Corona
Digitale Jugendarbeit – Chancen und Perspektiven
Die Coronapandemie ist besonders für Kinder und Jugendliche eine große Herausforderung. Hilfe und Unterstützung kommt oft aus der Jugendarbeit, die in Zeiten der Krise neue, digitale Wege gehen muss.
Dieser Umstieg fällt nicht immer leicht, ist aber häufig die einzige Alternative, um den Zugang zur Zielgruppe nicht zu verlieren.
Seit nunmehr über einem Jahr beherrscht die Coronapandemie die Lebens- und Alltagswelt vieler Menschen. Ein Ausweg und damit eine Rückkehr zur Normalität scheint trotz Impfstoff auch weiterhin nicht in Sicht. Stattdessen hangeln wir uns von Lockdown zu Lockdown ohne Perspektive, dafür mit einem wachsenden Gefühl von Hilflosigkeit.
Jugend in Zeiten von Corona
Besonders für junge Menschen sind die Einschränkungen stark belastend: keine Partys, kein Auslandsjahr, kein Raum, um Grenzen zu erkunden und auszutesten. Im Gegenteil: Kinder und Jugendliche wurden seit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 auf den Status „Schüler*in“ bzw. „Kitakind“ reduziert, auf etwas, das betreut und verwahrt werden muss, damit die Eltern weiterhin zur Arbeit gehen können. Die Situation von Studierenden und Auszubildenden wird hingegen kaum bis gar nicht thematisiert. Wenn Jugendliche schließlich doch im öffentlichen Diskurs auftauchen, dann oft im Zusammenhang mit Verstößen gegen Beschränkungen und scheinbarer Sorglosigkeit. Diese Wahrnehmung verfälscht die Diskussion und führt zu gefährlichem Schubladen-Denken. Jugendliche werden zu Mitverursacher*innen der Pandemie erklärt und nicht als Teil der Lösung gesehen. Dass diese Wahrnehmung trügt, verdeutlicht nicht zuletzt eine Jugendstudie, nach der sich knapp 79 Prozent der Jugendlichen durchaus an die gesetzlichen Regelungen halten.[i]
Kindliche und jugendliche Bedürfnisse wie der Wunsch nach Anerkennung, Selbstentfaltung, Freizeit, Treffen von Gleichgesinnten etc. finden im Diskurs oft keine Berücksichtigung. Die einstige Sturm-und-Drang-Phase der Jugend wird durch die Pandemie auf ein „Ausharren und Durchhalten“ reduziert. Was bleibt, ist oft Perspektivlosigkeit und Frustration.
Folgen für Kinder und Jugendliche
Diese wachsende Unsicherheit bleibt nicht ohne Auswirkungen, wie eine Studie der Universitäten Frankfurt/Main und Hildesheim in Kooperation mit der Bertelsmann-Stiftung herausfand: 61 Prozent der Jugendlichen geben an, sich teilweise oder dauerhaft einsam zu fühlen, 64 Prozent klagen über psychische Belastungen, 69 Prozent haben große Sorgen bezüglich der eigenen Zukunft. Besonders betroffen sind Jugendliche in finanziellen Nöten: Diese geben überdurchschnittlich häufig an, unter psychischen Belastungen und Zukunftsängsten zu leiden.[ii]
Herausforderungen für die Jugendarbeit
Eine der zentralen Aufgaben der (außerschulischen) Jugendarbeit ist es, Kinder und Jugendliche bei Problemen zu unterstützen und zu entlasten. Nach § 11 SGB VIII ist Jugendarbeit eine gesetzliche Pflichtaufgabe, die unterschiedliche Bereiche abdeckt, angefangen von Bildung bis hin zu Sport, Bewegung, Erholung und Freizeit. In Krisenzeiten bieten nicht zuletzt Angebote der außerschulischen Jugendarbeit Halt und Orientierung, besonders für die Jugendlichen, die dies von anderer Stelle her nicht oder nur unzureichend erhalten. Da durch die Pandemie aber auch hier viele Einrichtungen wie öffentliche Bolzplätze, Beratungsstellen, Jugendzentren etc. geschlossen wurden, können besonders hilfebedürftige Jugendliche nicht oder nur unzureichend erreicht werden. Sie bleiben mit ihren Ängsten und Sorgen allein. Jugendarbeiter*innen müssen sich an die Herausforderungen anpassen und neue Wege gehen, um ihre bisherigen Zielgruppen auch weiterhin bedarfsgerecht unterstützen zu können. Oft setzen sie dafür digitale Medien ein, deren Nutzung sie sich aber zum Teil erst noch aneignen müssen.
