Sehr geehrte Damen und Herren,
im Vorfeld der anstehenden öffentlichen Debatte über die Länder-Vergleichsstudie zu PISA 2003 wenden wir uns heute mit einigen Fragen zur Methodik der Untersuchung im bayerischen Bereich an Sie.
Bereits im Jahre 2002 äußerte der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm Zweifel an der Repräsentativität der bayerischen PISA-Stichproben. Im Zusammenhang mit der anstehenden Veröffentlichung der Länderergebnisse von PISA 2003 sollten deshalb das bayerische Kultusministerium und die Staatsregierung selbst für größtmögliche Transparenz sorgen, selbstverständlich unter Beachtung der Grenzen, die der Datenschutz setzt.
Auf der Homepage des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus findet sich im Zusammenhang mit den „Vorinformationen“ zu PISA 2003 (Bundesländer) folgende Auskunft:
„In Deutschland wurden weitere Schulen ausgewählt, um, wie schon 2000, einen Ländervergleich (PISA-E) durchführen zu können: 44580 Schülerinnen und Schüler aus 1487 Schulen wurden getestet. Es waren 1793 bayerische Schülerinnen und Schüler aus 66 Schulen beteiligt. Mit dieser Stichprobe können die Ergebnisse zuverlässig verglichen und international eingeordnet werden. Die Teilnahmequoten lagen zwischen 85 und 96 Prozent. In Bayern, wo die Teilnahme im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern freiwillig war, lag sie bei 89,2 Prozent.“
Allgemein fällt schon an dieser Stelle der verschwindend geringe Anteil bayerischer Schulen und Schüler/innen an der Ländervergleichsuntersuchung auf (Nach den Angaben Ihres Hauses machen die bayerischen Schulen lediglich 4,02 % der Stichprobe aus, die bayerischen Schüler/innen auch nur 4,44 %.).
Im einzelnen bittet die GEW in diesem Zusammenhang um die Beantwortung folgender Fragen:
- Wie verteilen sich die 66 Schulen auf die Schulformen und die 1793 Schülerinnen und Schüler auf die Schulformen und Schulen? Welcher Anteil an der Gesamtschülerzahl jeder Schulform wird durch die Stichprobe jeweils erfasst?
- Wie viele Eltern / Schüler/innen haben die Teilnahme verweigert?
- Wie viele Schulen haben die Teilnahme verweigert?
- Um welche Schulformen handelt es sich bei den „Verweigerern“? Konnten jeweils Schulen als Ersatz „nachgezogen“ werden oder wurde nach erneuter Verweigerung auf Ersatz verzichtet?
- Waren Sonderschulen für Lernbehinderte Teil der bayerischen Stichprobe?
- Wie viele Schulen je Schulform sind Großstädten zuzuordnen?
- In welchen weiteren Bundesländern ist die Teilnahme ebenfalls freiwillig?
Gegenstand der wissenschaftlichen Kontroverse zwischen dem PISA-Konsortium und Klaus Klemm war bei PISA 2000 E die mit nur drei Schulen geringe Anzahl beruflicher Schulen in der bayerischen Stichprobe, die nach Ansicht Klemms den Schüleranteil von nahezu 15 % 15-Jähriger an Berufsschulen nicht adäquat in der Stichprobe erfasst. Zudem war unter den drei Berufsschulen auch noch eine Pflegeschule, die den Hauptschulabschluss zur Eingangsvoraussetzung hat, sowie mit nur wenig über 50 % ein geringer Ausschöpfungsgrad der Berufsschulstichprobe. Insgesamt entwickelte Klemm aus diesen Fakten die These, dass eine Überschätzung des unteren Leistungssegments wahrscheinlich sei. In einer ausführlichen Replik hat das PISA-Konsortium versucht, diese These zu relativieren, ohne jedoch nach unserer Ansicht durchschlagende Gegenargumente bringen zu können.
Mittlerweile wurde diese Kontroverse in einer Dissertation an der FU Berlin aufgegriffen (Frank Gaeth, PISA – Eine statistisch-methodische Evaluation. 2005 http://www.pisa2000.de/pisa/studie/studie.htm ), die wegen des großen Interesses im Internet veröffentlicht ist. Gaeth argumentiert, dass für die These Klemms spricht, dass es bei den PISA-Studien eine „Scheinkorrelation“ gibt: Je mehr 15-jährige Berufsschüler ein Bundesland hat, um so weniger „Nichtleser“ verzeichnet es. Hieraus folgert Gaeth, dass die Gruppe der eher schwächeren 15jährigen Berufsschüler nicht entsprechend ihres Anteils an der Grundgesamtheit berücksichtigt wurden. Bei dem großen Anteil dieser Gruppe in Bayern müsse sich dies auswirken.
Dazu haben wir folgende Fragen:
- Wie groß ist der Anteil der 15jährigen Berufsschüler an der Grundgesamtheit der 15-Jährigen bei PISA 2003 E in Bayern?
- Wie viele Berufsschulen waren 2003 Teil der bayerischen Stichprobe?
- Waren erneut – wie bereits 2000 – Berufsschulen dabei, die den Hauptschulabschluss als Eingangsvoraussetzung haben?
- Wie groß ist 2003 der Ausschöpfungsgrad der Stichprobe an Berufsschulen?
- Angeblich soll weder 2000 noch 2003 eine großstädtische Hauptschule Teil der bayerischen Stichprobe gewesen sein. Kann die Staatsregierung diese Information bestätigen?
Wir gehen davon aus, dass die von uns formulierten Fragen Sie keineswegs unvorbereitet treffen, sondern in der einen oder anderen Form in die Vorbereitung Ihrer anstehenden Veröffentlichungen längst eingegangen sind. Wir hoffen deswegen auf eine baldige und explizite Beantwortung sowohl uns als auch der Öffentlichkeit gegenüber. Wir denken, dass die Antworten für eine faire Interpretation der bayerischen Ergebnisse sehr hilfreich sind.