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Lehrpläne der FAK Sozialpädagogik

Stellungnahme (8.4.2006) zur dreijährigen Erprobung der Lehrpläne der Fachakademie für Sozialpädagogik

Die GEW Bayern hält die in den letzten Jahren erprobten Lehrpläne in der bisherigen Form für reformbedürftig, mehr noch gilt dies für die völlig unzureichenden Rahmenbedingungen der Ausbildungsstätten, die in erster Linie vom Freistaat zu verantworten sind.

1.             Kritik der Lernfelddidaktik

Sie sollte der Kernpunkt der neuen Ausbildungskonzeption sein, erhebt sie doch den Anspruch, die Ausbildung praxisbezogen zu machen. Das ist grundsätzlich gut. Wenn dabei allerdings immer wieder unterstellt wird, bisher wäre die Ausbildung nicht praxisbezogen sondern nur am Aufbau von Wissensbeständen orientiert gewesen, kann das nicht so stehen bleiben. Und natürlich ist der Bezug zu Praxisbeispielen und beruflichen Handlungssituationen, die plötzlich als fast allein selig machendes Element gelten, von vielen KollegInnen schon immer intensiv genutzt worden.

Unsere Kritik gilt zunächst der Systematik der „Lernfelder“. Denn diese ist gerade nicht auf konkrete berufliche Arbeitsbereiche bezogen:

  • Das Lernfeld 1: Werte und Werthaltungen ist wohl ursprünglich  gar nicht geplant gewesen sondern eher als Zugeständnis an die Kirchen gedacht, die zumindest eine Art „Ethikfaktor“ eingebaut wissen wollten.  Es liegt auch völlig quer zur sonstigen Systematik, da Wertfragen  selbstverständlich in allen aufgestellten Lernfeldern vertreten sind (oder zumindest sein müssen.)

    Auch das Lernfeld 2: Bildung und Bildungsprozesse wurde erst aufgrund der PISA-Studien und der dadurch entstandenen Bildungsdiskussionen mit heißer Nadel gestrickt. Nach dem KJHG  werden der Arbeit der sozialpädagogischen Fachkräfte dort drei grundsätzliche Aufgaben zugewiesen: Betreuung, Erziehung und Bildung. Als Lernfeld stellt die Bildung  aber eine übergeordnete Ebene dar, der alles, was -und wie immer- in der Ausbildung betrieben wird, zuarbeitet. Ein Spezial-Lernfeld Bildung(sprozesse) suggeriert logisch, dass die übrigen  Lernfelder nichts oder nur am Rande mit Bildung zu tun haben.

    Ebenso liegt das Lernfeld 4: Ästhetische Erfahrung, Ausdruck und Gestaltung quer zu den restlichen Lernfeldern. Denn sowohl das Wahrnehmen als auch das „Werten“, als auch methodisches Handeln, Kommunikation usw. schließen automatisch ästhetische Faktoren ein. Ein Bilderbuch (oder v.a.) kann gar nicht wahrgenommen und analysiert werden, ohne auf die Ästhetik einzugehen, man kann es nicht praktisch-methodisch einsetzen, ohne gerade die Wirkungsfaktoren einzubeziehen. Die Wirkung der Kommunikation lebt von einer entsprechenden „Gestaltung“ sprachlicher oder anderer Ausdrucksformen.

    Die restlichen 4 Lernfelder stellen demgegenüber verschiedene Kompetenzbereiche dar: Wahrnehmen/Beobachten/Erklären, Methodisches Handeln, Kommunikation/ Interaktion, Kooperation/Koordination.

Diese verschiedenen Kompetenzen als einzelne, voneinander abgrenzbare, nacheinander zu bearbeitende Lernfelder anzusetzen, schafft ein grundsätzliches Problem. Eigentlich sollte den Studierenden bewusst werden, dass jede berufliche Handlungssituation eben nicht mit einer einzelnen Kompetenz sondern nur mit einem durchgehenden Zusammenwirken aller Kompetenzen zu bewältigen sind. Insoweit bildet das „Nacheinander“ dieser Art Lernfelder einen Widerspruch zu der Forderung nach Praxisbezug:

Denn jede Situation in der Praxis verlangt, dass  man sie erst mal wahrnimmt, dann aber diese Wahrnehmungen auswertet, mit den Betroffenen darüber kommuniziert und dann überlegt, wie man methodisch handelnd darauf eingeht und welche Formen der Kooperation dabei wichtig wären.

