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Die Arbeitsgruppe Perspektiven in der GEW Bayern

"Es ist an der Zeit, innezuhalten, Nein zu sagen, und sich zu fragen, warum das alles so ist und wem es nützt." (Prof. Rainer Roth in DDS Mai/Juni 2000, S.3) In etwa mit diesem Anspruch trafen sich an einem Wochenende Anfang Juli in der Akademie Schönbrunn bei Dachau 18 KollegInnen aus ganz Bayern zum Jahresseminar 2000 der Arbeitsgruppe Perspektiven (agf).

...ück - zurückspulen! LVV 1996: AG "F"

Diese Arbeitsgruppe existiert nunmehr seit vier Jahren auf Landesebene, genauer gesagt seit der Landesdelegiertenkonferenz 1996. Damals war neben fünf vom Landesvorstand initiierten Arbeitsgruppen noch eine sechste genehmigt worden mit dem womöglich etwas außergewöhnlichen Titel: "Schlanke Produktion – schlanker Staat – schlanke Bildung". Was sich genauer dahinter verbarg, wurde aus dem Motto der AG ersichtlich: "Für eine GEWerkschaft, die sich nicht als Bürgerinitiative oder Standortbrigade begreift, sondern als Kampforganisation konsequent und parteiisch die Interessen der abhängig Beschäftigten vertritt." Obwohl diese AG als einzige keinen "prominenten" Referenten aufzuweisen hatte, fand sie unter den Delegierten wie unter den "Promis" das größte Interesse: auch der GEW Bundesvorsitzende Dieter Wunder und Kollege Sigel - noch als Landesvorsitzender - waren anwesend (nachzulesen in DDS Mai/Juni 1996 S.16f).

Perspektive: die Linke neu entwickeln!

In meiner Einführung in die Thematik der Arbeitsgruppe stellte ich 10 Thesen vor. Die 10. These lautete: Die Linke in den Gewerkschaften muss neu entwickelt werden. Und in meinem Ausblick unterstrich ich nochmals: Die Arbeitsgruppe wird dann erfolgreich sein, wenn wir auf die Fragen jener These eine ausreichende Antwort geben.

Es geht in der Arbeitsgruppe Perspektiven also um eine Antwort auf die Frage, wie die Linke in den Gewerkschaften und damit auch in der GEW neu entwickelt wird. Neu deswegen, weil zwischenzeitlich die Linke in den Gewerkschaften nahezu atomisiert ist. Voraussetzungen für eine Neuformierung der Linken in der GEW Bayern wurden durch mehrere Seminare geschaffen, die seit der LVV '96 regelmäßig stattfanden.

1997: Globalisierung

Das erste Seminar im Januar 97 thematisierte die "Zukunft der Arbeit unter Bedingungen der Globalisierung". Inhaltlich auf hohem Niveau unterstützt wurden wir dabei von dem Ökonomen Winfried Wolf und vom bayerischen ÖTV–Vorsitzenden Michael Wendl.

1998: rosa-grün

Im Juli 98 beleuchtete Schorsch Wiesmaier die bayerische Bildungslandschaft, während die hessische GEW-Vorsitzende Gonhild Gerecht Erfahrungen (leider keine guten) mit rosa-grüner Bildungspolitik vermittelte. Die Erkenntnis für die SeminarteilnehmerInnen war: Wer in dieser Zeit auf Alternativen der Sozialdemokratie oder der grünen Realökologie setzt, wird ganz schön angeschmiert.

1999: Krieg

Wozu diese politischen Kräfte fähig sind, mussten wir bald erfahren. Sie lieferten das Thema für das letztjährige Seminar "Gewerkschaften und die Kriegsfrage". Ein wesentliches Ergebnis der Beschäftigung mit dem Thema Krieg und Frieden war, dass nach dem Ende der Systemkonkurrenz die Karten wieder neu gemischt werden. Oder anders ausgedrückt: Auch in Mitteleuropa bekommen Kriegsführungsstrategien eine neue Bedeutung. Der Friedensforscher Koll. Hendrik Bullens zeigte auf, wie aus einer propagandistisch schlau inszenierten vermeintlichen Abrüstung in Wirklichkeit Umrüstung und letztlich eine Aufrüstung hin zu einer Interventionsarmee wird. Warum lernt die Gewerkschaftsbewegung so wenig aus der Geschichte? Warum werden die gleichen Fehler immer wieder gemacht? Wie oft haben GewerkschafterInnen am 1. September betont: Krieg darf nie wieder von deutschem Boden ausgehen! Um dann bei der erst schlechtesten Gelegenheit umzufallen: Der DGB Bundesvorstand äußerte anlässlich des Angriffs der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien Verständnis für die Teilnahme deutscher Truppen.

