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Einbürgerung von minderjährigen Kindern, altersgemäße Sprachentwicklung

Schreiben der Vorsitzenden der GEW Bayern, Angelika Neubäcker, an das Bayerische Sozialministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, z. Hd. Herrn Dr. Eirich

 

Einbürgerung von minderjährigen Kindern, altersgemäße Sprachentwicklung

Sehr geehrte Herr Dr. Eirich,

sehr geehrte Damen und Herren,

die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat o. g. Schreiben mit Befremden zur Kenntnis genommen und fordert Sie auf, diese Maßnahme zurückzunehmen, soweit sie Kinder in Kindertagesstätten betrifft.

Begründung:

Die verpflichtenden Sprachstandserhebungen wie SISMIK und SELDAK sind in ihrem quantifizierenden keineswegs eindeutig ressourcenorientiert. Werden sie – wie jetzt SISMIK – auch noch angewandt, um Kinder Förderkursen zuzuteilen oder auch nicht, so kann man sie als defizitorientiert bezeichnen.

Darin sehen wir einen grundsätzlichen Widerspruch zu einer ressourcenorientierten Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Kindertagesstätte, wie sie der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan und andere vergleichbare Bildungspläne der anderen Bundesländer vorsehen. Auch die GEW hat von Beginn an am Konzept einer ganzheitlichen Sprachförderung im Rahmen einer erlebnisreichen Alltagsgestaltung und Bildungsbegleitung, mit ausreichend Zeit und mit der Möglichkeit zur Differenzierung und individuellen Zuwendung, und auch mit ausreichend Zeit für Eltern- und Teamgespräche festgehalten. Der Focus auf Defizite verstellt den Blick auf Ansatzpunkte gemeinsamer Sprachförderung und birgt die Gefahr, dass Kinder aus Migrationsfamilien erneut stigmatisiert werden.

Die Ergebnisse solcher Screenings sollen nun auch noch hergenommen werden um Kindern mit Migrationshintergrund ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu bescheinigen. Die Vorlage einer solchen Bescheinigung entscheidet dann u. U. über die Einbürgerung eines in Deutschland geborenen Kindes.

Die GEW sieht in der Beurteilung des Sprachvermögens von Kindern mit Hilfe der Sprachstandserhebungen in Kindertagesstätten einen Missbrauch der ursprünglich als Hilfe zur Sprachförderung gedachten Diagnoseinstrumente. Pädagoginnen und Pädagogen werden für ausländerrechtliche Fragen instrumentalisiert. Eltern sollen in der KiTa als BittstellerInnen auftreten, um den Bogen zur Vorlage bei der Behörde zu erhalten. Dies ist aus unserer Sicht nicht vereinbar mit der angestrebten Erziehungspartnerschaft, die sich aus der guten Zusammenarbeit von KiTa und Familien speist, und nicht aus einer Amtshilfe.

Wir geben ferner zu bedenken, dass die tägliche Arbeit (insbesondere der Sprachförderung) in der KiTa unter diesem Damoklesschwert sicher nicht besser wird. Druck auf Kinder und ErzieherInnen, der u. U. von Eltern, die ihr Kind einbürgern lassen wollen, ausgeht, erzeugt Angst, und Angst behindert erfolgreiches Lernen, oft verhindert sie es sogar.

Außerdem ignoriert die Maßnahme wesentliche Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie, die besagen, dass Kinder sich in ihrem eigenen Tempo entwickeln und Unterschiede von mehreren Jahren, was das Erreichen bestimmter Kompetenzen betrifft, ganz „normal“ sind und keineswegs eindeutig erkannt werden können. Eine „altersgemäße Sprachentwicklung“ bei unter vierjährigen Kindern, insbesondere bei Kindern mit Migrationshintergrund, feststellen zu wollen, ist unseriös. Dies gilt u. E. auch für ältere Kindergartenkinder.

Schließlich – und dies erscheint uns besonders problematisch – missachtet das von Ihnen angeordnete Vorgehen die UN-Kinderrechtskonvention zur Inklusion von Kindern mit Behinderungen. Nach welchen Maßstäben sollen z. B. Kinder mit Sinnesbehinderungen oder autistische Kinder (um nur zwei Beispiele zu nennen) im Hinblick auf ihre Sprachentwicklung beurteilt werden?

Nach unserer Kenntnis legt nur Bayern das Gesetz zur Einbürgerung derart restriktiv aus. Wir meinen, es könnten auch andere Lösungen gesucht und gefunden werden.

Über die Einladung zu einen Gespräch zum Thema würden wir uns freuen.

Mit freundliche Grüßen

Angelika Neubäcker

Vorsitzende