Die Lernfelddidaktik mit ihrer deutlichen Überbetonung der „Fallbeispiele“ setzt sehr einseitig auf induktives Arbeiten. Mag sein, dass das bisher bisweilen zu kurz kam. Aber es gibt die Ebene des deduktiven Arbeitens, die ja ebenso ihre Berechtigung hat. Es ist - gerade bei den bisherigen Lernerfahrungen vieler Studierender- bitter notwendig, Grundlagenwissen, systematisches Wissen und systematische Fertigkeiten aufzubauen, die sich nicht so einfach an Einzel-Beispielen entwickeln lassen. Praxisgerechte Ausbildung erfordert wohl eine sinnvolle Balance zwischen beidem.

Problematisch ist auch das Spiralmodell, das vorsieht, dass alle Lernfelder vom SPS durch die beiden Jahre an der Fachakademie hindurch jedes Jahr wiederholt werden, jeweils auf höherem Niveau. Zum einen führt das zu ziemlichen Ermüdungserscheinungen bei den Studierenden, die nicht dreimal während der Ausbildung das gleiche durchmachen wollen. Zum anderen hat es den Effekt, dass die oft ohnehin schwach ausgeprägte Bereitschaft vieler Studierender, sich mit allen Inhalten gründlich zu befassen, noch mehr abgebaut wird, wenn sie sehen, dass es erstmal genügt, sich mit allem relativ oberflächlich zu beschäftigen, weil ja doch alles noch mal wiederholt wird.

 2.             Kritik an den Rahmenbedingungen

Neben der Systematik der Lernfelder besteht das Hauptproblem im Fehlen jeglicher zur Umsetzung notwendiger Rahmenbedingungen. Auch wenn die Didaktikprofessoren dies nicht als ihr Aufgabengebiet sehen, kann keine Didaktik von Rahmenbedingungen absehen, die zu ihrer Umsetzung unerlässlich sind. Einige Punkte seien genannt:

  • Wenn man neue, übergreifende, gruppenbezogene, selbständige Arbeitsweisen haben will, also im Grunde ein wirklich „studierendes Arbeiten“, dann wäre die Konsequenz, die Fachakademien aus dem engen Organisationskonzept (mit Stundenplan, Stundentafeln, Unterrichtsstunden u.v.a.) der Schulordnung herauszunehmen und ihnen auch studienmäßige Strukturen zu gewähren. (Was auch einer möglichen  Verschiebung der Ausbildung auf FH-Ebene o.ä. entgegen käme)

    Die angestrebte Lernfeld -Didaktik, wenn sie denn wirklich praxisbezogen umgesetzt werden soll, müsste sich auch darauf verständigen, für die Ausbildung in den einzelnen Akademien grundsätzliche Leistungsstandards verbindlich festzulegen, die konkrete Umsetzung aber den Kollegien vor Ort überlassen. Dem widerspricht aber schon ein wieder (wie bisher auch) mit „Stoff“ vollgestopfter Lehrplan. Und der besteht ja nicht aus „Empfehlungen“ sondern ist  letztlich allein wegen der zentralen Prüfung verbindlich.
  • Die logische Konsequenz wäre, auf eine zentrale Abschlussprüfung zu verzichten und an deren Stelle zentral formulierte Anforderungsstandards zu setzen. Die Prüfung muss sich aber an den vor Ort umgesetzten Inhalten, Schwerpunkten usw. orientieren. Nur so könnten auch die jeweils differenzierten personellen Kompetenzen und materiellen Ressourcen usw. optimal in Ausbildung übersetzt werden.
  • Überhaupt: Leistungsnachweise:  Ein Gesichtspunkt, der leider in unserem Schulsystem von zentraler Bedeutung ist, sowohl für die Arbeitsorganisation und die Arbeitsformen der KollegInnen als auch für die Motivation und die Arbeitsweisen der Studierenden.
    • Der neue Lehrplan erwartet Fächer übergreifendes Arbeiten, weist aber in Hinblick auf die Leistungsmessung in nur leicht geraffter Form eine Vielzahl von Einzelfächern aus. Er erwartet Arbeitsprozesse, die gruppen- und prozessorientiert sind, besteht aber weiterhin auf punktuellen, individuellen und Einzelfach bezogenen Leistungsmessungen.

