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Welche Bildung erfordert die digitale Transformation?

Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche. Digitale Medien können unser Leben in vielfältigen Formen erleichtern und bereichern, sie können aber auch zu erheblichen Problemen führen.

Foto: pixabay.com / CC0
Foto: pixabay.com / CC0

Die Richtung der Entwicklung kann durch die Gesellschaft und ihre Subjekte beeinflusst werden. Bildung spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Wir alle sind Produzent*innen von Daten, die wir freiwillig oder auch gezwungenermaßen abgeben. Insbesondere die sogenannten Big Five, also Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon und Facebook werten sie aus, verkaufen sie weiter oder generieren daraus u. a. neue Produkte und Dienstleistungen.

Daten sind der Rohstoff der Zukunft

Manche nennen sie auch die Währung der Zukunft, andere sprechen vom künftigen Datenkapitalismus. Mit der Konzentration der Daten bei wenigen Konzernen ist Größe und Macht dieser weltweit agierenden Konzerne verbunden. Sie zahlen keine oder wenig Steuern, sie setzen Staaten unter Druck, wenn diese versuchen, sie zur Kasse zu bitten, sie bestimmen, wer unter welchen Bedingungen ihre Plattform zur eigenen Artikulation nutzen bzw. nicht nutzen darf, sie ermöglichen mit den sozialen Medien politische Einflussnahme auf Wahlen sowie die Verbreitung von Hass, Hetze, Verschwörungsmythen rechtsradikaler und antisemitischer Propaganda, Mobbing u. v. m.

Nicht nur die GEW fordert als Bestandteil digitaler Grundrechte das Recht auf den Schutz der eigenen Daten, auf Achtung der Privatsphäre und das Recht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten.

Algorithmen und künstliche Intelligenz

Algorithmen sind eine dominante Größe im Digitalisierungsprozess und in der Diskussion über diesen Prozess. Beim klassischen Algorithmus ist noch für alle nachvollziehbar, dass der Computer eine simple Maschine ist, die mit einem vorgegebenen Programm mechanisch eine Rechenaufgabe löst.

Künstliche Intelligenz (KI) bzw. das maschinelle Lernen basieren auf höherrangigen Algorithmen, die erst mit einer riesigen Menge an Daten für ihre jeweilige Aufgabe trainiert werden müssen. Sie sind Teilgebiete der Informatik, die sich damit beschäftigen, menschliches Denken und Handeln mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze nachzubilden.

KI und maschinelles Lernen sind zugleich Marketingbegriffe, die dem jeweiligen Algorithmus menschliche Leistungen zuschreiben, die er aber nicht wirklich erbringen kann. Intelligenz hat in Alltagssprache und Wissenschaft viele Facetten, wozu insbesondere sprachliche, emotionale, soziale, mathematisch-logische und räumliche Intelligenz gehören. Maschinen dagegen können nur imitieren, ihr Tun aber nicht hinterfragen. Insofern sind Computer nicht intelligent. Wir sollten KI deshalb entmystifizieren und „künstlich imitierte Intelligenz“ oder „künstliche Nachbildung von Intelligenz“ nennen. Und da sie auch nicht im menschlichen Sinn lernen kann, sollten wir vom „maschinellen Training“ bzw. vom „Deep Training“ sprechen.

Künstlich imitierte Intelligenz kann überall dort, wo es um schwere Tätigkeiten oder um Routinen geht, Arbeit und Leben erheblich erleichtern. Wir gehen aber immer mehr dazu über, der KI Vollmachten zu übertragen, wodurch sie zur Delegationstechnik wird, die sozusagen „hinter dem Rücken“ von Menschen Entscheidungen trifft, die eigentlich eines Abwägungsprozesses bedürfen.[i] Dies bedeutet eine drastische Erhöhung von Komplexität und Abstraktion und verunmöglicht vielen Menschen, digitale Entscheidungsabläufe zu verstehen, was die digitale Spaltung unserer Gesellschaft enorm beschleunigt.

Medienethiker*innen des Instituts für Theologie und Politik in Münster sehen Anhaltspunkte für den Versuch, alle Tätigkeiten des Menschen auf KI zu übertragen, notfalls unter Anpassung an die digitale Logik. Sie sehen daher „die eigentliche Gefahr nicht darin, dass der Computer dem Menschen überlegen wird, sondern dass der Mensch werden soll wie ein Computer.“[ii] Das wäre dann, um es mit einem Buchtitel des Computerpioniers und Kritikers Joseph Weizenbaum zu sagen, „Die Macht des Computers und die Ohnmacht der Vernunft“ (1976).

Welf Schröter vom Forum soziale Technikgestaltung fordert Gewerkschaften und Zivilgesellschaft auf, dafür einzutreten, dass die Delegationstechnik KI wieder auf die Assistenzebene geholt, d. h. wieder vom Menschen beherrscht, verstanden und angewendet wird.

Digitale Bildung?

