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Bildungsbereich in düsterem Zustand | Griechische Gäste berichten auf der LVV

Die GEW Bayern hatte die griechischen GrundschulkollegInnen Vassia Chioti und Nikos Kalogiros, Vorstandsmitglied der griechischen Lehrergewerkschaft D.O.E., auf die Landesvertreter*innenversammlung (LVV) eingeladen, um über die Auswirkungen des Spardiktats der Troika auf das Bildungswesen in Griechenland zu berichten. Wie geht es Lehrenden und Lernenden in einem Land, in dem die Staatsausgaben seit 2009 massiv herunter gefahren werden? Und können Gewerkschaften dem Diktat des Kürzens überhaupt etwas entgegensetzen?

Nikos Kalogiros hatte am Freitagvormittag Gelegenheit, in einem Grußwort an das Plenum von der „katastroikalen“ Situation in Griechenland zu berichten. Er wurde direkt übersetzt vom Kollegen Pavlos Delkos aus München, dem man dabei sofort anmerket, dass es sich um einen sachkundigen und engagierten Kollegen handelte.

Der griechische Bildungsgewerkschafter Kalogiros warnte davor, die Berichte über ein neues Troika-Memorandum als Fakt zu sehen. Da wäre die Rechnung ohne den Wirt, sprich das griechische Volk, gemacht. Er führte in seiner Analyse aus, dass es sich bei dem rigorosen Regime der Troika und dem Abbau sozialer Vor- und Versorgungssysteme sowie demokratischer Rechte nicht um ein individuell griechisches Problem handele. Hier würden vielmehr analog zu den ersten neoliberalen Freilandversuchen der Chicago Boys unter der chilenischen Diktatur Pinochets und den alten erpresserischen IWF-Strukturanpassungsprogramme zur Öffnung der Länder des Südens für den globalen Kapitalmarkt modellhaft auf europäischen Boden übertragen - mit den bekannten Folgen von Deregulierung und Privatisierung.

In einem Diskussionsforum am Nachmittag zu dem Antrag des Bezirkes Unterfranken „Weg mit der Knute der Troika! Aktive Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in den so genannten Krisen-Staaten!“ gaben Vassia Chioti und Nikos Kalogiros  detailliertere Berichte über den Zustand des öffentlichen Bildungssektors in Griechenland. Anhand von der griechischen Regierung veröffentlichter Zahlen verdeutlichten sie, wie das öffentliche Bildungssystem einem Radikalschnitt unterzogen wurde und wird: Danach habe die Regierung von 2009 bis 2014 die Ausgaben für Bildung um 35 Prozent reduziert. Ziel sei bis 2016 eine Einsparung um 47 Prozent. Doch schon heute gebe der Staat nur 2,51 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Bildung aus, betonte Chioti. In Europa betragen die Ausgaben für Bildung im Durchschnitt 5 Prozent vom BIP.

Die Folgen: 2011 seien 102 Berufsschulen und 1200 Schulen (Grundschulen bis Gymnasien) geschlossen worden. Bis 2017 sollen weitere staatliche Schulen schließen. Es stünden für die 7. bis 12. Klassen 30.000 Lehrer weniger zur Verfügung, das seien 30 Prozent der Lehrerschaft in diesem Bereich. Den Grundschulbereich habe man um 10.000 Lehrerinnen und Lehrer verringert, im Berufsschulbereich seien Lehrer entlassen worden, so manche Ausbildung gäbe es nicht mehr. Gleichzeitig würden mit Unterstützung der griechischen Regierung private Anbieter den „Bildungsmarkt“ erobern. Hinzu kämen Versetzungen und vorzeitige Pensionierungen von Lehrerinnen und Lehrern, Stundenerhöhungen und größere Klassen, Abschaffung des Förderunterrichts, Einschränkung des Fremdsprachenunterrichts, Schließung von Schulzentren für Umwelt- und Naturerziehung, Schließung von Schulbibliotheken. Die Besoldung habe sich um 22 bis 45 Prozent verringert. Das Anfangsgehalt betrage 640 Euro, das Endgehalt 1400 Euro Netto.

„Ziel ist die Umwandlung der Bildung von einem öffentlichen sozialen Gut in ein Produkt, das man kaufen kann“, bilanziert Nikos Kalogiros. Die Regierung als große Arbeitgeberin erkenne die Arbeit der Gewerkschaften nicht an. Von einem sozialen Frieden sei längst nicht mehr die Rede. Gewerkschaftlich Engagierte würden kriminalisiert. Ziel sei die Zerschlagung der Gewerkschaften, um „einen Generalangriff gegen die Beschäftigen nicht nur bei uns, sondern auch in Europa zu fahren“, warnte Kalogiros.

Das Diskussionsforum war sich einig: Das Billig-Modell der so genannten "Neuen Schule", wie es von Vassia Chioti eindrucksvoll erläutert wurde, würde bei fortschreitender Austeritätspolitik der EU-Staaten sicher nicht an den Alpenwänden hängen bleiben. Eine weitere Folge des "Spar"-Diktats und der damit einhergehenden steigenden Verarmung sei der Aufstieg der faschistischen Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) in Griechenland, betonte sie. Diese vermischten geschickt Kritik an der Troika-Politik mit rassistischer Hetze, um vom Klassencharakter der Krisenursachen abzulenken.

Beide kritisierten, dass der Europäische Gewerkschaftsbund „nicht sinnvoll und hilfreich“ agiere. Zu sehr hindere ihn sein Korporatismus an wirkungsvollen solidarischen Maßnahmen. „Aber die Solidarität der europäischen GewerkschafterInnen ist notwendig, weil es keine glücklichen Enklaven in Europa geben kann“, sagte Kalogiros. Griechenland sei eben der Modellversuch für andere europäische Länder.

Kollege Reinhard Frankl, über den der Kontakt zustande kam, nahm nach der LVV die beiden über seine Aschaffenburger Heimat mit nach Frankfurt, wo sie nach einer Veranstaltung der GEW Hessen ihre Deutschland-Reise beendeten.