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Einschätzungen zum Ukraine-Krieg

Die Waffen nieder!

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen, er ist völkerrechtswidrig und aufs Schärfste zu verurteilen. Er bedeutet unendliches Leid für die Menschen in der Ukraine, aber auch für russische Soldaten, die ihr Leben lassen müssen.

Roter Mohn
Foto: Nikos Kalogiros

Dieser Krieg muss sofort beendet werden oder es muss zumindest schnellstmöglich eine Waffenruhe herbeigeführt werden. Wie Militärexperten (z. B. Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose, Brigadegeneral a.D. Erich Vad, Oberst Jacques Baud) oder z. B. auch der Politik- und Wirtschaftsberater Michael Lüders feststellen, kann die Ukraine den Krieg auch durch Waffenlieferungen des Westens militärisch nicht gewinnen. Auch ein gigantisches Aufrüstungsprogramm in Deutschland und anderen NATO-Staaten und Kriegsrhetorik à la Baerbock werden den Krieg nicht beenden, genauso wenig immer schärfere Sanktionen. Auch wenn diese längerfristig Russland schaden, so treffen sie aber vor allem die russische Zivilbevölkerung. Für Öl- und Gaslieferungen, die westliche Staaten ablehnen, wird Russland zumindest mittelfristig andere Abnehmerstaaten finden.

Der Krieg kann nur durch Verhandlungen beendet werden. Dazu bedarf es einer Diplomatie auf höchstem Niveau, denn nur wenn tatsächlich alle Handlungsoptionen gesucht, entwickelt und durchleuchtet werden, kann ein Weg gefunden werden, diesen Angriffskrieg zu beenden.

Der „Wertewesten“

Moralische Überhöhung bzw. Verabsolutierung des westlichen Standpunkts verhindert den unverstellten Blick auf Möglichkeiten, die man zur Beendigung des Krieges ausloten müsste.

Wenn westliche PolitikerInnen wie Außenministerin Baerbock den Krieg zum Kampf des freien Westens gegen die Diktatur und den Autokraten Putin hochstilisieren, wird der Blick auf diplomatische Lösungen, die nie von einem verabsolutierten moralischen Standpunkt Ausgang nehmen können, verstellt. Sie blenden nicht nur die völkerrechtswidrigen Kriege der NATO-Staaten insbesondere der USA, wie z. B. im Irak, in Jugoslawien oder Libyen aus, sondern auch die Schritte, die zur Eskalation zwischen Russland und der NATO beigetragen haben. Der Westen und die NATO haben zwar diesen Krieg nicht begonnen, aber an der Eskalation waren sie durch die NATO-Erweiterungen und die Hochrüstung der Ukraine maßgeblich beteiligt.

Die Empörung über den russischen Angriffskrieg ist gerechtfertigt. Moralische Empörung ist aber noch keine Politik und sie zeigt auch keinen Lösungsweg für die Beendigung des Krieges. Von den verantwortlichen Spitzenpolitiker:innen im Westen muss man erwarten können, dass sie in diesem Konflikt nicht in der Position des moralisch Überlegenen verharren, die sich nur damit zufrieden geben will, wenn Russland irgendwann aufhört zu kämpfen und klein beigibt, weil es wirtschaftlich so geschwächt ist, oder Putin gar intern gestürzt wird. Das hieße in Kauf zu nehmen, dass sich der Krieg in der Ukraine unter Umständen noch viele Monate, wenn nicht sogar Jahre hinzieht und das Land in Schutt und Asche und einen Friedhof verwandelt wird. Zugleich erhöht sich mit jedem Tag die Gefahr einer Ausweitung des Krieges, denn Kriege entwickeln irgendwann eine Dynamik, die man nicht mehr steuern kann. Vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz wurde Anfang März 2022 auch schon eine mögliche NATO-Beteiligung ins Spiel gebracht. Sergej Sumlenny, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew von 2015-2021, twitterte sogar: „so the most secure way to get guaranteed peace is to eliminate nuclear Russia. Some nukes can explode, but they will explode anyway ...1 Sogar ein Atomkrieg wird also in Kauf genommen.

