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Übergangsregelung zur Sozialversicherung

Verzicht auf Scheinselbständigkeit

Seit dem 1. März 2025 gilt eine Übergangsregelung zur Scheinselbständigkeit: der Arbeitgeber muss bis Ende 2026 keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen, wenn die Lehrkraft zustimmt. Dann muss sie aber selbst in voller Höhe die Beiträge zur Rentenversicherung tragen, falls mehr als geringfügig tätig (im Jahr 2025 höchstens 556 Euro steuerlicher Gewinn im Monat oder 70 Arbeitstage im Kalenderjahr), und muss auf eigene Kosten für eine gesetzliche oder private Kranken- und Pflegeversicherung sorgen.

Hintergrund sind mehrere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) zu Lehrtätigkeiten an Musik- und Volkshochschulen. Dieser Unterricht ist als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu betrachten,  wenn er in den Räumen des Bildungsträgers stattfindet, dessen Ausstattung benutzt wird, der Bildungsträger die Teilnehmer*innen bestimmt und nur er selbst mit ihnen oder dem Kostenträger Verträge abgeschlossen hat – also praktisch immer, wenn ein Dozent oder eine Dozentin im Rahmen einer fremden Organisation unterrichtet. Das betrifft Musikunterricht, Integrationskurse, sonstige Sprachkurse, berufliche Weiterbildungen, aber auch die allgemeine Erwachsenenbildung und Lehraufträge an Hochschulen. Diese Rechtsprechung gilt nur im Sozialversicherungsrecht, nicht im Steuer- und Arbeitsrecht. Die vermeintlich selbständigen Lehrkräfte haben deshalb weiterhin keinen Schutz gegen Kündigungen, unbegründete Befristungen, keinen Anspruch auf Tarifgehalt, auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder an Feiertagen.

Mit einem seiner letzten Gesetze änderte der alte Bundestag am 30. Januar deshalb  nur für Lehrtätigkeiten die Grundsätze zur Sozialversicherung. Auch wenn das Vertragsverhältnis nach der Rechtsprechung des BSG eine nichtselbständige Arbeit ist, muss sich der Arbeitgeber nicht an der sozialen Absicherung beteiligen – falls die Lehrkraft zustimmt. Die Lobbyorganisationen der Bildungsträger wie z.B. der Volkshochschulverband haben damit einen vollen Erfolg zu Lasten ihrer Beschäftigten erreicht. Zugestimmt hatten im Bundestag die SPD, CDU/CSU, die Grünen und die Linke. Vom BSW war kein Abgeordneter anwesend, AfD und FDP enthielten sich aus nicht bekannten Gründen der Stimme. 

Der damit neu beschlossene § 127 SGB IV legt für die Zeit bis Ende 2026 fest: wenn die Rentenversicherung in einem Statusverfahren oder bei einer Betriebsprüfung eine versicherungspflichtige Beschäftigung feststellt, oder wenn die Krankenkasse als „Einzugsstelle“ für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu diesem Ergebnis kommt, bleibt diese Beschäftigung trotzdem bis Ende 2026 versicherungsfrei, wenn: 

„1. die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und

2. die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, zustimmt.“

Die erste Bedingung ist praktisch immer erfüllt, da viele Bildungsträger ohne eine solche Klausel gar keinen Honorarvertrag abschließen. Zur zweiten Bedingung steht in der Gesetzesbegründung: „Die Rechte der Lehrkräfte bleiben gewahrt, da die gesamte Übergangsregelung nur bei ihrer Zustimmung zum Tragen kommt.“ Da waren der Bundestag und der verantwortliche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wohl etwas blauäugig: natürlich werden sehr viele Lehrkräfte „freiwillig“ zustimmen, da sie ansonsten von dem Bildungsträger keinen Vertrag mehr bekommen werden und eben keinen Kündigungsschutz haben. 

