Die Initiative »Eine Schule für alle« - GEW-Landesverband Bayern, Bayerischer Elternverband, LandesschülerInnenvertretung und Freinet-Initiative Bayern - hatte zum zweiten Kongress des Bündnisses nach Unterhaching bei München eingeladen. Kein neues Thema und auch die Argumente, die für langes gemeinsames Lernen sprechen, sind bekannt. Und dennoch, Veranstaltungen wie dieser - darin sind sich die OrganisatorInnen einig - bedarf es dringend, um zu mobilisieren und zu überzeugen.
Schulangst verhindert Lernen
Eingangs stellte Gele Neubäcker Befunde einer neuen Studie des Verbandes der Landesbausparkassen vor. Diese bestätigen, dass die Schule maßgeblichen Einfluss auf die emotionale Befindlichkeit von Kindern hat: Im ersten bundesweiten »Kinderbarometer« (9- bis 14-Jährige) gaben 30 % der Befragten an, dass sie sich in der Schule unwohl fühlten und Schulangst hätten. Zurückzuführen sei dies vor allem auf den enormen Leistungsdruck. In Bayern beträgt dieser Anteil sogar fast 40 %. So alarmierend die Zahlen sind, so wenig können sie überraschen, denn die bildungspolitischen, sozialen und gesundheitlichen Folgen des selektiven Schulsystems sind hinlänglich bekannt.
Schule neu denken!
Professor Georg Auernheimer gab einen Ausblick auf das, was »wir zu denken wagen sollten«: Wenn heute sogar schon Unternehmerverbände anmahnen, dass die Realität die (Bildungs-)Politik bereits überholt hat, und Benachteiligungen durch das gegliederte Schulsystem problematisieren, besteht Handlungsbedarf. Professor Auernheimer: »Die gemeinsame Schule zwingt geradezu zu individueller Förderung und Lerndiagnostik. Mehr noch: Diese Schule wird Probleme zwischen LehrerInnen und SchülerInnen und zwischen der Schule und den Eltern entschärfen.« Reformstrategien müssen bereits in Kindertagesstätten ansetzen und eng mit der Grundschule verzahnt werden. Dazu bedarf es u. a. auch entsprechender Qualifikationen der ErzieherInnen. Um auch bildungsfernen Schichten notwenige Lebenskompetenzen durch (Schul-)Bildung zu vermitteln, muss die Selektivität zugunsten von Integration aufgegeben werden. Das bestehende System bringt PädagogInnen immer wieder moralisch in Bedrängnis, weil die Möglichkeit der »Abschulung« besteht und diese oft als einzig mögliche Problemlösung gesehen wird. Neben einer verbesserten Vorschulbildung und Gemeinschaftsschulen ist die Vereinbarung von Bildungsstandards erfolgversprechend. Dabei geht es um die Festlegung von Mindestanforderungen, die regeln, was SchülerInnen beispielsweise am Ende des 4. Schuljahres können sollten. Schafft es eine Bildungseinrichtung nicht, diese Standards zu erfüllen, d. h. erreichen die SchülerInnen die Ziele nicht, muss nach den Gründen dafür gesucht werden. Das wiederum setzt u. a. die Schaffung von wirksamen Instrumenten zur pädagogischen Diagnostik und zur individuellen Förderung voraus.
Was sollten also die TeilnehmerInnen des Kongresses und maßgebliche Bildungspolitiker zu denken wagen? Frühe Vorschulerziehung in Kooperation von Kindertagesstätte und Grundschule, zehn Jahre gemeinsames Lernen in einer Schule für alle, daran anschließend eine zweigliedrige Oberstufe mit der Möglichkeit, die Hochschulreife zu erwerben.
Bewegung in Baden-Württemberg
Wie kann der Weg zu »Einer Schule für alle« erfolgreich sein? Antwort: Netzwerkbildung. Wie wirkungsvoll solche Netzwerke sind, stellten Fritz Erb und Bernd Dieng dar. Beide gehören zu den InitiatorInnen bzw. TrägerInnen eines Offenen Briefes der oberschwäbischen SchulleiterInnen in Baden-Württemberg. Empfänger: Kultusminister Helmut Rau (CDU). Die »Rebellen«, wie die Unterzeichner seither genannt werden, hatten in einem mehrseitigen Schreiben Fragen zum aktuellen Befund des Schulsystems gestellt. Auslöser dafür war das vom Kultusminister angekündigte »Fitnessprogramm für Hauptschulen«. Dabei war man selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Lehrpersonal Schuld an der Misere tragen würde. Die Reaktionen auf den offenen Brief hatten alle Beteiligten überrascht und gezeigt, dass akuter Handlungsbedarf besteht.
Inzwischen haben etwa 350 SchulleiterInnen den Brief unterzeichnet, täglich gehen Solidaritätsbekundungen ein und das Netz derer, die eine gemeinsame Schule fordern, wächst. Bernd Dieng: »Eine erste Gemeinschaftsschule wurde jetzt auf der Insel Fehmarn eingerichtet. Es bewegt sich also etwas in der Bildungslandschaft - zumindest im Norden der Republik.«
Visionen entwickeln
Eine neue Schulstruktur allein führt nicht zum Ziel der »guten Schule«, aber sie ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür. Darüber waren sich alle TeilnehmerInnen einig. In Arbeitsgruppen wurden einige weitere Aspekte diskutiert: Die Ausbildung der LehrerInnen wird sich verändern müssen, Noten sollen weitgehend durch ein System individueller Leistungsrückmeldungen ersetzt werden, Eltern und Schule können »auf Augenhöhe« kooperieren, wenn der Auslesedruck entfällt.
Die Homepage der Initiative für eine gemeinsame Schule in Baden-
Württemberg findet man unter: