Auch wenn die Diskussion über Modularisierung die Gewerkschaften seit über dreißig Jahren beschäftigt (Steffens 1977), gibt es immer wieder neue Initativen. Häufig dient der Wunsch nach Förderung von bildungsbenachteiligten Jugendlichen und die Anerkennung von informellen Lernen als wichtiges Argument, um die Debatte wieder aufzugreifen. Gegen eine Modularisierung spricht die Befürchtung, dass Modularisierung die Beruflichkeit und möglicherweise sogar das ganze duale System der Berufsausbildung gefährden kann.
Bei der Diskussion über die Bedeutung der "Modularisierung" in dem zukunftigen Berufsausbildungssystem kommt es immer wieder zu Missverständnissen. Ein Grund hierfür liegt in den verschiedenen Ansätzen zur Modulbildung. So sind neben tätigkeitsorientierten Ansätzen auch methodisch-didaktische oder auch personenbezogene Ansätze möglich. Bei tätigkeitorientierten Ansätzen werden die Module an berufstypischen Handlungsfeldern ausgerichet. Ein persönlichkeitsorientierter Ansatz zur Modularisierung stellt die Erfahrungen und Kompetenzen der Lernenden (individuelle Lebenssituation, Berufsbiographie, Lernerfordernisse) in den Mittelpunkt seiner Konstruktion von Module (Rüb)
BefürworterInnen der Modularisierung verweisen darauf, dass Modularisierung ein anerkanntes didaktisch-methodisches Mittel zur Strukturierung von Lernen und Lehren ist. Insbesondere in der berufsbegleitenden Nachqualifizierung ungelernter junger Erwachsener werden aufeinander aufbauende Bausteine verwendet. (Inbas) Da der Erwerb von Modulen nur ungefähr 3 – 4 Monate benötigt, ist eine Zielerreichung auch für Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lernen haben möglich und bietet so einen Lernanreiz. Die Module sind Voraussetzung für die Teilnahme an der Abschlussprüfung. Beim Nichtbestehen der Abschlussprüfung, lassen sich Teilqualifikationen mit Hilfe von Modulzertifikaten dokumentieren. (Inbas)
Modularisierung erleichtert eine Individiualisierung der Ausbildung. Insbesondere leistungsstarke Auszubildende können durch geschickte Modulwahl ihre Beschäftigungsaussichten verbessern. (Esser, 2007)
Angesichts der Tatsache, dass viele Menschen im Laufe ihres Lebens den Beruf wechseln, wird das Berufskonzept in Frage gestellt. Hinzu kommt, dass immer wieder manche Berufe wegen technischer Neuerungen verschwinden. Möglicherweise ist es möglich, sich durch Module besser auf den technologischen Wandel einzustellen. (Esser 2007)
KritikerInnen der Modularisierung befürchten, dass durch eine Modularisierung die Beruflichkeit verloren geht. Über Modularisierung droht die Einführung einer Stufenausbildung, wobei zu befürchten ist, dass nur wenigen Auszubildenden die Gelegenheit gegeben wird, über die Grundstufe hinaus zu kommen. Erfahrungen aus England und den Niederlanden zeigen, dass in einem modularen Berufsbildungssystem von den Ausbildungsträgern nicht alle für ein Berufsbild notwendigen Module angeboten werden. (Rüb)
Außerdem wird befürchtet, dass Bildungsbenachteiligung durch Modularisierung weiter verschärft wird, da gerade die Benachteiligten Schwierigkeiten haben, sich im komplexen System der Teilbausteine zurecht zu finden. (Gruber 2006 und Ehrke 2005)
Die geplante Zertifizierung bringt möglicherweise mehr Nachteile als Vorteile. Denn es ist völlig unklar, wer eine Befugnis zur Zertifizierung von Modulen erhält. Es steht zu befürchten, dass durch Zertifizierung die demokratisch legitimierte Entscheidungsbefugnis des Staates über Lerninhalte. Dass der Staat in Gestalt von Lehrplänen und Schulaufsicht über ein entwickeltes Qualitätsmanagementsystem verfügt, soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Desweiteren ist noch unklar, wie die Sozialpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften) in die Modularisierung mit einbezogen werden. Es steht zu befürchten, dass Bildungsanbieter Module formulieren, diese zertifizieren lassen und dann den Arbeitssuchenden gegen Geld anbieten.
