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Fachkräftemangel

Herz- oder Schmerzwerker*innen?

»Herzwerker« heißt das Motto der Kampagne des Familienministeriums, die verkennt, dass es sich bei der Arbeit in einer Kita auch um Erwerbsarbeit zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten handelt.

Dass in Kitas ein eklatanter Fachkräftemangel herrscht, wissen wir schonseit Jahren. Dass die Verweildauer in den Berufen der frühkindlichen Bildung wie auch in den Pflegeberufen wegen schlechter  Arbeitsbedingungen  und ständig steigender Anforderungen weiter abnimmt, ebenso. Versuche des Gegensteuerns vonseiten des Sozialministeriums erschöpften sich bisher in der Leugnung des Problems. Das soll sich jetzt ändern: Doch die aktuelle Kampagne aus dem Ministerium erkennt zwar das Problem, ist aber eine Farce.

Die von der ehemaligen Sozialministerin Christine Haderthauer gebetsmühlenartige Leugnung des Erzieher*innenmangels – auch angesichts des gesetzlichen Anspruchs auf einen Kita-Platz im Jahr 2013 – bei gleichzeitiger Reduzierung der Ausbildungsplätze an den Fachakademien sprach Bände dafür, dass das Realitätsbewusstsein der damaligen Ministerin viel Luft nach oben hatte. Jetzt, wo die Lage nach wie vor ernst ist, greift ihre Nachfolgerin Carolina Trautner in herzerwärmender Weise mit einem Appell und dem »immensen« Einsatz von 2.000 Euro ein, um für den Beruf »pädagogische Fachkraft« zu werben. Der »hoch dotierte« Preis wird im Jahr 2021 einer Einrichtung für ein Jubel-Video verliehen, das die heile und ach so schöne Kita-Welt darstellt.

Trautners schöne Kita-Welt

»Herzwerker« heißt das Motto der Kampagne, die verkennt, dass es sich bei der Arbeit in einer Kita auch um Erwerbsarbeit zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten handelt. Die der Kampagne beigefügten Videos aus dem Ministerium zeigen deshalb auch nur verzerrte Bilder von der Arbeit in der Kita: eine Erzieherin, die seit 40 Jahren diese Tätigkeit ausübt, eine andere, die in der Kita ihrem Hobby, dem Kochen, nachgehen kann, und eine weitere, die unheimlich viele Freiheiten in ihrem Beruf genießt etc. Kleine Gruppen gaukeln dabei eine schöne, heile Kita-Arbeitswelt vor.

Wenn Fürsorge zur Pflicht der Beschäftigten wird

Forderungen nach guter Ausbildung, nach guten Arbeitsbedingungen durch einen besseren Kind-Personal-Schlüssel, nach besseren Verfügungszeiten, nach mehr Fort- und Weiterbildung, nach Lärm- und Gesundheitsschutz bleiben gekonnt außen vor. Sie passen nicht in Trautners heile Welt der Pädagogik. Das Ziel der Kampagne ist klar: Eine emotional aufgeladene Welt der Glückseligkeit soll die Arbeit in der Kita schmackhaft machen. Was damit auch kommuniziert wird:Die Verantwortung für eine gute Pädagogik liegt allein beim Personal, der Staat kann dazu nichts beitragen, deshalb wird er auch gar nicht erst erwähnt. Der Zusammenhang von guten Arbeitsbedingungen und Wertschätzung des Personals erschließt sich der Sozialministerin wohl ebenso wenig wie der Zusammenhang von an den Lebenshaltungskosten orientierter Bezahlung und Gesundheitsschutz, der sich aber aus der bayerischen Verfassung sowie aus der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber ergibt. Vielleicht geht es bei der Kampagne aber auch darum, die naivsten pädagogischen Fachkräfte in bayerischen Kitas zu prämieren. Wie auf diese Weise die jetzt fehlenden 120.000 Fachkräfte – weitere 350.000 sind erforderlich, da noch zusätzliche Kita-Plätze aufgebaut werden müssen – gewonnen werden sollen, bleibt Trautners Geheimnis. Die Fachgruppe sozialpädagogische Berufe der GEW kämpft seit über 30 Jahren für bessere Arbeitsbedingungen, das Sozialministerium antwortet ebenso lang mit erhöhten Anforderungen. In einem realistischen, nichts beschönigenden Video würde Dr. Fthenakis vom Institut für Frühpädagogik wohl sinngemäß sagen: Unter diesen Arbeits- und Lernbedingungen können die hehren Anforderungen an Bildung und Erziehung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBig) nicht realisiert werden. Wie recht er hat.