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Die Ideologie dahinter

„Ideologie ist wie Mundgeruch immer das, was die anderen haben.“

Der sogenannte Radikalenerlass ist das Produkt einer rechtskonservativen Ideologiekampagne. Auf ihrer Grundlage wurden Opfer zu Täter*innen stilisiert, während sich die Ideolog*innen, ein scheinbar demokratisches Mäntelchen anzogen.

Die Bundestagswahl 2021 hat uns wie unter einem Brennglas gezeigt: Wer keine eigenen Inhalte stark machen kann, zeigt mit dem Finger auf andere und erklärt sie zum Feind[i]. Durch diese Taktik soll den anderen ein politischer „Mundgeruch“ zugeschrieben werden, dessen Gestank in einer Demokratie keinen Platz hat. So jedenfalls kann man die hilflosen Denunziationsversuche der Unionsparteien gegenüber „linken Kräften“ im letztjährigen Bundestagswahlkampf verstehen. Wird auch nur soziale Gerechtigkeit erwähnt, hagelt es Warnungen vor einem „Linksrutsch“ oder einer „kommunistischen Gewaltherrschaft“. Ein Verweis auf die praktischen und theoretischen Traditionslinien solcher rechtskonservativer Ideologiekampagnen, die im sogenannten Radikalenerlass aus dem Jahre 1972 ihren Höhepunkt fanden, könnte bei der Entlarvung aktueller Ausprägungen, wie z. B. der rechtskonservativen Agentur The Republic, helfen. In ihren Konsequenzen ist diese Kampagne bisher zwar nicht mit den enormen Folgen des sogenannten Radikalenerlasses, also mit der rechtsstaatlich orchestrierten Zerstörung Tausender linker Existenzen, vergleichbar. Trotzdem hilft der historische Blick darauf, um die heute verbreiteten, neurechten Warnungen vor der „Gender-Ideologie“ oder „radikalen Krawallmachern“ von links einordnen zu können.[ii] Unter dem Deckmantel einer liberal-konservativen Bürgerlichkeit möchte man sich dem „politischen Linksdrift“ entgegenstellen, macht Stimmung gegen Einzelpersonen (wie die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung Anetta Kahane) und konstruiert in lupenreiner rechtsradikaler Rhetorik den links-grünen Mainstream (welcher aus GEWerkschaftlicher Sicht tatsächlich gar keine linke Politik betreibt bzw. unterstützt) als staatsgefährdendes Feindbild.

Die Funktion einer Ideologie

Doch wie kann man die diffamierenden Warnungen vor einer „kommunistischen Unterwanderung“ einordnen und verstehen? Was verbirgt sich hinter einer Ideologie und welche Folgen können Ideologiekampagnen für Mitglieder von linken Organisationen haben?

Auf theoretischer Ebene hilft ein Blick in den Werkzeugkasten von Carl Schmitt, der einige politisch-philosophische Grundlagen für die NS-Herrschaft lieferte und weiterhin vielen Konservativen und Rechten als theoretisches Vorbild dient. Für ihn bildete sich das Politische um die Unterscheidung von Freund und Feind. Um den eigenen Zusammenhalt einer Gemeinschaft zu erhalten, brauche es ein konkretes Feindbild. Da das Feindbild des*der Juden*Jüdin vor dem Hintergrund der Gräueltaten des Dritten Reiches in der deutschen Nachkriegszeit nicht mehr mehrheitsfähig war, benötigten die rechtskonservativen Kräfte neue Antagonist*innen, die in den Vertreter*innen des Kommunismus gefunden wurden. Diese „innerstaatliche Feinderklärung“ wurde zum Ende der 1960er-Jahre immer wichtiger, da große Teile der Studierendenvertretungen an den Hochschulen sozialistische Ansichten vertraten und 1968 auch wieder die Gründung einer kommunistischen Partei (DKP) ermöglicht wurde. Vor dieser „marxistischen Renaissance“ fürchteten sich die Unionsparteien, was durch den Verlust der Regierungsmacht im Jahre 1969 noch verstärkt wurde. Nachdem die sozialliberale Koalition dann die Ostverträge beschloss, also versuchte, mit den osteuropäischen Nachbarländern einen außenpolitischen Dialog einzugehen, rief der CDU-Oppositionsführer Rainer Barzel aus: „Der Öffnung nach außen darf keine Öffnung nach innen folgen!“ Diesem Ausspruch und der damit einhergehenden Verleumdungskampagne von rechts gab die SPD-geführte Regierung drei Jahre später nach und führte 1972 den sogenannten Radikalenerlass ein, der die Etablierung der Berufsverbotspraxis ermöglichte. Wie weit die Diffamierung des „Feindes“ ging, zeigt eine Rede des Staatsrechtlers Klaus Stern, der damals als überzeugter Verfechter der Berufsverbote galt: „Es soll erreicht werden, dass alle auf dem Index stehenden Organisationen wie Leprakranke gemieden und damit hoffnungslos isoliert werden.“ Der Kommunismus wird zur Krankheit erklärt, die aus der Gesellschaft verbannt gehört, wodurch der Kreis der Anhänger*innen zu Menschen zweiter Klasse degradiert wird. Mit Verfassungstreue hat dies wenig zu tun.