Die Übergangsregelung gilt aber nicht nur bei Prüfungen durch die Renten- oder Krankenversicherung und einer dann nachträglichen Zustimmung durch die Lehrkraft. Bildungsträger können sich auch im Voraus absichern, wenn „die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, gegenüber dem Vertragspartner zustimmt“.  Diese Zustimmung könnte zumindest ab dem 1. März 2025 auch recht versteckt schon in den neuen Honorarverträgen enthalten sein und sich dann auch auf frühere Zeiten beim selben Vertragspartner beziehen. Die Zustimmung bezieht sich auch immer nur auf die Tätigkeit bei einem bestimmten Bildungsträger.  Wer für mehrere Einrichtungen tätig ist oder war, kann in Bezug auf die eine den Verzicht erklären, in Bezug auf die andere es bleiben lassen. Dann ist oder war man, unter Umständen zeitglich, sowohl versicherungspflichtig beschäftigt als auch bei einem anderen Träger selbständig tätig. 

Wenn für die Vergangenheit durch die Rentenversicherung oder Krankenkasse eine versicherungspflichtige Beschäftigung festgestellt wird, muss der Bildungsträger als Arbeitgeber sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung und den Beitrag zur Unfallversicherung für das laufende und die vier vorhergehenden Kalenderjahre nachzahlen, derzeit also ab Januar 2021. Dabei geht es um etwa 43 % der Honorare. Bei einer Tätigkeit von z.B. 25 Unterrichtseinheiten je Woche zum üblichen Honorarsatz in Integrationskursen und angenommenen 10 Monaten Arbeit im Jahr (Jahreshonorar etwa 45.000 Euro) wären das etwa 20.000 Euro je Beschäftigungsjahr, also 80.000 Euro für 4 Jahre. Für kleinere Bildungsträger kann das natürlich zur Insolvenz führen. Die Lehrkraft selbst kann nur für die letzten drei Monate zur Hälfte beteiligt werden, bei diesen Beträgen mit etwa 2.300 Euro insgesamt. Und auch das nur, wenn die Beschäftigung bei diesem Arbeitgeber noch besteht, da es nur per Abzug vom Gehalt möglich ist. 

In dieser Zeit musste allerdings die Lehrkraft selbst Beiträge als „selbständiger Lehrer“ zur Rentenversicherung bezahlen, die bei Scheinselbständigkeit erstattet werden müssten. Dasselbe gilt für Beiträge zur gesetzlichen (nicht privaten!) Kranken- und Pflegeversicherung und für freiwillige Beiträge zur Arbeitslosen- und Unfallversicherung als Selbständige. Bei einem angenommenen steuerlichen Gewinn (Honorare abzüglich Betriebsausgaben) von 40.000 Euro im Jahr wären das für die Rentenversicherung und für die gesetzliche (nicht private!) Krankenversicherung etwa 15.000 Euro pro Jahr, auch wieder für das laufende und die vier vorherigen Kalenderjahre, also jetzt ab Januar 2021. Wer der Empfehlung der GEW Bayern an ihre betroffenen Mitglieder folgte und noch bis zum 31.12.2024 den Antrag auf Beitragserstattung gestellt hatte, könnte auch die Beiträge für das Jahr 2020 noch erstattet bekommen, also insgesamt bei dem genannten Beispiel um die 75.000 Euro. Diese Beitragserstattung ist aber steuerpflichtiges Einkommen, soweit die Beiträge früher bei der Einkommensteuer abgesetzt wurden. Der Versicherungsschutz in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung bleibt aber trotzdem erhalten, wenn stattdessen der Arbeitgeber nachzahlen muss. Zusätzlich (falls nicht bereits freiwillig versichert) hat man dann auch noch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben, was gerade bei den momentan drohenden Kürzungen für Integrations- und Berufssprachkurse sehr wichtig sein kann. 

Komplizierter wird es, wenn man die Verzichtserklärung für die Arbeit bei einzelnen Kursträgern abgibt, bei anderen aber nicht. Dann kann es z.B. in der Rentenversicherung sein, dass wegen der Geringfügigkeitsgrenze (beim Einkommen jährlich unterschiedlich) die verbleibende selbständige Tätigkeit versicherungsfrei bleibt. Bei der Kranken- und Pflegeversicherung ist entscheidend, ob man hauptberuflich (nach Arbeitszeit und Einkommen) in solchen Fällen beschäftigt oder selbständig war. 

