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Die Evaluation der Integrationskurse

Am 2. Februar 2007 fand in Berlin die Fachtagung »Evaluation und was nun? Die Zukunft der Integrationskurse« der Initiative Pro Integration statt. Miriam Herrmann war dort und beschreibt für die DDS die Problematik.

Am 1. Januar 2005 trat das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft. Deutschland galt fortan offiziell als Einwanderungsland. Was es bereits seit etwa 30 Jahren gab, wurde neu erfunden: die Integrationskurse, von nun an allen NeuzuwanderInnen »verordnet«. Die Teilnahme wurde zur Pflicht.

Vorher und Nachher

Was vorher von 20 bis 30 Angestellten des Sprachverbandes in Mainz im Großen und Ganzen sehr gut organisiert und verwaltet wurde, geriet nun in die Hände des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Nach kurzer Zeit war nichts mehr wie es einmal war. Der Sprachverband wurde aufgelöst und mit ihm u. a. das festgelegte Mindesthonorar für die Lehrkräfte von 23,10 Euro. Die Honorare fielen ins Bodenlose (sie liegen inzwischen weitgehend zwischen 10 und 18 Euro). Während früher Kurse ab 10 TeilnehmerInnen finanziert wurden, wird jetzt pro TeilnehmerIn gezahlt (2,05 Euro pro TeilnehmerIn und Unterrichtseinheit). Die Folge: Es gibt Kurse mit bis zu 25 TeilnehmerInnen unterschiedlichster Herkunft und Vorbildung in einem Kurs. Während die MigrantInnen früher bis zu 900 Stunden (und mehr) zum Erwerb der deutschen Sprache hatten, ist die Zahl seit 2005 auf 600 Stunden Deutschkurs plus 30 Stunden Orientierungskurs (etwas »Deutschlandkunde«) festgelegt, was für die meisten bei Weitem nicht ausreicht, auch nur annähernd genügend Deutschkenntnisse zu erwerben, um auf den Arbeitsmarkt vermittelt werden zu können.

Gleichzeitig stieg der Verwaltungsaufwand um ein Vielfaches: Bevor ein Kurs besucht werden kann, müssen seitenweise Formulare ausgefüllt und Anträge gestellt werden. Nach jedem Modul (ein Modul besteht aus 100 Stunden) wiederholt sich die Prozedur in ähnlicher Weise. Etwas überzogen ausgedrückt: Jeder Toilettengang der TeilnehmerInnen muss festgehalten, protokolliert, archiviert werden. Diesen gewaltigen bürokratischen Aufwand haben allein die Träger zu bewältigen. Es gibt pro TeilnehmerIn lediglich eine einmalige Verwaltungsgebühr von 7 Euro für alle 630 Stunden.

Kurz und gut: Schon kurz nach Inkrafttreten des neuen Gesetztes war klar, dass sich die Bedingungen für Träger, LehrerInnen und TeilnehmerInnen gleichermaßen gewaltig verschlechtert hatten.

LehrerInnen und Träger mit langjähriger Erfahrung traten mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen ans BAMF heran. Mit Hilfe dieser Vorschläge hätte man innerhalb kurzer Zeit die meisten Mängel mit wenig Aufwand und Geld beheben können.

Die Evaluation durch die Firma Ramboll

Stattdessen wurde die Firma Ramboll Management mit der Durchführung einer Evaluation beauftragt und jeder Verbesserungsvorschlag, jede Kritik, jede Forderung nach Aufbesserung der finanziellen Mittel mit dem Argument abgeschmettert, man müsse erst die Ergebnisse der Evaluation abwarten.

Ramboll befragte bundesweit 80 Träger und zwei HonorarlehrerInnen der Aktion Butterbrot, teilweise in Gesprächen, teilweise über Online-Befragung. Die Online-Fragen waren sehr zeitaufwändig. Sie nahmen bei sorgfältiger Beantwortung bis zu drei Stunden in Anspruch. Da alle Träger ohnehin durch den hohen bürokratischen Aufwand völlig überlastet sind, wurden viele dieser Online-Fragebögen von Hilfskräften ausgefüllt, die selbst gar nicht die nötige Kompetenz hatten. Hinzu kam, dass viele Fragen nur mit ja oder nein beantwortet werden konnten, obwohl weder das Eine noch das Andere zutreffend war. Wurde aber nichts angeklickt, kam man nicht zur nächsten Frage.

Befragung und Auswertung nahmen ein Jahr in Anspruch. Ende 2006 lag ein 260 Seiten langer Bericht mit Verbesserungsvorschlägen vor.

Millionen Steuergelder wurden verschwendet und das Ergebnis ist niederschmetternd: Fast alle Kritikpunkte, Mängel und Verbesserungsmöglichkeiten waren lange vor Durchführung der Evaluation offensichtlich und längst von den entsprechenden Stellen dargelegt worden.

