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Teilhabechancen durch Assistenztechnik erweitern

Die Digitalisierung bietet im Bereich der Assistenztechnik Möglichkeiten, Menschen mit Behinderungen den Alltag zu erleichtern und mehr Autonomie zu erlangen.

Foto: pixabay.com / CC0

Markus ist ein Schüler, der in den letzten Monaten vor allem online unterrichtet wurde. Er erweiterte dabei seine digitalen Kompetenzen und entwickelte mithilfe verschiedener Programme Kompensationsstrategien, die seine Handlungsmöglichkeiten erweiterten.

Markus (Name geändert), 17 Jahre alt, sitzt im Rollstuhl und ist in vielen Bereichen des täglichen Lebens auf Unterstützung angewiesen. Aufgrund seiner Konstitution ist er in den letzten Monaten nicht in der Schule, obwohl er eine Notgruppe besuchen könnte. Lesen, Schreiben und Rechnen fallen ihm sehr schwer. Einen Arbeitsauftrag ohne Piktogramme erlesen und ein Arbeitsblatt selbstständig bearbeiten? Eher weniger.

Im Unterricht ist er immer der Erste im virtuellen Unterrichtsraum. Er lernte, mit der Software umzugehen. Anfangs noch mit dem Handy, dann mit einem Leihgerät aus der Schule. Er weiß, wie er den Laptop hochfahren, sich in die Konferenz einloggen, seine Kamera und sein Mikrofon de- und wieder aktivieren, seinen Hintergrund verändern und die Meldefunktion bedienen kann. Auch mit den virtuellen Gruppenarbeiten kommt er gut zurecht.

Nutzen digitaler Unterstützungssysteme

Die Software bietet weitere Funktionen. Dokumente können gleichzeitig bearbeitet werden, es gibt eine Chatfunktion und einen klasseninternen Ablageort, an dem sich die Dateien für die Hausaufgabe befinden. Ein integrierter KI-Dienst (Künstliche Intelligenz) liest digitale Texte vor und ist in der Lage, diese in beinahe alle Sprachen zu übersetzen. Markus kann damit an den Gruppenarbeiten teilnehmen, sich Chatnachrichten und Dokumente vorlesen lassen und Hausaufgaben bearbeiten. Geschriebene Texte verfasst er über eine Diktierfunktion, im Chat schickt er Sprachnachrichten.

Weitere Fähigkeiten, die sich Markus in den letzten Monaten erschloss: Dateien erstellen, bearbeiten, in sinnvollen Ordnerstrukturen speichern und per Messenger oder Mail verschicken, verschiedene kleine Lernprogramme mit der Vorlesefunktion nutzen, sich im Internet mithilfe der Sprachausgabe informieren oder per Smartphone Bilder machen und im virtuellen Klassenzimmer veröffentlichen. Er erlangte eine digitale Selbstständigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte.

Assistenztechnik als Chance für Inklusion

Sogenannte Assistenztechnik ist in der Lage, die Möglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zu erweitern. Im Sinne einer emanzipatorischen Bildung, die die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeiten von Menschen erweitern soll, ist es dringende Aufgabe der (Sonder-)Pädagogik, die Fragen nach Chancen und Risiken digitaler Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu stellen. Dabei hat digitale Teilhabe mehrere Dimensionen: ein einfacher und sicherer Zugang zu digitaler Hardware und barrierefreier Infrastruktur, die Entwicklung von Medienkompetenz, Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Bereichen mithilfe assistiver Technologien, Präsenz und Mitgestaltung in digitalen Medien und Kompensationsmöglichkeiten mithilfe von Assistenztechnik. Hier bieten sich Chancen und Möglichkeiten, die genutzt werden müssen.

Gemeinsamer Lernzuwachs

Markus‘ enormer Lernzuwachs war nur möglich, weil ich als Lehrkraft in den letzten Monaten gezwungen war, mich intensiv mit digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Mein Lernzuwachs steht dem meines Schülers in nichts nach. Festzuhalten bleibt: Wir benötigen zeitgemäße digitale Ausstattung in allen Schulen und digitale Endgeräte für Lehrkräfte und Schüler*innen. Digitale Kompetenzen sind unabdingbar für gesellschaftliche Teilhabe, unabhängig von der körperlichen oder geistigen Verfassung jedes Einzelnen. Erst wenn Assistenz selbstverständlich ist, ist auch Teilhabe selbstverständlich und wir sind in Richtung Inklusion einen Schritt weiter.

von Florian Kohl

Lehrer an der Förderschule