Zum Inhalt springen

Experimentierklausel

Sozialministerin sorgt über fadenscheiniges Verfahren für Verschlechterungen

Am 8. Juli 2005 beschlossen die Abgeordneten des bayerischen Landtags das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG).

Der Erzieherberuf hat stark an Bedeutung gewonnen, aber Personalmangel gefährdet die Qualität der Bildungsarbeit und die Attraktivität des Berufs. (Foto: Dominik Buschardt)

Die vom Sozialministerium benannten Hauptziele des Gesetzes waren damals: der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung sowie eine Qualitätsentwicklung und -sicherung der frühkindlichen Bildung. Nun hat es sich davon verabschiedet.

Zum BayKiBiG gehört auch eine entsprechende Ausführungsverordnung. Oskar Brückner, damaliger Vorsitzender der GEW Bayern, kritisierte 2005 das Gesetz wie die Verordnung im Rahmen einer Stellungnahme: „Auch eine bessere Verordnung könnte die fachlichen Mängel des Gesetzes nicht retten, die vorliegende passt sich dem pädagogisch gesehen kontraproduktiven und handwerklich schlecht gemachten Gesetz, das eher den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen des ISKA-Modells als denen des Bildungs- und Erziehungsplans entspricht, allerdings weitgehend an.“

Mit Beginn des aktuellen Kitajahres erlebten nun die Beschäftigten, wie ein Artikel aus dem BayKiBiG vom Sozialministerium dafür benutzt wird, um die Arbeit vor Ort und die pädagogische Qualität in den Kitas aus den Angeln zu heben.

Art. 31 BayKiBiG – die Experimentierklausel

Art. 31 BayKiBiG schien ein kleiner Lichtblick des Gesetzes zu sein. Dort heißt es: „Art. 31 Experimentierklausel. Zur Erprobung innovativer Konzepte für die pädagogische Arbeit, die Förderung und das Bewilligungs- und Aufsichtsverfahren kann von den Vorschriften dieses Gesetzes und der hierzu ergangenen Ausführungsverordnung mit Zustimmung des Staatsministeriums unter Beteiligung der übrigen zuständigen Staatsministerien abgewichen werden.“

Demnach ist die Experimentierklausel für innovative Konzepte der pädagogischen Arbeit reserviert. Die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) definierte nun mit dem „Arbeitsministeriellen Schreiben“ (AMS) V3/13 – 2022, das am 19. August 2022 an die Regierungen, kreisfreien Städte und Kreisverwaltungsbehörden geschickt wurde, die oben genannte Experimentierklausel um und versucht darüber, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sowie den Abbau der Qualifizierung des Personals und der pädagogischen Qualität der Kitas zu legitimieren.

Fokussiert sich Art. 31 BayKiBiG noch auf die pädagogische Arbeit, für die im Sinne der Weiterentwicklung Sonderregelungen gelten sollen, wird gerade die Pädagogik vom AMS gestutzt, wenn nicht – in Teilen zumindest – vernichtet. Gleichzeitig schiebt die Sozialministerin die Verantwortung dafür „nach unten“ ab: „Vor diesem Hintergrund sollen auf Grundlage der Experimentierklausel (Art. 31 BayKiBiG) den Gemeinden und Trägern modellhaft und zeitlich befristet Optionen eröffnet werden, um vor Ort handlungsfähig zu bleiben. Die Gemeinden und Träger entscheiden für sich, ob diese erweiterten Möglichkeiten für sie in Frage kommen.“ Dieses Abschieben der Verantwortung wird dazu führen, dass reichere Gemeinden weiterhin auf Qualität wert legen können, finanzschwächere dagegen massive Abstriche machen müssen, die zulasten der Beschäftigten und der Kinder gehen. Damit geht die Schere in der Gesellschaft auch hier noch weiter auseinander.

Das AMS – ein juristischer Kniff?

Bezeichnenderweise heißt die Überschrift von Teil B des „Arbeitsministeriellen Schreibens“ dann auch „Folgende Konzepte sollen modellhaft erprobt werden“. Die Worte „innovativ“ und „pädagogisch“ aus Art. 31 BayKiBiG sucht man im weiteren Text vergebens. Vielmehr werden Vorgaben des BayKiBiG ohne Gesetzesänderung über Bord geworfen. Kann es sein, dass das Verfahren, das das Sozialministerium hier anwendet, juristisch nicht haltbar und damit undemokratisch ist?

von Dorothea Weniger

DDS-Redaktionsleiterin

Text aus der DDS 11: Kitas vor dem Kollaps