Kernaussagen des Vortrags von Jörn Gutbier:
Das Konzept "Digitale Bildung" kommt von der Industrie, nicht aus der Erziehungswissenschaft.
Pädagogik und Erziehung wird von Geräten her gedacht, nicht mehr vom Menschen her, dem humanistischen Bildungsauftrag. Die Erklärung dafür ist nicht schwierig. Es geht um die Googlification der Schulen.
"Mit der Digitalisierung verwandeln wir unser Leben, privat wie beruflich, in einen Riesencomputer. Alles wird gemessen, gespeichert, analysiert und prognostiziert, um es anschließend zu steuern und zu optimieren" (Zitat: Yvonne Hofstetter)
BigData ist ein Kernelement der "Digitalen Bildung"… Unsere Kinder wachsen in einer Demokratie unter den Bedingungen einer neuen Art von Totalüberwachung auf, Harald Welzer nennt dies eine smarte Diktatur.
Der Datenhunger scheint ein wesentlicher Grund, warum die Industrie Smartphones und Tablet-PCs in KiTas und Schulen etablieren will.
Die Daten für die eigene Überwachung und Steuerung, die ja bisher nur bei strafrechtlich relevantem Verhalten zulässig war, liefert heute jeder Smartphone-Nutzer freiwillig, das ist das Neue. Es ist eine Freiheitsfalle.
Halten wir uns vor Augen, was sich durch die Digitalisierung der Schulen ändern soll:
• Die Schüler sitzen vereinzelt am Tablet-PC, werden überwacht und gesteuert von Algorithmen. Ein sprechender Computer gibt Aufgaben und Übungen vor.
• Kreativität und Querdenken entfällt. Die Software-Optionen, ausgearbeitet bei Google & Co, geben vorprogrammierte Kompetenzen vor.
• Digitaler Unterricht bedeutet einen Schritt in Richtung "Schule ohne Lehrer". Lehrer werden durch autonome Digitaltechnik ersetzt und zu Lernbegleitern degradiert.
Derzeit findet ein Bruch mit dem demokratischen, humanistischen Bildungsauftrag statt.
• Es geht um Konditionierung in bester behavioristischer Tradition.
• Es gibt keine "Digitale Bildung". Kein Mensch lernt und denkt digital!
• Weder Lernprozesse noch Bildung lassen sich digitalisieren, allenfalls Lerninhalte.
„Wir müssen es als Realität betrachten, dass Technologie in unseren Schulen mehr schadet als nützt“ (OECD-PISA Chef Andreas Schleicher)
Sogar die Telekom warnt: WLAN-Router nicht in Aufenthaltsräumen aufstellen.
.... dass die WLAN Normalbelastung zu Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, ADHS, Spermienschädigungen bis hin zu DNA-Strangbrüchen und damit zu Krebs (LERCHL 2015) führen kann.
Auf hoher wissenschaftlicher Ebene, im Springer Reference-Book "Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants" (NAZIROGLU 2014) wird in einer Metastudie zu WLAN darauf hingewiesen, dass gerade auch schwache WLAN-Strahlung gesundheitsschädlich ist.
Die soziale Selektion des Bildungssystems wird verstärkt, denn vor allem Kinder benachteiligter Schichten haben mehr Spielekonsolen in der Wohnung. Nachgewiesen ist ein erhöhtes Risiko für Verzögerungen in der Sprach- und Bewegungsentwicklung, für Übergewicht, für Schlafstörungen, für Empathie Verlust, und für Schulversagen.
Die eingangs erwähnte Hoffnung vieler Eltern, früher Medienkonsum bereite ihre Kinder auf die Zukunft vor, ist angesichts der Nebenwirkungen ein verhängnisvoller Irrtum. Das Gegenteil ist der Fall.
"Auf dem Weg zur Schule ohne Lehrer?" - das sollten wir nicht zulassen, auch nicht die Degradierung zum Lernbegleiter. Statt Milliarden für technische Geräte für den Profit der IT-Industrie zu verschleudern, brauchen wir als allererstes mehr und gut ausgebildete Lehrer, mehr Schulsozialarbeiter*innen und Psycholog*innen, mehr Schullandheime-Aufenthalte, kleinere Klassen, Gelder für Musik- und Theater AGs, für Projekttage, für sanierte Schulen.
Fünf Forderungen an die Politik:
1. Die Einführung digitaler und kabellosen Medien darf nur erfolgen, wenn zwei juristische Tatbestände gesetzlich geregelt sind:
• Ein spezielles Datenschutzgesetz für Kinder und Jugendliche muss erlassen werden, angelehnt an den Children`s Online Privacy Act (COPPA) der USA, der das Tracken und Abspeichern von Daten von Kindern unter 13 Jahren restriktiv regelt.
• Das Vorsorgeprinzip muss angewandt und die daraus folgenden Schutzregelungen zur Minimierung der Strahlenbelastung für Kinder definiert werden. Grundlage dafür ist eine eigene, unabhängige Auswertung der Studienlage zu biologischen Wirkungen nichtionisierender Strahlung, insbesondere von WLAN, aber auch der anderen Frequenzen (GSM, UMTS, LTE). Strahlenschutz bedeutet: Die Verkabelung digitaler Medien hat Vorrang; neue optische Techniken wie Visible Light (VLC, Li-Fi) werden gefördert.
2. Kinder und Jugendliche brauchen eine Verwurzelung in der Realität, bevor sie der Virtualität ausgesetzt sind. Ihr Gehirn entwickelt sich besser, wenn kein Tablet-PC oder Smartphone reale Welterfahrung verhindert. Wir brauchen mindestens bis einschließlich der Grundschule digitalfreie Zonen, damit Kinder die Lernerfahrungen machen können, die zu ihrer kognitiven Entwicklung passen.
3. Ab dem 12. Lebensjahr können die digitalen Medien schrittweise als Hilfsmittel eingeführt werden. Die Schüler müssen ihren Nutzen und ihre Risiken kennen. Medienmündigkeit ist wesentlicher Bestandteil von Medienkompetenz. Beides ist notwendig, damit junge Erwachsene in Ausbildung, Studium und Beruf die Medien beherrschen, um nicht von ihnen gestresst und manipuliert zu werden.
4. Für die Einführung der digitalen Medien in den Schulen müssen die Erziehungsbehörden Bildungspläne entwickeln, die den Stand der Gehirnforschung und Lernpsychologie berücksichtigen und die Rechte des Kindes auf eine natürliche Entwicklung respektieren. Die Schulpläne dürfen nicht auf das Ziel der ökonomischen Verwertbarkeit der Kinder umgeschrieben werden, um sie für die Ideologie des Höher, Schneller, Weiter und den Konsumismus zu konditionieren.
5. Die hohen Anforderungen und Risiken des Internetzeitalters erfordern dafür sensibilisierte Lehrer. Es muss in mehr Lehrer und kleinere Klassen investiert werden, anstatt der IT-Industrie zu neuen Milliarden Umsätzen zu verhelfen.