    • Die Didaktik erwartet praxisbezogenes Arbeiten, man hält aber in großen Teilen an den absolut praxisfernen Formen wie individuellen Kurzarbeiten, Klausuren u.ä. fest.
    • Dieser Widerspruch setzt sich dann fort in den Dilemmata der Lehrkräfte. Ein Mehr an Stunden- und Fach-übergreifenden Formen wie Lernfeldwochen usw., bei gleichzeitigem Bestehen auf individuellen Einzelfach bezogenen Leistungsnachweisen macht eine fachsystematische Vorbereitung auf diese Leistungsnachweise rein zeitlich immer enger.

3.             Kritik am Praxisbezug der Ausbildung

Ein ganz zentraler Punkt, nämlich die Kernforderung nach besserem Praxisbezug der Ausbildung  kann auch mit der neuen Lernfelddidaktik nicht erreicht werden. Denn dieser lässt sich grundsätzlich nicht mit didaktischen Experimenten herstellen. Die Defizite im Praxisbezug haben zwei wesentliche Wurzeln, an denen sich nichts ändert:

Da ist die Ausbildung und die laufende praktische Weiterqualifizierung der Lehrkräfte. Unser Schulsystem ist nach wie vor auf die Ausbildung von „Fachlehrkräften“ mit ziemlich eingegrenzten Kompetenzen fixiert. Und solange dann noch nicht einmal eine fortlaufende Verbindung aller Lehrkräfte zu den Praxisstellen zu einem selbstverständlichen Faktor der Lehrerarbeit und -arbeitszeit  wird, wird sich an diesem Punkt nichts verbessern.

Und der zweite zentrale Punkt ist die absolut mangelnde Verzahnung von Ausbildungsstätten und Praxis-Einrichtungen. Eine wirklich organisatorische Verzahnung scheitert aber schon daran , dass sie nicht kostenneutral durchgeführt werden kann. Denn es würde auf beiden Seiten mehr Personal, eine entsprechende Anrechnung der Zusammenarbeit auf die Arbeitszeiten in beiden Arbeitsbereichen verlangen.

Können es die zuständigen Ministerien angesichts eines restriktiven Staatshaushalts wagen, den Trägern und Einrichtungen die dafür nötigen Ressourcen zu Verfügung zu stellen? Ohne tief greifende Änderungen in diesen Punkten wird aber die Ausbildung, egal mit welcher Didaktik, immer relativ praxisfern bleiben.

 

Fazit

Es ist ohne Zweifel wichtig, in der Ausbildung zu anderen Strukturen, zu mehr übergreifendem Arbeiten zu kommen. Es ist mehr Projekt bezogenes und mehr selbstverantwortliches Arbeiten nötig. Wenn der neue Lehrplan hier etwas wirklich in Gang setzen wollte, dann wären tief greifende Veränderungen der Rahmenbedingungen erforderlich. Im Augenblick wird die Arbeit hektischer, willkürlicher und zerhackter. Am Ende steht wohl eher ein größeres Defizit an grundsätzlich-systematischem, vernetztem und in die Tiefe gehenden Denken und Handeln.

Eine Gruppe Studierender, die nach einem vollen Durchlauf jetzt ins Berufspraktikum gegangen ist, hat das symbolisch zu Ausdruck gebracht. Auf ihren T-Shirts, mit denen sie abgegangen, sind, steht: „Als Versuchskaninchen sind wir gekommen und als Hasenragout sind wir gegangen“.

Stand: Februar 2006

Die neue Didaktik weist den DozentInnen eine ganz andere Rolle und andere Arbeitsprozesse zu als der bisherige Lehrplan. Wenn die Lehrkraft mehr Begleiter, Organisator von Lern-Prozessen, Ansprechpartner und Teamarbeiter in Fächer übergreifenden Arbeitsprozessen wird, dann muss sich der Modus, mit dem Lehrer-Arbeitszeit nachgewiesen wird, entsprechend ändern. Der aber bleibt im Prinzip bei der klassischen Formel: Unterrichtsstunden pro Lehrkraft, pro Fach, pro Klasse.