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Rede zur Kundgebung "Gegen den Radikalenerlass gestern und heute!"

Am 28.01.2022 haben wir zusammen mit der jungen linken Erlangen, der Roten Hilfe und einigen Anderen gegen den Radikalenerlass damals und heute demonstriert. Zusammen mit den knapp 100 Demonstrierenden haben wir deutlich gemacht, wieso der Radikalenerlass auch in Bayern endlich vollständig der Vergangenheit angehören und aufgearbeitet werden muss. Dazu haben auch Betroffene ihre Geschichten mit uns geteilt. In unserem Redebeitrag haben wir uns mit den vergangenen Kämpfen gegen Berufsverbote befasst und sind der Frage nachgegangen, was der Radikalenerlass eigentlich mit uns Studis an der FAU im Jahr 2022 zu tun hat:

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns, dass ihr heute mit uns anlässlich 50 Jahre Radikalenerlass auf der Straße seid!
Wir sind Laura und Tobi von den GEW Studis, der Studierendengruppe der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft an der FAU. 

Ja, vor 50 Jahren wurde in der BRD unter dem SPD-Bundeskanzler Willy Brandt der Radikalenerlass beschlossen. Damit wurde der Verfassungsschutz ermächtigt, alle die bereits beim Staat angestellt waren oder sich dort beworben haben darauf zu überprüfen, ob sie "jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten würden". Je nach dem, was dabei rauskam wurden Bewerber abgelehnt oder Staatsangestellte mal eben entlassen. Dabei ging es nicht um irgendwelche begangenen Straftaten, sondern um die politische Überzeugung der einzelnen Personen. Es reicht schon bestimmte Aufrufe zu unterzeichnen oder dem linken Flügel der SPD anzugehören und schwubs – ist man ein radikaler Verfassungsfeind.
Zeitgleich wurde die Amnestie für Angeklagte in Verfahren gegen die außerparlamentarische Opposition erlassen. Das Ziel war also in der BRD die junge Generation von Akademiker*Innen nach den wilden 68ern wieder in den Staat zu integrieren - ganz nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche: wenn ihr euch mäßigt, lassen wir euch wieder mitmachen, ansonsten dürft ihr halt nicht im Beruf eurer Wahl arbeiten.
Ob das so 100%ig funktioniert hat? Schauen wir uns mal kurz die Studentenbewegung 1976/77 an:
Bei Studierenden in der BRD gab es damals viel Wut und Frust: keine Mitbestimmungsrechte an den Unis, das BaFöG hat damals auch schon nicht gereicht und einige neue Hochschulgesetze standen im Raum, die alles nur noch schlechter machen würden. Dann auch noch die Folgen des Radikalenerlasses.
An der FU Berlin in Westberlin wurden so im November‘76 der Dozent Gerhard Bauer und Assistenzprofessor Friedrich Rothe suspendiert, weil sie ein Jahr zuvor den Wahlaufruf der maoistischen KPD AO unterzeichnet hatten.  Im Dezember gings deshalb richtig rund: Mit hohem Organisationsgrad haben sich die Studis für Streiks und Besetzungen ausgesprochen und das auch direkt umgesetzt. Dabei haben sie sich von nichts abhalten lassen. Auf Verhaftungen hat man mit Besetzungen geantwortet. Die Mühen waren erfolgreich: Ende Januar 77 kehrten Bauer und Rothe zurück in den Beamtendienst.
Auch außerhalb von Westberlin hat es gekracht, denn ähnliche Fälle von Repression und Schikane durch den Radikalenerlass gab es auch an anderen Bildungseinrichtungen. So haben 77 Studis die Verwaltung der Uni Münster besetzt, um den Rektor zu Dienstenthebungen zu befragen. Auch sie hat man versucht durch Polizei einzuschüchtern – doch im Gegenteil: Es folgten Demos. Erst mit 2500, dann mit 4000 Teilnehmern. Die Verwaltung wurde besetzt und bis spät in die Nacht gefeiert – mit Polizeiaufgebot nebendran.
 So an sich sind das ja schöne Gschichten, doch irgendwie auch Schnee von gestern. Was hat das denn mit heute zu tun?