Überraschend höchstens, dass wohl tatsächlich zwei Drittel der Träger angegeben haben, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auszukommen. Freilich wurde dabei nicht genauer hinterfragt, wie hoch das Honorar für die dort unterrichtenden LehrerInnen liegt, wie viele TeilnehmerInnen in einen Kurs gepackt werden oder wie hoch die Miete ist. Dass Träger mit großen Kursen und kleinen Honoraren besser zurechtkommen als solche, die sich gegenüber TeilnehmerInnen und LehrerInnen verantwortungsvoll verhalten, dürfte klar sein.

Nicht nachvollziehbar sind die tabellarischen Berechnungen von Ramboll, die definitiv nicht stimmen können bzw. unvollständig sind (siehe Kasten).

Immerhin ergab die Evaluation auch, dass 25 TeilnehmerInnen pro Kurs zu viel, 600 Stunden für die meisten zu wenig und der büro-kratische Aufwand zu hoch sind! Aber für wen war das eine neue Erkenntnis?

Was an Verbesserungen vorgeschlagen wird

Hier nur ein paar Beispiele:

Die zugelassene Zahl der TeilnehmerInnen soll auf etwa 15 pro Kurs festgelegt werden. Das haben wir immer gefordert. Nur müsste dazu auch das Budget deutlich erhöht werden. Ramboll schlägt drei mögliche Erhöhungen des Kursbudgets vor: von derzeit 2,05 Euro auf 2,20 Euro, auf 2,50 Euro oder auf 3,00 Euro. So könnte, laut Ramboll, bei einer Erhöhung auf 2,50 Euro die durchschnittliche TN-Zahl auf 13 reduziert und das LehrerInnenhonorar auf 18,90 Euro »angehoben« werden, bei einer Erhöhung des Budgets auf 3,00 Euro wird eine TN-Reduzierung auf 12 und ein Honorar von 22 Euro vorgeschlagen. Schon auf der Fachtagung war nur noch von einer möglichen Erhöhung auf 2,20 Euro die Rede. D. h., bei dieser minimalen Erhöhung, aber gleichzeitiger TN-Reduzierung können wir jetzt schon damit rechnen, dass das Honorar für uns LehrerInnen eher noch weiter sinken als steigen wird.

Weiter schlägt Ramboll vor – auch das hatten wir schon vor zwei Jahren gefordert –, die Stundenzahl bei Bedarf auf 930 zu erhöhen. Leider aber nur für bestimmte Zielgruppen, wie zum Beispiel Frauen in speziellen Frauenkursen oder Jugendliche. Der durchschnittliche männliche Migrant in ganz »normalen« Integrationskursen muss weiter mit 630 Stunden auskommen. Was unterscheidet ihn von der Migrantin?

Als letzten Punkt möchte ich die Rückerstattung der Kostenbeiträge bei versäumten, entschuldigten Fehltagen erwähnen. Bis jetzt ist es so, dass diese Stunden den TeilnehmerInnen zurückerstattet werden (1 Euro der 2,05 Euro müssen sie, falls nicht kostenbefreit, selbst bezahlen). Diese Rückerstattung ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Stattdessen könnten die versäumten Stunden (Vorschlag Ramboll) »... entweder in einem Parallelkurs oder in einem Folgekurs angeboten werden.« oder das Manko »auch in Einzelunterricht oder in kleineren Gruppen von Nachholern vom Träger erbracht werden. Denkbar wäre auch eine Nachhilfegruppe parallel zum Kurs, in der die Teilnehmer ihre Stundenkontingente einsetzten.«1 Nur fragt man sich, was heißt ».. . vom Träger erbracht ...«? Dass der Träger die Kosten dafür aufbringt? Oder die Lehrkraft ehrenamtlich tätig wird?

Man sieht, viele Vorschläge sind lediglich angedacht, aber bei genauerer Betrachtung in der Realität kaum umsetzbar.

Natürlich gibt es auch konstruktive, sinnvolle und durchführbare Verbesserungsvorschläge, die wir alle befürworten und begrüßen, nur hätte es dafür sicher keiner derartig aufwändigen, langwierigen und kostspieligen Evaluation bedurft.

Was jetzt geschieht

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg und das Bundesministerium des Innern in Berlin haben jetzt bis Ende Juni Zeit, die genauen Veränderungen und Verbesserungen festzulegen, um sie Anfang Juli dem Bundestag vorzulegen. Dort werden sie dann ausführlich diskutiert, am Ende verabschiedet und treten dann vermutlich Anfang 2008 in Kraft.

Bis Ende Juni bestünde noch die Möglichkeit der Einflussnahme von außen. Doch der eigentlich zu erwartende Aufschrei bleibt, wie meistens, aus.

Wir leben in einem Land der Bürokratie und trotz aller Finanzprobleme ist es nicht vorgesehen und nicht möglich, Vorschläge erfahrener Fachkräfte aufzugreifen, denen die Problematik seit vielen Jahren vertraut ist. Stattdessen werden Unsummen für eine Evaluation ausgegeben, die durch Menschen erfolgt, die von der Thematik weit entfernt sind und im Grunde keine Ahnung von der Realität bei der Umsetzung der Integrationskurse haben.