2000: Interessen

Im Einführungsreferat des Jahresseminars 2000 verwies ich darauf, wie wenig von einer gewerkschaftlichen Beschlusslage zu halten ist, wenn sie in der Praxis nicht eingehalten wird. Ich führte weiter aus: "Beim Bündnis für Arbeit geht´s um das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit und wie in einer kapitalistischen Gesellschaft die beiden Faktoren zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen. Da spielen Interessen eine große Rolle. Das ist ähnlich wie beim Krieg. Da geht’s auch um Interessen und eine bestimmte Form der Austragung dieser Interessen. Dafür braucht man eine Übereinkunft zwischen den relevanten gesellschaftlichen Kräften. Ich behaupte: Ohne Zustimmung der DGB – Gewerkschaften hätte sich Deutschland nicht am Angriff auf Jugoslawien beteiligen können." Und was lernen wir daraus? Nicht die jeweilige Beschlusslage ist ausschlaggebend. Wenn nicht der entsprechende Druck von unten da ist, können wir jede Beschlusslage vergessen. Und gewerkschaftlicher Druck hat eine Menge mit politischem Bewusstsein zu tun. Doch um dieses Bewusstsein scheint es schlecht bestellt, auch in der GEW Bayern.

TOP2: ... nach dem Volksbegehren

Einen Schwerpunkt auf dem Jahresseminar 2000 setzte Koll. Ludwig Würfl aus dem Kreisverband Freising am ersten Abend mit dem Thema: "Wie weiter nach dem gescheiterten Schulvolksbegehren mit der GEW im DGB?" Koll. Würfl, knüpfte in seiner Analyse des Umfeldes, in der sich Bildungspolitik derzeit bewegt, an die beschleunigten Globalisierungsprozesse an. In diesem Zusammenhang änderten sich die Anforderungen an Qualität und Quantität der Ware Arbeitskraft. Von der Abnehmerseite her werde deshalb verstärkt Druck auf das Bildungswesen ausgeübt, den Anforderungen umgehend nachzukommen. Ziel sei der möglichst flexibel verwertbare Arbeitnehmer. Wie sich diese Interessen konkret umsetzten, zeigte der Referent u.a. am Beispiel der Schulzeitverkürzung auf: Durch frühere Einschulung, einer Eingangsstufe, die die bisherigen Klassen 1 und 2 zusammenfasst und einem verkürzten Gymnasium ließen sich im Einzelfall 3 Schuljahre einsparen. Wer in seiner schulischen Laufbahn schon soviel Flexibilitätan den Tag lege, habe seine Eliteeignung bewiesen. Außerdem zeigten alle sog. Schulreformen der letzten Jahre die Handschrift der Unternehmerverbände. Hier gehe es nicht um den Anspruch, allseits gebildete SchülerInnenpersönlichkeiten zu entwickeln. Vielmehr stehe die Frage im Mittelpunkt: Wie können Schule und Bildung in die supranationalen Konzerninteressen eingebunden werden?

Mit der "Schule AG" auf den Bildungsmarkt?

Ein weiteres zentrales Element der aktuellen Bildungsdiskussion sei, so Würfl, der Umbau der Schulorganisation in Richtung Unternehmen Schule. Was als Autonomiedebatte auch in der GEW über gewisse Sympathien verfüge, habe die Privatisierung des Schulwesens zum Ziel. Man erzähle stets nur von den Vorteilen einer Entscheidungsverlagerung nach unten (autonome Schule) um tatsächlich die Verantwortung des Staates für das Bildungswesen nach und nach abzulegen. Das Bildungswesen sei ein potentieller riesiger Markt. Martin Gruber, Berufsschullehrer aus München, stellte dazu die Frage in den Raum: "Wann geht die erste Schule an die Börse?" Was bei anderen öffentlichen Dienstleistungen wie Post und Bahn bereits durchgesetzt sei, stehe jetzt im Bildungswesen an – mit den bekannten fatalen Folgen für die Beschäftigten und die BürgerInnen. In der Diskussion erläuterte Friedrich Sendelbeck aus Nürnberg einige alarmierende Konsequenzen mit erschütternden Beispielen aus dem Bereich Fort- und Weiterbildung.

Bildung: Recht statt Ware!

Ludwig Würfl, der bei der a.o. LVV die Argumente gegen eine Beteiligung der GEW am Volksbegehren "Die bessere Schulreform" vorgetragen hatte, wollte in der Kritik an der Teilnahme der GEW nicht nachtarocken, forderte aber eine gründliche Analyse des Scheiterns ein. Hier warnte Koll. Reinhard Frankl, Geschäftsführer der GEW Unterfranken, davor, die misslungene Mobilisierung sogar der eigenen Mitgliedschaft in einen "enormen Einsatz" umzudeuten und das Volksbegehren noch im Nachhinein als die "einzig verbliebene Möglichkeit" bildungspolitischer Gegenwehr darzustellen. (DDS 3/4 2000, S. 3). Solche Analysen müssten in eine resignatorische Sackgasse führen.