Mittlerweile ist in allen Bundesländern die alte Version des Radikalenerlasses abgeschafft worden. Mit Bayern 1991 übrigens als letztes Land. An sich geändert hat sich hier jedoch nicht besonders viel. Opfer des Erlasses wurden niemals rehabilitiert, geschweige denn für Verdienst- und Renteneinbußen entschädigt. Statt der automatischen Überprüfung jedes neuen Bewerbers beim Freistaat muss nun ein Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue ausgefüllt werden. Damit bestätigt man, dass man kein Mitglied „verfassungsfeindlicher“ Organisationen ist und gibt Einverständnis, dass die Universität beim "Verfassungsschutz" Informationen über einen einholen darf.
Das gilt an den Unis übrigens auch für studentische Hilfskräfte. Das macht es möglich hunderten Studis in ihrer Freizeit hinterher zu spionieren - sowohl im Einstellungsprozess als auch danach. Ein Ankreuzen von in der Abfrage genannten Organisationen kann dazu führen, dass man zu Gesprächen über die eigene Mitgliedschaft dort zitiert und im schlimmsten Fall niemals im öffentlichen Dienst eingestellt wird. Das sind also Berufsverbote durch die Hintertür! Unter den Organisationen, die auf dieser Liste stehen, findet sich zum Beispiel die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - VVN-BdA. Eine Organisation, die von Opfern des deutschen Faschismus gegründet wurde und wichtige Gedenkarbeit leistet. Die also im Gegensatz zum "Verfassungsschutz" wirklich wertvoll ist.
Sich dem ganzen zu Widersetzen ist nicht einfach. Ein Beispiel bei dem es geklappt hat ist Kerem Schamberger von der LMU München. Nach seinen Angaben in dem Fragebogen hat sich der „Verfassungsschutz“ mal eben 6 Monate Zeit gelassen, um dann der Universität zu empfehlen ihn nicht einzustellen. Kerem hatte Glück: er ist in der Öffentlichkeit bekannt und seine Professoren haben sich für ihn eingesetzt. Die Universität hat sich gegen die Empfehlung gestellt und ihn trotzdem 3 Monate nach dem eigentlichen Vertragsbeginn eingestellt.
Nun ist das aber ein absoluter Sonderfall. Kaum jemand kann oder will sich solch einer Medienkampagne unterziehen oder hat andere Möglichkeiten, den Arbeitgeber dazu zu überzeugen einen trotzdem anzustellen. Und selbst wenn das irgendwie klappt: Universitätsangestellte hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten: wird man also doch zu unbequem, kann man ohne Angabe von Gründen auch einfach nicht verlängert werden.
Wie auch unser historisches Beispiel gezeigt hat, braucht es meist massive Anstrengungen und kollektiven Widerstand, um sich gegen den Repressionsapparat des Verfassungsschutzes zu wehren! Und damit man in dessen Fokus gerät muss man noch nicht mal sonderlich aktiv sein. Es reicht schon aus, die Organisationen in Frage zu unterstützen! Was soll das überhaupt heißen „unterstützen“?
Nur weil man mal bei einer Kundgebung zu Mieterhöhungen dabei war oder einen Post zum Gedenken an XY geteilt hat, kann man von der Wissenschaft und Lehrberufen ausgeschlossen werden?
Der Fragebogen und der ganze „Verfassungsschutz“-Apparat will einschüchtern: Du willst dir deine akademischen Chancen nicht verbauen? Dann sei bloß still und bleib unauffällig.  
ABER: sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, sich gegen Faschismus und Krieg zu engagieren und sich politisch zu organisieren darf nicht bestraft werden! Nicht an der Uni, nicht an der Schule und sonst wo! Nicht vom Arbeitgeber egal, wer das ist und erst recht nicht durch den sogenannten Verfassungsschutz. Wer es Leuten schwer macht sich für den Antifaschismus einzusetzen leistet dem gesellschaftlichen Rechtsruck aktiv Vorschub. Schluss damit!
Wir fordern daher:
-    Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer der Berufsverbote! 
-    Weg mit der Gesinnungsschnüffelei im öffentlichen Dienst: Offizielle Abschaffung des "Radikalenerlasses" sowie ein Ende der Verfassungstreue-Abfragen für studentische Hilfskräfte und alle anderen Beschäftigten!
-    Auflösung des "Verfassungsschutzes"!