden länger zurückliegender Vorgänge betrifft, ist unsere Sekretärin bei weitem findiger und erfahrener als ich. Während wir nun gemeinsam das Material zusammenstellten, meinte ich, dass wir uns eine Leitbildvorlage sparen könnten, weil keine da sei. »Natürlich ist eine da«, meinte sie. Sie wusste sogar, dass ein Leitbild im Jahr 2000 erarbeitet worden war. Also machten wir uns beide auf die Suche nach dem verlorenen Leitbild. Ergebnislos!
Auch die Kolleginnen bestätigten das Vorhandensein eines Leitbildes, aber es hatte sich verflüchtigt. Einfach weg! Und das Schlimmste: Es wurde die letzten sieben Jahre nicht ein einziges Mal vermisst.
Und so fragte das EVA-Team an den Schulbesuchstagen zwar jeden und allerorten nach dem schulischen Leitbild, aber es blieb und bleibt unauffindbar. Wie konnte unsere Schule nur die Jahre über ihren nicht mal schlechten Ruf wahren ohne schuleigenes Leitbild? Wir wissen es nicht.
Eltern- und KollegInnenbefragung
Vor den Schulbesuchstagen findet eine LehrerInnen- und Elternbefragung mittels umfangreicher Fragebögen statt. An den Hauptschulen zusätzlich auch noch eine SchülerInnenbefragung. Der LehrerInnenfragebogen umfasst zehn Seiten, der Elternfragebogen acht Seiten. Über die Sinnhaftigkeit der einen oder anderen Frage lässt sich trefflich streiten. Diese Fragebögen werden im ISB ausgewertet und die Auswertung wird umgehend der Schule zur Verfügung gestellt. Für Schulleitungen ist es dann positiv zu erfahren, dass Kolleginnen und Eltern eigentlich recht zufrieden mit der Schule sind. Ausnahme! Es gibt kein Leitbild.
Schulbesuchstage oder wer übernimmt die Vertretung
Drei Schultage hält sich das EVA-Team an der Schule auf, besucht 18 Stunden Unterricht, interviewt SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern, Schulleitung, nichtpädagogisches Personal, den Bürgermeister als Sachaufwandsträger und macht einen Rundgang durch das Schulgelände. Die Fragen sind großteils bei allen Gruppen identisch und bei der Frage nach dem Leitbild müssen wir gestehen: Es ist immer noch unauffindbar.
Unangenehm sind die Unterrichtsbesuche nicht. Wir hatten uns darauf geeinigt, keinen Zinnober zu veranstalten, sondern sie sollten unsere tagtägliche Werkschau sehen. Soweit ich das verfolgen konnte, war es dann auch so. Die Unterrichtsstunden werden auch nicht besprochen oder diskutiert. Allen Kolleginnen werden im Anschluss die gleichen Fragen gestellt nach der Klassenzusammensetzung, dem Sozialgefüge und der Zusammenarbeit der Kolleginnen untereinander.
Am zweiten Tag war ich im Schulhaus unterwegs auf der Suche nach Kolleginnen, die Unterricht vertreten, weil eine Lehrerin kurzfristig erkrankt war. Da war sie dann wieder, die Frage nach den Prioritäten. Im Schulhaus befanden sich drei qualifizierte KollegInnen ohne Unterrichtsverpflichtung und ich musste beschäftigte Kolleginnen bequatschen, doch noch zusätzlich Vertretung zu schieben. Es lag nahe, die drei EVA-KollegInnen zu bitten, den Vertretungsunterricht zu übernehmen. Ich hab es mir dann, wenn auch schweren Herzens, doch verbissen.
Aber die Frage muss erlaubt sein: Ist es vernünftig, ist es ökonomisch und ist es anständig, bayernweit Unterrichtskapazitäten für Evaluation abzuziehen, während in Niederbayern hunderte Eltern gegen massiven Unterrichtsausfall protestieren?
Umsetzung
Die externe Evaluation steht unter dem Haushaltsvorbehalt. Sprich: Sie soll in der Umsetzung wieder mal nichts kosten. Entschuldigung! Kommen wir uns da nicht ein bisschen wie Eunuchen vor? Wir wissen zwar, wie es geht, aber...
Viele Schulen arbeiten personell wie von den finanziellen Ressourcen her am Limit. Häufig baut das Schulleben auf dem Engagement der Teilzeitlehrkräfte auf, die weit über ihre Unterrichtsverpflichtung hinaus die Schule am Laufen halten und zwar von den Vertretungen bis zu den Schulfesten und Sportveranstaltungen. Meine Prognose: Die meisten Ziel- und Handlungsvereinbarungen, die im Anschluss an die Veröffentlichung des EVA-Berichts abgeschlossen werden sollen, werden im Sande verlaufen, weil eben die personellen, zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für ihre Umsetzung fehlen. Was bleibt dann? Wieder einmal eine »große Offensive«, bei der der Berg kreißt und ein Mäuschen gebiert.
Cui bono?
Es gibt natürlich auch noch einen schlimmen Verdacht. Vielleicht geht es im Grunde gar nicht darum, die Schulen auf den Prüfstand zu stellen, Positives zu würdigen und Schwachstellen herauszuarbeiten, um diese dann durch den Einsatz notwendiger finanzieller und personeller Mittel zu beseitigen.
Vielleicht geht es vorrangig darum, wieder einmal zu zeigen, wie hervorragend das bayerische Schulsystem doch ist und auf welch hohem Standard es arbeitet.
Und wenn es wieder mal nur um die politische Rechtfertigung für unsere bewährte Dreigliedrigkeit geht?
Nachspann
Dieser Artikel musste aus redaktionellen Gründen vor der Berichtseröffnung verfasst werden. Eine befreundete Kollegin behauptet, ich sei, was »Offensiven und Initiativen« anginge, etwas beratungsresistent. Mag ja sein, dass man im Laufe der Jahre vorsichtig geworden ist, was von oben verordneten Fortschritt und Erkenntnisgewinn betrifft. Denn immerhin dauerte es meine mehr als 35 Berufsjahre, bis sich auch in Bayern die Erkenntnis breit machte, dass es eine nicht unwesentliche Zahl von Kindern gibt, die in unserem gegliederten Schulsystem extrem benachteiligt sind. Und es gibt sogar zarte Ansätze, diese Erkenntnis umzusetzen. Im Grundschulbereich sehe ich das in den vorschulischen Sprachkursen für ausländische Kinder.
Sollte es nun tatsächlich so sein, dass die EVA-Berichte der Ausgangspunkt für die Umkrempelung des bayerischen Schulsystems werden und zwar mit den entsprechenden personellen, zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, dann werde ich mir die Zeit nehmen, das auch hier wieder zu würdigen.
Spätestens dann, liebe Renate, darfst du mich nicht mehr beratungsresistent nennen.