Digitalisierung der Jugendarbeit
Die Nutzung digitaler Endgeräte in der Jugendarbeit ist keinesfalls neu, die Schnittstellen zur Medienpädagogik sind längst vorhanden. Eine gewisse Skepsis bleibt jedoch weiterhin spürbar, oft auch verbunden mit einer starken Verunsicherung hinsichtlich möglicher Risiken. Durch die Coronapandemie wurden viele Jugendarbeiter*innen in die Lage versetzt, relativ kurzfristig auf digitale Kommunikation „umzustellen“, um den Kontakt zur Zielgruppe nicht vollständig zu verlieren. Dabei waren viele Einrichtungen auf sich gestellt und mit unterschiedlichsten Fragen konfrontiert.
Wie erreiche ich Jugendliche am besten?
Für Kinder und Jugendliche gehören digitale Medien fest zum Alltag dazu. Sie nutzen eine breite Angebotspalette, angefangen von Sozialen Netzwerken bis hin zu digitalen Spielen. Aufschluss darüber, welche Apps und Programme gerade „angesagt“ sind, liefern u. a. Mediennutzungsstudien.[iii] Laut aktueller JIM-Studie sind momentan Instagram, WhatsApp und YouTube am beliebtesten. Einige Jugendzentren sind dem Trend gefolgt und bieten über diese Kanäle etwa Onlinekochkurse, virtuellen Tanzunterricht oder Foto-Challenges an. Andere wiederum nutzen digitale Onlinespiele wie Fortnite oder Minecraft, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben. Sie kommunizieren dabei über Tools wie Discord oder Teamspeak.
Wie geht was und worauf?!
Die wohl wichtigste Frage neben der inhaltlichen Gestaltung ist die nach geeigneter Hard- und Software. Nicht alle Einrichtungen der Jugendarbeit sind mit Diensthandys oder -laptops ausgestattet. Apps und Programme können Jugendarbeiter*innen oft nicht selbst installieren oder sie dürfen nur kostenlose Varianten nutzen. Spielkonsolen gibt es meist nur vor Ort, was die Erreichbarkeit im Homeoffice nicht unbedingt erleichtert. Jugendarbeiter*innen müssen auch hier wieder kreativ werden und ein hohes Maß an Energie und Eigeninitiative investieren: Wo bekomme ich Gelder für Geräteanschaffungen her? Wie finde ich geeignete Fortbildungen? Welche Angebote sind besonders beliebt und „kommen gut an? Welche Risiken gilt es zu beachten? Mittlerweile finden sich im Netz viele Initiativen, die sich genau dieser Fragestellungen annehmen. In Bayern wird dies u. a. durch das Netzwerk der Medienfachberatungen realisiert.[iv]
Was ist mit Daten- und Jugendschutz?
Leider sind viele der von Jugendlichen präferierten Tools nicht gerade datenschutzkonform, wie das Beispiel der beliebten Diskussions-App Clubhouse[v] zeigt. Die App soll Gespräche aufzeichnen und Kontaktdaten an Server in den USA übertragen. Auch Instagram und WhatsApp, die beide zum Facebook-Konzern gehören, stehen in der Kritik durch ihren laxen Umgang mit personenbezogenen Daten. Auch beim Thema Jugendschutz herrscht Nachholbedarf: Erst im Januar dieses Jahres hat die Video-App TikTok seine eigenen Richtlinien verschärft, nachdem eine 10-Jährige in Folge einer Challenge verstorben war.[vi]
Dienste, die wiederum daten- und jugendschutzgerecht sind, müssen oft entweder teuer eingekauft oder selbst betreut und konfiguriert werden. Diese sind zwar meist sicher in der Nutzung, aber bei den Jugendlichen eher unbekannt, und sie bringen neue Hürden mit sich, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass die darüber laufenden Angebote nicht angenommen werden.
Fazit: Besser digital als gar nicht
Die Coronapandemie wird uns wohl noch eine ganze Weile begleiten. Um den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen nicht zu verlieren, sind digitale Angebote sinnvoll und auch wichtig, trotz der Stolpersteine und Hürden. Es lohnt sich, hier auf die Reise zu gehen, Neues auszuprobieren und vielleicht auch nach der Pandemie ins stetige Angebotsportfolio zu integrieren.
von Romina Nölp
Sozial- und Medienpädagogin
Beraterin von Haupt- und Ehrenamtlichen der Jugendarbeit bei medienpädagogischen Fragen.
[i] Studie: Mehrheit der Jugendlichen hält sich an Corona-Regeln; vgl. br.de v. 26.11.2020
[ii] S. Andresen, L. Heyer, A. Lips, T. Rusack, W. Schröer, S. Thomas, J. Wilmes: Das Leben von jungen Menschen in der Corona-Pandemie. Erfahrungen, Sorgen, Bedarfe; Download der PDF-Datei: bertelsmannstiftung.de
[iii] Vgl. mpfs.de
[iv] Vgl. medienfachberatung.de
[v] Clubhouse: Audio-Chat mit Mängeln im Datenschutz; vgl. verbraucherzentrale.de v. 23.3.2021
[vi] Risiken bei TikTok. Altersbasierte Voreinstellung der Konten; vgl. klicksafe.de