Politik und Wirtschaft fordern das Bildungswesen auf, die Menschen fit zu machen für die digitale Welt. Kommerzielle Anbieter wittern ein Geschäft und machen sich zunehmend im Bildungsbereich breit. „Digitale Bildung“ ist Schlagwort und gleichzeitig Namensbestandteil vieler Initiativen. Aber: „Digitale Bildung an sich gibt es nicht. Bildungsprozesse bleiben Bildungsprozesse – mit oder ohne Zuhilfenahme von Digitaltechnik“, so der Rat für Kulturelle Bildung (S. 22).[iii] Die Frage muss also lauten: Welche Bildung erfordert die digitale Entwicklung?

Bei vielen Initiativen geht es um die digitale Ausstattung von Bildungseinrichtungen und um den Einsatz digitaler Medien beim Lehren und Lernen. Konzepte wie das Strategiepapier der Kultusministerkonferenz nehmen die digitale Entwicklung einfach als gegeben hin. Sie benennen zwar auch Gefahren und negative Erscheinungsformen, individualisieren deren Bewältigung jedoch. D. h. die zu Bildenden sollen lernen, ihr Verhalten kritisch zu reflektieren, Zumutungen zu erkennen und sich dagegen zu immunisieren. Die Konzepte greifen aber zu kurz, weil wesentliche Bereiche von Bildung fehlen, insbesondere die Fähigkeit zur kritischen Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen sowie die notwendige Handlungskompetenz für eine aktive gesellschaftspolitische Partizipation.

Als Bildungsgewerkschaft denken wir an eine Bildung, die einen Beitrag dazu leistet, dass die Menschen ein souveränes, autonomes und emanzipiertes Leben führen können, wir denken an eine emanzipatorische Bildung. Das bedeutet in Bezug auf die Digitalisierung, die Entwicklung und den Einsatz digitaler Techniken in allen Lebensbereichen hinterfragen zu können. Welche Interessen stehen jeweils dahinter? Dient die Technik dem Menschen (Assistenztechnik) oder führt sie zur Herrschaft über ihn (Delegationstechnik)? Hat der*die Einzelne Verfügungsgewalt über die eigenen Daten u. v. m.? Der Bildungssoziologe Oskar Negt spricht vom politischen Menschen, der in der Lage ist, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Dies versetzt ihn in die Lage, zusammen mit anderen auf die Gestaltung der digitalen Welt Einfluss nehmen zu können, sei es im Betrieb, in der Verwaltung, in Bildungseinrichtungen oder im privaten Bereich.

Zielsetzung Medienkompetenz

Entsprechend diesem Bildungsverständnis will eine politisch orientierte Medienpädagogik ihre Adressat*innen befähigen, ein souveränes Leben in der medialen Welt zu führen und diese mitgestalten zu können. Dies ist vorrangig über die Förderung von Medienkompetenz erreichbar.

Weil sich Gesellschaft und Medien permanent verändern, ist Medienkompetenz kein einmal zu erreichendes Ziel, sondern eine konstante Entwicklungsaufgabe. Dabei sind alle Bildungsbereiche gefragt. Das pädagogische Personal benötigt dazu neben eigener Medienkompetenz medienpädagogische Kompetenz. Das ist die Kenntnis vom Medienhandeln der jeweiligen Ziel- bzw. Altersgruppe. Pädagog*innen müssen wissen, wie diese sich in den Medien und mit den Medien bewegt. Nur dann können die Lehrenden, und das ist dann die didaktische Qualifikation, das medienpädagogische Konzept sinnvoll auf die jeweiligen Adressat*innen abstimmen.

Fazit

Emanzipatorische Bildung ist keineswegs obsolet geworden. Im Gegenteil: Aktualisiert unter Einbezug einer politischen subjekt- und handlungsorientierten Medienpädagogik mit dem formulierten Ziel Medienkompetenz ist sie dringend geboten, um die digitale Transformation im Interesse der Menschen und nicht im Interesse von Konzernen bewältigen zu können.

von Dr. Fred Schell

Medienpädagoge
Vertreter der Bundesfachgruppe Erwachsenenbildung im „Forum Bildung in der digitalen Gesellschaft“ der GEW

Die ungekürzte Fassung des Artikels und das Video ist nachzulesen bzw. anzusehen unter: gew-bayern.de/digitalisierung

 


[i] Schröter, Welf: Referat bei der Online-Tagung des „Bundesforums Bildung in der digitalen Welt“ der GEW am 2.12.2020: „Digitalisierung zwischen gesellschaftlicher Teilhabe und Spaltung“

[ii] AK Religionslehrer_innen im ITP (2020): Künstliche Intelligenz oder kritische Vernunft. Wie Denken und Lernen durch die Digitalisierung grundlegend verändert werden. Münster. Edition ITP-Kompass, Bd. 31, S. 67

[iii] Rat für kulturelle Bildung: Alles immer smart. Kulturelle Bildung, Digitalisierung, Schule. Download: rat-kulturelle-bildung.de