Zum Inhalt springen

Stellungnahme zum neuen Lehrplan für das Unterrichtsfach Sozialkunde für die Berufs- und Berufsfachschule

Was gibt es denn da schon wieder zu kritisieren?

1. Es ist zu begrüßen, dass der Sozialkundelehrplan regelmäßig auf seine
Aktualität hin überprüft wird. Leider wurde der Formulierungsfehler bei Politikverdrossenheit wieder übersehen (vgl. 11.4). Da Politikverdrossenheit nicht vermittelt werden soll, müsste es richtig heißen: "Probleme der Politikversäumnisse".

2. Der neue Entwurf unterscheidet sich inhaltlich nur wenig von dem geltenden Lehrplan. Zu begrüßen ist, dass sowohl die Nationalsozialistische Diktatur (vgl. 11.1) als auch die Weimarer Republik wieder Lerninhalt des Sozialkundeunterrichts werden. Leider wird die Weimarerrepublik weitgehend auf das Regierungssystem beschränkt. Dies ist bedenklich, da durch eine solche inhaltliche Beschränkung die Befürchtung besteht, dass falsche Schlüsse gezogen werden. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, für die Machtergreifung der Nationalsozialisten - einige Historiker sprechen sogar von einer Machtübergabe (vgl. Bernt Engelmann: Einig gegen Recht und Freiheit, Steidl Verlag Göttingen 1993, S. 220 f.). Wenn die Weimarer Republik weitgehend auf das Regierungssystem beschränkt wird, dann besteht die Gefahr, dass dieses auch als Ursache für den Hitlerfaschismus erlernt wird. Entsprechend des Beutelsbacher Konsenses sollte jedoch vermieden werden, Schülerinnen und Schüler zu übermannen. Vielmehr ist Kontroverses kontrovers darzustellen, mit dem Ziel die Schülerinnen und Schüler zu befähigen ihre eigenen Interessen zu analysieren (vgl. Bernhard Sutor, Politische Bildung im Streit um die "intellektuelle Gründung" der Bundesrepublik Deutschland, in Bundeszentrale für politische Bildung, Politik und Zeitgeschichte (B 45/2002)).

3. Des Weiteren ist zu bedauern, dass weder die Novemberrevolution von 1919  noch das demokratische Engagement zur Niederschlagung des Kapp-Putsches 1921 Berücksichtigung im Lehrplan finden. Dabei bietet der Lerninhalt "abwehrbereite Demokratie" (vgl. LZ 11.1) eine gute Möglichkeit, um auf den erfolgreichen Generalstreik gegen den Kapp-Putsch exemplarisch zu verweisen.
 
4. Leider wird die "Bedeutung einer unabhängigen Berichterstattung" (LZ 11.3) von einem verbindlichen Lernziel zu einem Kann-Inhalt. Dies verwundert angesichts der wachsenden Bedeutung der Medien in der Gesellschaft.
 
5. Das Lernziel 11.5 wird um den Lerninhalt der EGKS erweitert. Hierdurch entsteht möglicherweise die Gefahr einer Überfrachtung des Lehrplanes.
 
6. Bei der Formulierung der Lernziele werden an vielen Stellen anspruchsvollere Verben benutzt. So wird aus "lernen kennen" "erschließen" (vgl. LZ 10.3), aus "erhalten einen Überblick" wird "verschaffen sich einen Überblick" (vgl.  LZ 12.1) aus "erkennen" wird "wägen ab" (vgl. LZ 12.1). An anderer Stelle wird aus "erkennen" "werden bewusst" (vgl. LZ 12.2). Aus "sehen Ursachen und Merkmale von Unterentwicklung" wird "machen sich Merkmale und Ursachen von Unterentwicklung bewusst". Es ist zu begrüßen, wenn ein anspruchsvoller Unterricht angestrebt wird. Angesichts der Stofffülle können in der Unterrichtspraxis jedoch viele Lerninhalte nur kurz behandelt werden. Eine intensive Vertiefung ist nicht möglich. Die sicherlich zu begrüßenden Ziele, die sich hinter diesen anspruchsvollen Verben verbergen, erscheinen deshalb kaum realisierbar.