Rüdiger Lüdeking, ehemaliger ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen in New York und später bei der OSZE in Wien, kritisierte Ende Dezember 2021 in der taz die „wertebasierte“ Außenpolitik:

Die Außenpolitik der neuen Bundesregierung scheint im Wesentlichen durch moralische Entrüstung über das Regime Putin geprägt zu sein. Anstatt sich nachhaltig für eine Deeskalierung und Verhandlungen mit Russland einzusetzen, beschäftigt sie sich intern offenbar vornehmlich mit der Frage, ob unter den obwaltenden Umständen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 überhaupt erfolgen darf. Am Rande sei erwähnt, dass mögliche russische Gegenmaßnahmen wie der Stopp von Energielieferungen völlig unbeachtet bleiben. Auch die realpolitische Erwägung, dass eine wirtschaftliche Schwächung Russlands sicherheitspolitische Instabilitäten zur Folge haben kann, scheint keine Rolle zu spielen. […]

Die neue Bundesregierung sollte nicht ausschließlich unsere Werte zugrunde legen und dem Wünschbaren nachhängen; sie sollte sich vielmehr an den Realitäten orientieren und sich an den luziden Ausspruch von Egon Bahr erinnern: ‚In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte: Es geht um Interessen von Staaten.‘“2

Als Gewerkschafter:innen sollten wir uns immer die Frage stellen, um welche Interessen es geht.

Interessen

Die Interessen der Staatsführungen sind bekanntlich längst nicht die Interessen der Masse der Menschen in diesen Staaten. Marx und Engels nannten den modernen Staat eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, ideellen Gesamtkapitalisten.3 Vor dem Hintergrund der neoliberalen Globalisierung, dem derzeitigen globalen Siegeszug des Kapitalismus, gilt das umso mehr. Die Interessen der Global Player, ob Staaten, Banken oder Konzerne, verschmelzen als wirtschaftliche, geopolitische und (geo-)strategische Kapital-Interessen.

Betrachtet man das unter dem Aspekt andauernder Weltwirtschaftskrisen, unter der Notwendigkeit des Kapitals, dieses zu akkumulieren, müssen wir doch feststellen, dass wir uns in einer weiteren hochexplosiven Phase des Imperialismus befinden.

Das wird beim Studium des imperialen Zerrens um die Ukraine spätestens seit 2014 überdeutlich, wo es schon zu den verschiedensten gewaltsamen Übergriffen kam (Maidan – Krim –Gewerkschaftshaus Odessa – Donbass …).

Unser Interesse als lohnabhängige Menschen weltweit kann nur sein, dass wir diese gewaltsamen Übergriffe abwehren, und zwar egal vonseiten welches Macht- bzw. Kapitalblocks. Wir können uns – was auch Rosa Luxemburg energisch forderte - auf keine der imperialistischen Seiten stellen.

Kriege sind unterm Strich gigantische Kapitalvernichtung. Die Profiteure gefährden nicht ihr Leben und persönliches Wohlbefinden, sie können ihre Ziele aber nur erreichen, wenn sie andere Menschen für sich auf das Schlachtfeld führen.

Wir - die lohnabhängigen Menschen - können nur Erfolg haben, wenn wir politisch streiten, wem die jeweiligen Anteile erwirtschafteter Werte zustehen. Und hier ist die fortschrittlich organisierte Arbeiterbewegung schon immer der Ansicht, sie stehen den Menschen und Gemeinschaften zu, die diese produzieren.

Verhandeln, verhandeln, verhandeln!

Nahezu jeder Mensch weiß: Im atomaren Zeitalter sind Kriege ohnehin nicht zu gewinnen.

Und auch nichtatomare regionale Kriege haben noch nie zu einem „Erfolg“ im Gesamtinteresse der Menschheit geführt, von Vietnam bis Afghanistan, aber unzählige Menschenleben gekostet und unbegreifliches Leid über die Menschen gebracht. Deswegen gilt ausschließlich: Verhandeln, verhandeln, verhandeln, und zwar sofort! Und Schluss mit Waffenlieferungen in Kriegsgebiete! Sie sind Öl ins Feuer des Krieges und ziehen nicht nur seine Beendigung womöglich auf Jahre hinaus, sondern bringen uns immer näher an den Abgrund eines Atomkrieges.

Wir bleiben zusammen mit der übergroßen Mehrheit der diesjährigen Ostermarschierer:innen dabei:
Die Waffen nieder!
Stoppt die Gewaltspirale!
Krieg ist keine Lösung.

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1

twitter.com/sumlenny/status/1514786341833175045

2

Rüdiger Lüdeking, „Realpolitik zählt, nicht Werte. Der Westen empört sich moralisch über Russland. Das ist falsch. Stattdessen sollte man die Sicherheitsinteressen von Präsident Putin ernst nehmen.“ taz.de/Archiv-Suche/!5817631/

3 Friedrich Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. MEW 19, S.222, 1880