Die Macht der Ideologie

Die rechtskonservative Ideologiekampagne spaltet seit jeher nicht nur in Freund und Feind, sondern unternimmt zudem den Versuch, alles Kritische unter einen gemeinsamen feindlichen Hut zu stecken. So befindet sich unter den damals Angeklagten auch der Grundschullehrer Gerhard Bitterwolf, seinerzeit Vorsitzender der bayerischen DFU (Deutsche Friedens-Union) und Friedensaktivist. Ihn klagte man an, da er das Helsinki-Abschlussdokument (1975), das die friedliche Koexistenz zwischen dem östlichen und westlichen Block regelte, an einer Schule verteilen wollte. Pikant: Das Papier selbst enthielt die Forderung nach Weiterverbreitung. Damit richtete sich die Anklage gegen jemand, der ganz im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung handelte, wodurch die Kläger als eigentliche Verfassungsfeinde einzustufen sind. Anhand dieser Umkehrung wird die ganze Macht von Ideologie sichtbar: Eine Erzählung soll sich über die eigentlichen Tatsachen legen, um sie zu verschleiern. Die Tatsache des Friedensvertrages wiegt weniger als die Erzählung des Antikommunismus. Die rechtskonservative Ideologie versucht also durch Manipulation ein falsches Bewusstsein in der Bevölkerung durchzusetzen, damit die eigenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen vertuscht werden können.

Diese Strategie kann auch im Falle der hessischen Lehrerin Sylvia Gingold beobachtet werden. Ihr wurde die Verfassungstreue abgesprochen, da sie angeblich „die Beeinträchtigung der freien Persönlichkeitsentfaltung durch bolschewistische Zwangsgewalt“ befürworte. Von der Anklage erfuhr sie auf der einen Seite vom Bundesrichter Charles Edmund de Chapeaurouge, welcher noch 1939 an einem „Rassenschande“-Urteil mitgewirkt hatte (Fall: Leon Abel). Auf der anderen Seite wirkte Dr. Rudolf Weber-Lortsch als berichterstattender Richter an der Anklage Gingolds mit, welcher u. a. als Polizeipräsident die polnische Stadt Kattowitz „judenfrei“ machte und an der Erstellung mehrerer Deportationslisten in der Ukraine und in Norwegen beteiligt war. So lenkte die innerstaatliche Feinderklärung auch hier von den eigentlichen antidemokratischen Taten ab, wodurch rechte Ideologie zu geltendem Recht gemacht wurde.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“[iii]

Die rechtskonservative Ideologiekampagne spaltet, vereinfacht und verschleiert, wodurch historische Gegebenheiten um 180 Grad gedreht werden. Doch diese gefährliche Strategie hat auch ihre Kehrseite, und die kann uns Hoffnung, vor allem vor dem Hintergrund der Debatte um den sogenannten Radikalenerlass von 1972, geben. Wer kollektiv als Feind ausgewiesen wird, der findet sich notwendigerweise mit anderen auf der gleichen Seite wieder, wodurch untereinander prinzipiell ein größeres Mobilisierungspotenzial entstehen kann. Diese Chance des gemeinschaftlichen Kampfes wurde nach dem Erlass 1972 sehr deutlich. Es formierte sich ein breites linkes Bündnis mit internationaler Unterstützung, zu welchem unter anderem die Friedensbewegung, der Antifaschismus, engagierte Berufsgruppen in Erziehung, Wissenschaft, Sozialarbeit und der Medizin gehörten. Die Dialektik hinter den Ereignissen, die von der Gleichzeitigkeit rechtskonservativer Destruktivität und linker Konstruktivität geprägt waren, kann uns auch nach 50 Jahren sogenanntem Radikalenerlass für die heutigen und noch bevorstehenden Kämpfe Mut machen – auch in dem Wissen, dass sehr viele berufliche Existenzen damals für immer vernichtet wurden!

von Kilian Gremminger

Student der Soziologie und Mitglied der DDS-Redaktion

Grundlage dieses Artikels sind zwei Reden aus den Jahren 2012 und 2017 des Juristen Schmitt-Lermann, der in der Zeit der Berufsverbote betroffene GEW-Kolleg*innen verteidigte.

 


[i] In diesem Artikel ist die Theorie des „Freund-Feind-Schemas“ essenziell. Um beim Bild bleiben zu können, wenden wir dort keine gendersensible Schreibweise an.

[ii Um das rechtspopulistische Ausmaß der Kampagne zu erkennen, genügt ein kurzer Blick auf die Homepage therepublic.de. Vgl. auch: Sebastian Bähr: Rechtsradikale Plattform mit Unionshintergrund. nd-aktuell.de v. 22.11.2021

[iii] Friedrich Hölderlin (1803): Patmos.