Schorsch Wiesmaier betonte, er stehe nach wie vor zu der Entscheidung und verwies auf die große Mehrheit der LVV-Delegierten, die sich für das Volksbegehren ausgesprochen hatten. Als sehr schwierig schätzte er die aktuelle Situation der GEW ein, da in absehbarer Zeit keine anderen Mehrheiten in Bayern zu erwarten seien, es bei inneren Schulreformen keine klaren Positionen in der GEW gebe und es schwierig sein werde, mit den bisherigen Bündnispartnern etwas auf die Beine zu stellen.

Die in der Diskussion angerissenen Probleme ließen erkennen, dass auf die GEW Bayern schwere Zeiten zukommen. Auch innerhalb der GEW wurde ein wachsendes Nachgeben gegenüber dem neoliberalen Deregulierungsdruck auf die staatliche Bildung festgestellt. Die AG einigte sich schließlich darauf, diesem Trend auf der nächsten LVV mit einem eigenen Antrag "Recht auf Bildung statt Bildung als Ware" entgegen zu steuern.

Vernetzt euch!

Der zweite Tag des Seminars stand unter der Fragestellung: Wie ordnet sich die AG Perspektiven (agf) innerhalb der GEW ein und wie steht sie zu den Kräften in den anderen DGB – Gewerkschaften, die der Linie der Sozialpartnerschaft ablehnend gegenüberstehen? Dazu referierte der IG Metall Kollege Christiaan Boissevain von der Initiative Münchner Gewerkschaftslinke. Er zeichnete die Entwicklung der Gewerkschaftslinken (GL), eines bundesweiten Vernetzungsansatzes linker GewerkschafterInnen, nach und zeigte auf, welche Chancen in diesem Ansatz stecken, wo aber auch die Schwierigkeiten sind. Aufgabe der GL sei es, als eigene Strömung sichtbar zu werden und von unten Druck zu entwickeln.

zartes Pflänzchen

Der Vernetzungsansatz, so der Referent, zeichne sich aus durch eine große Offenheit, was die politischen Positionen betreffe. Andrerseits leide darunter die Handlungsfähigkeit. Die Verständigung laufe über nationale Konferenzen und dazwischen über einen zentralen Arbeitsausschuss, der in Frankfurt/M. angesiedelt ist. Die TeilnehmerInnen am Arbeitsausschuss seien nicht gewählt. Das zeige deutlich, dass die Struktur noch nicht demokratisch legitimiert sei. Koll. Boissevain bezeichnete die GL als "zartes Pflänzchen", meinte aber, es gebe keine Alternative zum Aufbau der GL.

Ent-Lastung!

In der Diskussion wurde von mehreren KollegInnen die Befürchtung geäußert, der Aufbau einer eigenen innergewerkschaftlichen Struktur führe zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung. Einigkeit erzielte man rasch darüber, dass genau das nicht eintreten dürfe. Als Erwartungen an den weiteren Aufbau der Vernetzung wurden u.a. folgende Punkte genannt: Die inhaltliche Position muss an wenigen zentralen Aussagen erkennbar werden. Die Struktur der GL muss eine Entlastung für die Arbeit in der Gewerkschaft bringen. Beispiel: Für Referenten am 1.Mai sollte die GL ein alternatives Referat zur Verfügung stellen. Bei der Initiierung von Basisgruppen in den Städten gilt es zu berücksichtigen: Der Vernetzungsansatz wird nur dann erfolgreich sein, wenn sich in den Einzelgewerkschaften die Linken zusammentun und gemeinsam Perspektiven entwickeln. Um es an einem Beispiel festzumachen: Bevor linke GewerkschafterInnen aus der GEW sich individuell an einer Vernetzungsinitiative beteiligen, sollten sie sich in der eigenen Organisation umschauen und zusammentun. Das Ergebnis dieses Bemühens kann man dann vernetzen.

Nägel mit Köpfen

Die große Mehrheit der SeminarteilnehmerInnen wollte Nägel mit Köpfen machen, d.h., klare Positionen und konktrete Vorhaben für die Umsetzung: Die AG Perspektiven (agf) versteht sich als organisierte offene Strömung der Gewerkschaftslinken in der GEW Bayern und arbeitet aktiv am Aufbau einer nationalen/internationalen Vernetzung der GL mit. Sie fordert alle Kolleginnen und Kollegen, die sich als Linke verstehen bzw. die den sozialpartnerschaftlichen Kurs der Gewerkschaftsführungen ablehnen, auf, mit der AG Perspektiven (agf) in Kontakt zu treten. Dazu gibt’s mehrere Möglichkeiten. Die schnellste ist über Internet: www.gew-unterfranken.de/agf. Zum Umgang mit dem Internet möchte die AG im November ein Seminar anbieten.

Zum Vormerken:

Das Jahresseminar 2001 findet vorbehaltlich der Genehmigung durch den Landesvorstand am 29./30.Juni 2001 statt.