Schon die sozialversicherungsrechtlichen Folgen erfordern eine genaue Prüfung im Einzelfall. Dazu kommen noch arbeits- beziehungsweise vertragsrechtliche Folgen. Da die Arbeitsgerichtsbarkeit die Definition des Bundessozialgerichts noch nicht übernommen hat, gibt es keinen Bestandsschutz. Je nach Wortlaut der Honorarverträge kann der Bildungsträger bestehende Aufträge sehr schnell kündigen oder zumindest Folgeaufträge ablehnen. Das kann der Lehrkraft natürlich egal sein, wenn sie für diesen Bildungsträger ohnehin nicht mehr tätig ist. Aber auch für die Vergangenheit könnte der Arbeitgeber eine teilweise Rückzahlung der Honorare verlangen mit der Begründung „die Vergütung war nur deshalb so hoch, weil wir von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen waren, bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wäre das Gehalt geringer gewesen“. Dann wird schwierig zu beurteilen, ob das denn stimmt. Ein Honorarsatz von 43 Euro entspricht in etwa Personalkosten (Bruttogehalt plus Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung) 31,18 Euro je Arbeitsstunde (also nicht nur Unterrichtszeit sondern auch Vorbereitung, Korrekturen usw.), wenn man wie das BAMF davon ausgeht, dass 29 Unterrichtseinheiten 40 Arbeitsstunden entsprechen. Diese Personalkosten, abzüglich des Arbeitgeberanteils zur SV, entsprechen einem Bruttogehalt je Arbeitsstunde (nicht: Unterrichtseinheit) von etwa 25 Euro. Das Statistische Bundesamt hatte festgestellt: „Beschäftigte verdienten in Deutschland im April 2023 durchschnittlich 24,59 Euro pro Stunde“. Bei Lehrtätigkeiten, die meist eine akademische Qualifikation erfordern, dürfte der Durchschnitt eher höher sein. Wir meinen deshalb, dass solche Rückforderungen nicht begründet wären. Aber wie ein Arbeitsgericht im Einzelfall entscheiden würde, wissen wir vorher nicht. 

Die GEW berät ihre Mitglieder – aber auch nur Mitglieder und für die Zeiten der Mitgliedschaft  – individuell zu diesen Fragen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Das Ergebnis kann je nach den persönlichen Verhältnissen in den letzten 4 oder 5 Jahren sehr unterschiedlich sein. Für die Beratung benötigen wir sehr genaue Angaben zu Arbeitszeiten, Einkommen und Verträgen seit 2021. Kolleg*innen die nicht Mitglied der Gewerkschaft sind sollten sich an Rechtsanwält*innen mit dem Schwerpunkt Sozialrecht wenden und vorher fragen, was das kostet. GEW-Mitglieder können sich zur kostenlosen Beratung an ihren Landesverband wenden. Die Beratung erfolgt natürlich streng vertraulich, nur mit Vollmacht des Mitglieds wendet sich die GEW an den Arbeitgeber oder an die Sozialversicherungsträger. 

Wir warnen ausdrücklich davor: in nächster Zeit werden sehr wahrscheinlich die Bildungsträger Verzichtserklärungen nach dem neuen § 127 SGB IV den Lehrkräften vorlegen und androhen, dass es andernfalls keine neuen Aufträge mehr geben wird. Wer das unterschreibt, verzichtet im Extremfall auf sehr hohe Ansprüche auf Beitragserstattung und auf Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld in der Größenordnung von vielleicht 50.000 bis 100.000 Euro. 

Die Übergangsregelung gilt nur bis zum 31.12.2026 und eben auch für Zeiten in der Vergangenheit. Welche Regelungen ab 2027 gelten werden, ist jetzt noch nicht absehbar. Das muss die neue Koalition im Bundestag entscheiden. 

Kontakt
Erwin Denzler
Gewerkschaftssekretär in den Organisationsbereichen Weiterbildung, Privatschulen und Hochschulen
Adresse Weinbergstr. 32
90766 Fürth
Privat:  0911 737219
Mobil:  0151 18147351