Das Argument, die Modularisierung sei bei benachteiligten Jugendlichen besonders erfolgreich sollte zumindest kritisch hinterfragt werden. Denn seit ca. 10 Jahren fördert das Arbeitsamt/Arbeitsagentur nur noch modular aufgebaute Bildungsangebote(Rüb). Hier ist ungeklärt, ob tatsächlich der modulare Aufbau entscheidend für den Erfolg ist oder ob die Erfolge Ergebnis der Förderung sind.
Auf jeden Fall zeigen die Modellversuche zur Modularisierung, wie wichtig eine gute Finanzierung für den Erfolg von Berufsbildungsmaßnahmen ist. So erhielten die Auszubildenden eine Vergütung in Höhe einer ABM-Maßnahme (Inbas)
Die Diskussion über Modularisierung sollte nicht von anderen Handlungsfeldern des Berufsbildungssystems ablenken. Hier seien einige offene Fragen aufgeführt:
Wird die Zahl der Ausbildungsberufe weiter zunehmen und so die Unübersichtlichkeit wachsen? Angesichts von z.z. 348 Ausbildungsberufen (BiBB 2010) scheint es zweifelhaft, ob Auszubildende tatsächlich die Berufe vor der Berufswahl unterscheiden können.
Wird es gelingen, die Qualität der beruflichen Ausbildung zu verbessern (Dr-Azubi 2010)
Werden in Zukunft alle BewerberInnen einen Ausbildungsplatz im angestrebten Beruf finden?
Wird die duale Berufsausbildung in Zukunft durch akademische Bildungsgänge verdrängt werden? (GEW 2009)
Wer wird in Zukunft die Kosten der (Aus-)bildung bezahlen?
Wird es in Zukunft noch eine politische Bildung geben oder wird nur noch den Verwertungsinteressen der "Wirtschaft" entsprochen?
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist der zentrale Punkt die Frage, ob es einen Anspruch auf eine umfassende Ausbildung gibt, oder ob durch Modularisierung einem Großteil der Auszubildenden nur noch einige kurzfristig verwertbare Bausteine vermittelt werden und sie dann ohne Abschluss bleiben.
Literatur
BiBB, auf www.BIBB.de, gefunden am 12.09.2010
Dr. Azubi, auf www.dgb-jugend.de/ausbildung/online-beratung/ gefunden am 14.09.2010
Ehrke, Michael: "Modularisierung" - Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik? Printfassung in: BdWi / fzs (Hg.): Chancengleichheit qua Geburt? Bildungsbeteiligung in Zeiten der Privatisierung sozialer Risiken, Marburg 2005)
Esser, Friedrich H.: Berufsbildung in der Wissensgesellschaft – Anknüpfungspunkte für Reformen, Gütersloh 2007
GEW: auf www.gew.de/Deutschland_hat_zu_wenig_Akademiker.html 2009
Inbas: auf berufsabschluss.de, gefunden am 10.09.2010
Gruber, Elke: Modularisierung als Grundprinzip eines Strukturmodells künftiger
beruflicher Bildung – dargestellt am Beispiel der Kompetenzentwicklung im
bühnen- und veranstaltungstechnischen Bereich siehe: http://wwwg.uni-klu.ac.at/ifeb/eb/Modularisierung.pdf, 2006m S5
Rüb, Herbert: berufsabschluss.de/projekte/bibb_modellversuche/mv_hamburg/modul_faq.htm, gefunden am 10.09.2010
Steffens, G. (1977): Modularisierung: (K)ein Konzept zur Weiterentwicklung des Modulsystems. Statements der DAG zur Arbeitsgruppe 3 der Fachtagung "Modularisierung abschlußorientierter beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen" vom 04.12.1997 in Berlin.- In: Senatverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen, Berlin (Hg.): Modularisierung abschlußorientierter beruflicher Weiterbildungsmaßnahmen. Reader zur Fachtagung am 4.Dezember 1997 in Berlin.- Berlin: BBJ Verlag, 1997.- S. 98-102 (Schriftenreihe der Senatverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen; Bd. 31))