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Fachtag für die "Zeitreichen"*

Fachtag des Landes­ausschusses der Senior*innen der GEW Bayern München, 12. März 2019

Fachtag für die "Zeitreichen"*

 

Mitte März 2019 fuhren wir erstmals zum GEW-Fachtag des Landes­ausschusses der Senior*innen nach München. 30 Mitglieder hörten ein Referat über Rechts­populismus in Europa, nahmen an der Mitgliederversammlung und an einer Führung durch eine Sonderausstellung im Münchner Stadtmuseum teil.

 

Die Leiterin der Europäischen Akademie Bayern e.V., Birgit Schmitz-Lenders, titulierte ihren Vortrag so: "Wertegemeinschaft in Gefahr? Rechtspopulismus und -extremismus in Europa".

Sie begann damit, dass die EU von unehrlichen Politikern zuhause oft schlechtgeredet wird, sie aber von den Vorteilen stillschweigend profitieren (CSU, Orban).

Die EU bringt den Bürgern v.a. auch Sicherheit. Vom Mittelalter bis ins 20 Jahrhundert war Krieg der Normalzustand in Europa. Erst die Römischen Verträge von 1957 sichern dauerhaften Frieden (Ausnahme: der Nordirland-Konflikt) im EU-Europa. Die Werte in Artikel 2 des EU-Vertrages (Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte) stehen derzeit jedoch massiv auf dem Spiel. Die Europäische Union ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft missverstanden worden. Wenngleich die Wirtschaft eine wichtige Rolle spielt, darf nicht vergessen werden, dass die EU ebenso eine Wertegemeinschaft ist.

Wer Mitglied der EU ist, hat viele Vorteile wie etwa die gemeinsame Währung, die Unionsbürgerschaft, offene Grenzen, die EU-Normen für Waren, die Standards für den Umweltschutz, das Bildungsprogramm ERASMUS + und vieles mehr.

Danach gab die Referentin einen kurzen Überblick über die EU-Institutionen: europ. Parlament (= Stimme der Bürger), europ. Kommission (= Hüterin der Verträge), Rat der europ. Union (= Ministerrat), europ. Rat (= die Regierungschefs, die den EU-Gipfel bestreiten) und europ. Gerichtshof. Sie verdeutlichte anhand der Ergebnisse der Europawahl von 2014 den Rechtsruck in Europa: 14,68 % der Ungarn wählten die Jobbik-Partei, in Großbritannien erzielte die UKIP 27, 49 %, die französiche rechtsextreme Partei Front National - jetzt Rassemblement National, kurz RN - wählten 24,95 %, die FPÖ in Österreich wurde von 19,5 % gewählt und die deutsche AfD erzielte 7 %. Diese Populisten bezeichnen sich europaweit als die "wahren Hüter und Erneuerer der Nation(en)". Sie verstehen sich als das "reine Volk" im Gegensatz zu den "korrupten Eliten". Die französiche Europa-Abgeordnete Marine Le Pen hält die EU für bedrohlich, obwohl sie sie für ein „impotentes Imperium ohne Land“ hält. Die rechten Gruppierungen sehen zudem im Islam eine "Besatzungs­macht". Ihr Motto: Wir gegen Die! Die österreichische FPÖ titelte auf einem Wahlplakat: "Daham statt Islam!"

Dann stellte Schmitz-Lenders die Methoden rechter Inszenierung vor: starke Persona­lisierung (eine zentrale, charismatische Leitfigur, z.B. Marine Le Pen oder Geert Wilders), gezielte Tabu-Brüche ("Lügen­presse"), Selbststilisierung zum Opfer (AfD einladen oder nicht? Ausgrenzen oder nicht?), Spiel mit den Ängsten (z.B. Mir dreht sich die Welt zu schnell, ich würde so gerne wieder zurück.). Hierzu eine verharmlosende Aussage der AfD-Frau Alice Weidel: "Björn Höcke ist ein Nationalromantiker." Die deutsche AfD und der französische RN haben eine starke Nähe: Sie wollen u.a. nur qualifizierte Einwanderer und sprechen sich bezeichnenderweise für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland aus.

Fazit: Wer die gemeinsamen Werte erhalten will, der muss am 26. Mai 2019 zur Wahl gehen!

 

Nach der Mittagspause fand dann die Mitgliederversammlung statt: Im Mittelpunkt stand ein Antrag zum Thema "Solidarisches Rentensystem", der ausführlich diskutiert wurde. Anlass ist die immer häufigere Altersarmut nach einem arbeitsreichen Berufsleben.

 

Am Nachmittag besuchten wir zusammen die Ausstellung des Projekts "Migration bewegt die Stadt" im Münchner Stadtmuseum. In der Dauerausstellung "Typisch München" knüpfen 15 neue Stationen an die vorhandenen an und zeigen auf, wie stark die Stadt von Migration geprägt ist. U.a. sind Objekte und Unterlagen, die persönliche Münchner Migrationsgeschichten veranschaulichen, ausgestellt. So z. B. ein Weihnachtsbaum aus LED-beleuchteten grünen Sodawasserflaschen, den sich der heutige Istanbuler Erdogan Altindis bauen ließ. Er wuchs in Bayern auf, studierte in München Architektur und lebt jetzt in der Türkei. Gezeigt werden auch eine Stangenmarionette von 1920 des damaligen Münchner tschechischen Arbeiterbildungsvereins und ein Brautkleid der türkischen Münchnerin R. Sönmezler aus dem Jahr 1968. Im Rahmen des Projekts bittet das Stadtmuseum infrage kommende Besucher, weiterhin solche Dinge zur Verfügung zu stellen.

 

Irmgard Schreiber-Buhl und Ernst Buhl

 

* Als "Zeitreiche" bezeichnet der SPD-Politiker Franz Müntefering die Senior*innen, sie verfügen über Zeitreichtum. Müntefering ist Vorsitzender der in Bonn ansässigen Bundes­arbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO).