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Ausbildung für alle - doch auch die Qualität muss stimmen

Marco Frank, Politischer Referent in der Jugendabteilung des DGB-Bundesvorstands

Betrachtet man die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt, wird die ausweglose Situation vieler Jugendlicher in der so wichtigen Phase des Berufseinstiegs deutlich. Allein im vergangenen Jahr 2006 stand einer weiter stark steigenden Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern um einen Ausbildungsplatz ein nochmals verringertes Angebot an betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen zur Verfügung. Insgesamt 763.097 Bewerberinnen und Bewerbern, und damit rund 22.000 mehr als im Jahr davor, standen bundesweit nur noch 459.510 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Damit ging das Angebot im Vergleich zum Vorjahr um knapp 12.000 Plätze bzw. 2,5 % zurück. Rein rechnerisch sind das nur noch 60 Stellen auf je 100 BewerberInnen. In der Praxis bedeutet dies: Mehr BewerberInnen versuchen auf einem sich weiter verkleinernden Ausbildungsstellenmarkt einen Ausbildungsplatz zu ergattern.

Ausbildungspakt hat versagt

Die Zahl neu abgeschlossener, betrieblicher Ausbildungsplätze ist in den vergangenen zwei Jahren um 50.000 zurückgegangen. Als besonderer Skandal ist zu bewerten, dass auch die Zahl außerbetrieblicher Ausbildungsplätze für Benachteiligte um mehr als 8,5 % zurückgegangen ist. Damit bleiben die von Wirtschaft und Politik versprochenen Impulse auf dem Ausbildungsstellenmarkt weiter aus. Für die Jugendlichen verschlechtert sich die Situation zusehends. Doch solange sich drei Viertel aller Betriebe von der Ausbildung ausnehmen, ist keine Besserung zu erwarten.

Der Ausbildungspakt hat die Erwartungen enttäuscht. Das betriebliche Ausbildungsengagement ist weiter zurückgegangen. Die Paktpartner, Bundesregierung und Arbeitgeber, lassen nichts unversucht, um den Misserfolg des Paktes und die Situation schön zu reden. Immer wieder wird hierbei das EQJ-Programm angeführt. In der Evaluation des Programms wird deutlich, dass den in der Regel gut gebildeten, ausbildungsreifen Jugendlichen ein EQJ-Platz vermittelt und der Ausbildung ein kostengünstiges Probejahr vorangestellt wurde. Sozial Benachteiligte und Lernbeeinträchtigte wurden durch das Programm kaum erreicht.

Auch in diesem Jahr bleibt es dabei, dass es für Benachteiligte immer schwieriger wird, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu finden. Der Rückgang des außerbetrieblichen Ausbildungsangebotes trifft diese Jugendlichen zusätzlich hart. Es droht eine wachsende Zahl von Menschen ohne Perspektive auf Teilhabe am Arbeitsmarkt. Hier kommt die Gesellschaft ihrer sozialen Verpflichtung nicht nach, sozialer Sprengstoff für die Zukunft wird offensichtlich billigend in Kauf genommen. Wir schieben einen mit jedem Jahr wachsenden Berg von AltbewerberInnen vor uns her. Schon um die 52 % aller BewerberInnen sind sog. AltbewerberInnen. Damit sucht mehr als die Hälfte dieser jungen Menschen schon seit mindestens mehr als einem Jahr einen Ausbildungsplatz.

Neue Modelle sind nötig

Die DGB-Jugend fordert die Entwicklung von Modellen, die die Möglichkeiten der Betriebe zur Ausbildung Be nachteiligter verbessern. Es müssen »Dreiecksausbildungsverhältnisse« zwischen Betrieben, Jugendberufshilfeträgern und Jugendlichen konzipiert und erprobt werden, die die Betriebe im Verbund mit den Jugendberufshilfeträgern in die Lage versetzen, benachteiligte Jugendliche erfolgreich auszubilden und als Fachkräftenachwuchs zu nutzen. Eine solche Kooperation entlastet die Betriebe durch sozialpädagogische Betreuung, Stützunterricht, sowie fachpraktische und fachtheoretische Unterweisung. Dies stellt auch eine Möglichkeit dar, durch organisatorische Unterstützung Kleinbetriebe und Betriebe ausländischer BesitzerInnen zu einem Ausbildungsengagement zu führen.

Die ArbeitgeberInnen stehen in der Pflicht, ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen anzubieten. Dies lässt sich durch Selbstverpflichtungen und Zusagen im Rahmen des Nationalen Ausbildungspaktes ganz offensichtlich nicht gewährleisten. Daher muss die Politik steuernd eingreifen und die ArbeitgeberInnen zur Einlösung ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung in die Verantwortung nehmen. Die DGB-Jugend fordert, aus dem Versagen des Ausbildungspaktes endlich die Konsequenz zu ziehen und eine Umlagefinanzierung zu realisieren. Ein solches System würde das Problem lösen. Es setzt auf gleichmäßige Verteilung von Lasten und Nutzen des Ausbildungsengagements. Bestehende bewährte, branchenspezifische Fondmodelle mit ihren guten Erfahrungen können als Vorbild dienen und in einen Nationalen Ausbildungsfond integriert werden bzw. Teil desselben sein.

»Dr. Azubi« bietet online-Beratung

Doch abseits der öffentlichen Debatte um die Anzahl der Ausbildungsplätze geht es auch um die Frage der Ausbildungsqualität. Politik, Arbeitsagentur und Kammern kümmern sich in der Regel darum, Jugendliche »unterzubringen«, um eine gute Figur in der Ausbildungsstatistik zu machen. Die Qualität der Ausbildung und die Eignung der Betriebe zur Ausbildung wird dabei vielfach zu wenig überprüft.

Die online-Beratung »Dr. Azubi« der DGB-Jugend zeigt jedoch, wie die Realität in vielen Ausbildungsbranchen aussieht. Dr. Azubi ist eine virtuelle Dienstleistung auf Basis einer online-Beratung, welche die DGB-Jugend unter www.doktor-azubi.de allen Jugendlichen, die Probleme in der Ausbildung haben, kostenlos anbietet.

Gerade der Druck, unter den angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen einen Ausbildungsplatz bekommen zu haben und diese Chance nutzen zu müssen, erhöht die Leidensbereitschaft vieler Jugendlicher beträchtlich. Anhand der Zahl der Fälle, die bei uns täglich eingehen, ist zu sehen, dass, nur wenn es gar nicht mehr anders geht, rechtliche Beratung oder – im schlimmsten Falle – ein Ausbildungsabbruch in Erwägung gezogen wird.

Sicher ist klar, dass viele ArbeitgeberInnen gewissenhaft ausbilden und die Ausbildungsqualität in vielen Bereichen immer noch ganz hervorragend ist. Trotzdem erfahren wir täglich über »Dr. Azubi«, dass bei einigen ArbeitgeberInnen teilweise problematische, teilweise ganz und gar unzumutbare Arbeitsbedingungen herrschen.

Mit der online-Beratung »Dr. Azubi« deckt die DGB-Jugend einen Beratungsbedarf ab, der so bisher über die betriebliche Betreuung (durch FunktionärInnen und Betriebsräte, JAVen) nicht möglich war. Es fällt auf, dass die Fälle »härter«, der Umgang und die Konfliktlösungsmechanismen brutaler sind, als man sie aus dem (gewerkschaftlich) organisierten Betriebsalltag kennt. Das Spektrum reicht von der massiven Ausweitung ausbildungsfremder Tätigkeiten über die Überstundenproblematik bis hin zu nicht gezahlter Ausbildungsvergütung, aber auch Mobbing, Gewalt am Arbeitsplatz und sexueller Belästigung.

Gerade in Branchen mit hohen Ausbildungsquoten häufen sich die Problemfälle. Die online-Beratung bestätigt die Erfahrungen der zuständigen Gewerkschaften NGG und ver.di, dass sich Probleme im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättenbereich sowie in den Bereichen Arzt- und ZahnarzthelferInnen häufen.

Die Beratungswünsche und Hilferufe sprechen dafür, dass Auszubildende härtere und existentiellere Probleme im Berufsleben haben als regulär Beschäftigte. Die Politik muss sich auch nach der Vermittlung weiter um die Auszubildenden bemühen. Sie muss sich für die Rechte der Auszubildenden und für eine bessere Qualität der Ausbildung einsetzen.

Die DGB-Jugend wird das Projekt »Dr. Azubi« weiter ausbauen und evaluieren. Schon jetzt zeigt sich, dass das bisherige Anfragevolumen wohl nur die Spitze des Eis-
berges war. So schnellte die Zahl der Anfragen über den online-Beratungsdienst nach der Präsentation des Schwarzbuches Dr. Azubi von monatlich 200 Anfragen schnell auf bis zu 30 Anfragen pro Tag in die Höhe.

Kampagne für Ausbildungsplätze

Mit der Kampagne »Ausbildung für alle« der Gewerkschaften des DGB, die seit April 2007 läuft, geht es darum, die Forderungen der jungen Menschen deutlich zu machen. Bei Wandertagen sind zahlreiche Jugendliche landauf landab vor den Landtagsgebäuden, um für ihre Zukunft zu demonstrieren.  Mit einer zentralen Veranstaltung will der DGB die Betroffenen zu Wort kommen lassen. Unter dem Motto: »Dem Ausbildungsplatzmangel ein Gesicht geben!« werden wir PolitikerInnen, Wirtschaft und Medien – wie in den letzen Wochen – weiter mit den Problemen von Schulabgängerinnen und Schulabgängern konfrontieren, aber auch auf die Sorgen und Nöte derjenigen aufmerksam machen, die ein Problem in der Ausbildung haben.

Unter www.ausbildung-fuer-alle.de kann sich jede/r beteiligen.