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Gertrud Woker (1878 – 1968): Eine mutige Kämpferin gegen chemische Kriegswaffen

Gertrud Woker war die erste Schweizerin mit einem Doktortitel in Chemie und die erste weibliche Privatdozentin an einer deutschsprachigen Universität (1907 in Bern).

Und sie engagierte sich mit Vehemenz für die Gleichberechtigung der Frauen und gegen den Krieg, insbesondere gegen den Einsatz von biochemischen und später atomaren Waffen.

Gertrud Woker hatte als Frau keinen leichten Stand in der damals fast ausschließlich männlichen Wissenschaft und sie wurde wegen ihres feministischen und pazifistischen Engagements häufig diffamiert. Ihre Bücher gegen den Giftgaskrieg wurden auf den Scheiterhaufen der Nationalsozialist*innen verbrannt. Obwohl sie der Biochemie den Weg bereitete, schien sie lange vergessen.

„Im Namen der Würde der reinen Wissenschaft verurteilen wir aufs Schärfste den Missbrauch wissenschaftlicher Forschung für destruktive kriegerische Zwecke.“ (Gertrud Woker)

Gertrud Woker betonte stets eine ethische Verantwortung der Wissenschaftler*innen. Mit der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (IFFF), die sie mitbegründete, engagierte sie sich als Chemikerin und damit als ausgewiesene Expertin gegen die chemische Kriegsführung. 1924 bereiste sie mit anderen Frauen der IFFF 23 Städte in den USA im eigens gemieteten „Pax Special“-Zug. Die Frauen organisierten Versammlungen und hielten Vorträge zu einer neuen internationalen Friedensordnung, aber auch um über die Gefahren künftiger Kriege aufzuklären. „Die entsetzlichen Wirkungen der chemischen Kriegsführung müssen der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden“, so Wokers Credo. Auch in Europa hielt sie zahlreiche Vorträge, verfasste Artikel und schließlich Bücher gegen den Einsatz von Giftgas. So entstand 1925 das Buch „Der kommende Giftgaskrieg“. Überarbeitet und ergänzt erschienen ihre Artikel und Vorträge im Jahr 1932 unter dem Titel „Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung“. Diese Bücher wurden viel gelesen und besprochen.

Die Verantwortung der Wissenschaft für den Einsatz ihrer Erfindungen

Weil Gertrud Woker stets die Verantwortung der Wissenschaftler*innen betonte, eröffnet das Kapitel „Wissenschaft und Krieg“ das Buch. Wissenschaft als „Werkzeug im Dienst [...] materielle[r] Interessen“ ist für Woker eine entsetzliche Vorstellung. Sie lässt Augenzeug*innen von Giftgasangriffen im Ersten Weltkrieg zu Wort kommen und die schrecklichen Todeskämpfe der Erstickenden genau schildern. Sie beschreibt wissenschaftlich die Wirkung der verschiedenen chemischen Substanzen in ihren jeweiligen Einsatzkombinationen. Diesen Schilderungen stellt sie die Rechtfertigung von Militär und Wissenschaft gegenüber, warum der Einsatz von Giftgasen im Ersten Weltkrieg nicht völkerrechtswidrig gewesen sei. Woker offenbart die perfide militärische Logik der Verwendung verschiedener Gase, nämlich den Gegner zu überraschen und Schutzmaßnahmen wie Gasmasken unwirksam zu machen. Zur Illustration dienen zahlreiche Abbildungen. Nach dem Ersten Weltkrieg sei die Forschung und Entwicklung von Brandbomben und Giftkampfstoffen noch intensiviert worden. Detailliert und anschaulich beschreibt Woker die Einsatzmöglichkeiten und die verheerenden Auswirkungen solcher Kampfmittel, eben nicht nur für die kämpfenden Soldat*innen, sondern auch für die gesamte Zivilbevölkerung. Ebenso zeigt sie die Unmöglichkeit auf, sich gegen diese Brand- oder Gasangriffe zu schützen. Daraus ergibt sich für sie zwingend die Forderung: „Nicht diese oder jene Waffe ist zu bekämpfen, nicht diese oder jene Form des Krieges; das, was bekämpft werden muß, ist der Krieg!“ Breiteren Raum nimmt in ihrem Buch auch die Kritik am Lobbyismus der Waffenindustrie ein.

Fotonachweis: Deutscher Hausschatz. Illustrierte Familienzeitschrift. 38. Jahrgang. Von Oktober 1911 bis Oktober 1912. Verlag von Friedrich Pustet, Regensburg und Rom. New York und Cincinnati: Friedrich Pustet & Co. Nr.1, S. 46

Mit der Kraft der Überzeugung gegen die „Mentalität der Gewalt“

Wokers Hoffnung war, dass Fakten die Menschheit überzeugen und so die Welt von der Geisel der chemischen Waffen befreien. Dabei hatte sie durchaus das Wirken chauvinistischer Männer im Blick, die die Frauen der IFFF als geisteskrank verunglimpften und sogar mit Gewalt drohten. Sie selbst sollte mit übelsten Verleumdungen diskreditiert werden. Doch Gertrud Woker zog daraus nur den Schluss, dass ihr Buch zum Giftgaskrieg größte Wirkung entfaltet hatte und deshalb die Gegenwehr so heftig ausfiel. Sie ließ sich nicht zum Schweigen bringen und setzte ihre Arbeit unerschrocken fort. „Ich habe die ernste Mahnung, daß ich mir meine Karriere verderben werde, gerne und freudig in den Wind geschlagen, in der Meinung, daß der Kampf um eine gute Sache mehr wert ist als ungezählte Karrieren.“

„Die klare Erkenntnis, daß jener Weg, auf dem wir früher gedankenlos dahintrotteten, in die Irre und ins Verderben führt, ist die erste Voraussetzung dafür, daß wir den Pfad finden, der hinführt in eine glücklichere Welt, die sich allein durch kulturelle Zusammenarbeit aller Menschen und Völker aufbauen läßt. Möchten diese Blätter ein Weckruf sein im Kampf zur Überwindung der bösen Geister der Vergangenheit – im Kampf zur Überwindung jener Mentalität der Gewalt, der immer und überall die Mutter des Krieges war.“

Auch für uns Menschen heute hat diese Mahnung nichts an Aktualität verloren.

 

Literatur:

Gerit von Leitner: Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878-1968), Chemikerin & Internationale Frauenliga 1915-1968. Weidler Buchverlag, Berlin 1998

Franziska Rogger: Gertrud Woker. In: Der Doktorhut im Besenschrank: Das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern. Efef, Bern 1999, S. 178-198

2021 widmete sich das Schweizer Filmteam Fabian Chiquet und Matthias Affolter der außergewöhnlichen Frau in dem animierten Dokumentarfilm „Die Pazifistin. Gertrud Woker – eine vergessene Heldin“.

Aus der Münchner Freiheitsbibliothek:

Gertrud Woker: Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung. Ernst Oldenburg Verlag, Leipzig 1932, 6. Auflage – Ausschnitt aus dem Originaltext