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Verleihung des Münchner Buchpreises

Rede Ernst Grube

Unser Kollege Ernst Grube erhielt am 25.10.2021 den „Münchner Bürgerpreis für Demokratie – gegen Vergessen. Hier seine Rede, die er bei der Preisverleihung hielt

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, liebe Frau Zadoff, lieber Thomas, liebe Jury-Mitglieder, liebe Gäste,

ich danke Ihnen für die Verleihung des Bürgerpreises „für Demokratie – gegen Vergessen“. Sie anerkennen damit meine Tätigkeit im Bereich der Erinnerungsarbeit als wichtigen, lebendigen Bestandteil demokratischen Lebens. Geehrt sind dadurch auch all diejenigen Menschen, mit deren Unterstützung und ich gemeinsam mit ihnen diese Erinnerungsarbeit mache.

Erinnerungskultur, wie heute Aufklärung über die NS-Verbrechen genannt wird, war und ist eine sehr anstrengende, aber notwendige Aufgabe. Die Shoah und der beispiellose Raub- und Vernichtungskrieg von Nazideutschland im Osten gegen die Sowjetunion, der die Shoah erst ermöglicht hat, – diese Verbrechen waren lange Zeit tabu, ebenso der Widerstand gegen das NS-Regime. Die Bewusstmachung der größten Menschheitsverbrechen und deren Folgen für unser aktuelles gesellschaftspolitisches Handeln sind nach wie vor umkämpft.

Wenn ich an meine Erlebnisse in den Jahren 1949/50 zurückdenke, so trauerten die meisten Bürger*innen damals eher der Nazizeit und dem verlorenen Krieg nach. Von den Verbrechen der Nazis gegen uns Juden, gegen politisch Widerständige, die in den KZs eingesperrt und gefoltert worden waren, wollten sie nichts wissen. Kommunisten und anderen aktiven Antifaschisten wurde von der die Verbrechen beschweigenden Mehrheit und ihren Eliten ein berechtigtes Interesse abgesprochen.

Die aktiven Antifaschisten setzten sich für eine Gesellschaft gemäß den Potsdamer Beschlüssen ein, in der nicht die Förderer und Profiteure von Faschismus und Krieg weiter bestimmenden Einfluss haben sollten. Als Kriegs- und Atomwaffengegner haben sie sich gegen den Aufbau eines neuen Militärs gewehrt, in dem die ehemaligen Generäle der faschistischen Wehrmacht das Sagen hatten. Sie haben die Wiederkehr ehemaliger Nazis in ihre alten Funktionen bekämpft, und oft haben sie dafür wie ich Gefängnishaft und gesellschaftliche Ächtung riskiert.

Unsere Verfolgungserfahrungen, unsere Verletzungen und Verluste zählten nicht, bestenfalls waren sie anstößig. Darüber sprachen wir nur in kleinen Kreisen, unter uns.

Geehrt wurde damals niemand aus unseren Reihen.

Über mehrere Jahrzehnte hat sich diese Situation nicht geändert. Im Gegenteil: Die KPD wurde verboten. Auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sollte 1962 verboten werden, was jedoch nicht gelang. Der beklagte Vertreter der VVN machte zur Eröffnung des Prozesses bekannt, dass der zuständige Senatspräsident Prof. Dr. Werner ein leidenschaftlicher Nazi war, der früh bei der SA und dann bei der NSDAP organisiert war. Das internationale Renommee spielte eine Rolle, so wurde dieser Prozess abgebrochen.

Der Vorwurf, dass die Kommunisten keine Demokraten seien, ist bis heute geblieben. Das hat mir beinahe den beruflichen Weg als Lehrer versperrt. Die VVN-BdA wird immer noch in ihrer Aktivität verleumdet und eingeschränkt. Der Verfassungsschutz beobachtet die VVN, in Bayern ist ihr nach wie vor die Gemeinnützigkeit genommen.

Inzwischen ist das jahrzehntelang dauernde Ringen um die Errichtung von dauerhaften Aufklärungsorten wie des Jugendgästehauses in Dachau, heute Max-Mannheimer-Studienzentrum, oder auch des NS-Dokumentationszentrums selbst schon Geschichte.

Anfang der 80er-Jahre haben ehemalige Häftlinge wie z. B. Otto Kohlhofer, Eugen Kessler, Adi Maislinger, Herrmann Langbein, Nicolaus Lehner, Marie Luise Jahn, Max Mannheimer ... und ich begonnen, internationale Jugendbegegnungen – u. a. in Form von Zeltlagern – durchzuführen. 1981 bildeten wir eine Initiativgruppe für die Errichtung einer „Internationalen Jugendbegegnungsstätte Dachau“.

Wir ehemals Verfolgten wollten unsere Erfahrungen weitergeben und das in einem Treffen tun, das durch seinen internationalen Charakter schon selbst ein Stück Programm war: das Zusammenkommen von jungen Menschen aus Ländern, die von Faschismus und Krieg angegriffen worden waren und deren Bevölkerung unter den Verbrechen noch immer leidet. Nie wieder sollten Nationalismus und Militarismus, Antisemitismus und Rassismus Menschen gegeneinander aufbringen und sie zu Tätern an anderen Menschen und Völkern machen.

Doch als Zeltlager – ohne Unterstützung durch die Stadt Dachau, den Landkreis oder staatliche Stellen – war das immer ein Provisorium. Oft wussten wir erst in letzter Minute, wo die Zelte für die jugendlichen Teilnehmer aufgeschlagen werden konnten, weil uns kein Platz zur Verfügung stand.

1984 gründeten wir den „Förderverein Internationale Jugendbegegnungsstätte Dachau“. Dieses Vorhaben, das zum Teil breite Unterstützung fand, stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der Dachauer CSU, die im Stadtrat das Vorhaben ablehnte. 1986 konstituierte sich daher ein Kuratorium mit prominenten Persönlichkeiten. Unter ihnen war auch Frau Hamm-Brücher, die mit ihrer souveränen, unerschrockenen Art und mit Tatkraft unser Vorhaben gegen solche Blockaden mit vorangebracht hat. So kam ich damals mit Hildegard Hamm-Brücher, der Stifterin dieses Preises, zusammen. Aus jüdischen familiären Zusammenhängen kommend, hatte sie selbst Verfolgung und Bedrohung erlebt. Sie war in lockerem Kontakt mit Studierenden um die Weiße Rose gewesen.

Angesichts rasant wachsender ökonomischer Ungleichheit heute in unserem Land und weltweit, angesichts von Ausbeutung von Mensch und Natur in einem nie da gewesenen Ausmaß, von gigantischer Aufrüstung und verheerenden Kriegen, sodass zur Zeit über 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, erinnere ich an eine Aussage aus dem 5. Flugblatt der Weißen Rose:

„Jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter dieser Erde.“

Ich danke Ihnen für diese Preisverleihung.