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Der Völkerrechtsgelehrte und Pazifist Hans Wehberg (1885 – 1962): Verbietet den Krieg!

Die Idee: Kriege werden verhindert, weil sich Staaten bei Konflikten anders einigen. Als Instrument zur Durchsetzung staatlicher Interessen werden sie damit obsolet und verboten, eine radikale allgemeine Abrüstung wird vereinbart.

Das Mittel: Ein internationales, übernationales Schiedsgericht, dessen Anrufung im Konfliktfall verpflichtend ist und deren Urteile für die Parteien bindend sind.

Die Probleme: Der Grad der Bereitschaft der souveränen Staaten, sich diesem Schiedsgericht zu unterwerfen. Die Frage nach vielleicht „notwendigen“, nach womöglich „gerechten“ Kriegen. Die Durchsetzungskraft einer solchen übernationalen Institution und die Mittel, über die sie verfügen kann.

Was nach einer Charakterisierung der Vereinten Nationen aus der Gegenwart klingt, war vor hundert Jahren das Lebensthema des Völkerrechtslehrers und Pazifisten Dr. jur. Hans Wehberg: In seinem bibliografischen Werk fokussierte er sich hauptsächlich auf die Frage, wie auf der internationalen Beziehungsebene die Gewalt durch das Recht überwunden werden kann.

Pazifist*innen nach dem Weltkrieg: An deutschen Universitäten unerwünscht

Es waren nicht erst die Nationalsozialist*innen, die die öffentliche Wirksamkeit eines solchen Mannes nicht dulden wollten, auch wenn diese die von Wehberg herausgegebene Zeitschrift „Die Friedens-Warte“ seit 1936 nicht mehr im Reich erscheinen ließen. Zu diesem Zeitpunkt lehrte Wehberg schon als Professor in der Schweiz am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien – ein Umstand, der vor allem darin begründet lag, dass er als – wenn auch promovierter – Pazifist schon in der Weimarer Zeit an deutschen Universitäten keine aussichtsreiche berufliche Zukunft hatte. Er teilte dieses Schicksal mit vielen anderen, die sich wegen ihrer Haltung den Anfeindungen von Fachkolleg*innen und Hochschulleitern ausgesetzt sahen. Darunter waren auch der Mediziner Georg Friedrich Nikolai, der Historiker Veit Valentin und der mit Wehberg gut befreundete Völkerrechtler Walther Schücking. Ihre Lebensgeschichten müssen an anderer Stelle erzählt werden. Und gänzlich andernorts die Geschichten jener eben diesem Universitätswesen erwachsenen Teile der deutschen Studierenden, die 1933 nur zu genau wussten, welche Autor*innen für die „Aktion wider den undeutschen Geist“ in Frage zu kommen haben.

Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Jena, Göttingen und Bonn wurde Wehberg 1915 eingezogen. Als Besatzungssoldat in Belgien protestierte er dort gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Deutschen in das neutrale Land. Strafversetzung und später unehrenhafte Entlassung waren die Folge. In Erinnerung an jene Zeit schrieb Wehberg 1919 das autobiografische Werk „Als Pazifist im Weltkrieg“.

Wilsons Völkerbund – für Wehberg eine unvollkommene Verheißung

Mit der Einrichtung des Völkerbundes im Jahr 1920 begann für Wehberg eine Phase der produktiven und intensiven völkerrechtlichen Auseinandersetzung mit den eingangs dargestellten Problemstellungen. Er leitete die völkerrechtliche Abteilung der Deutschen Liga für Völkerbund (DLfV), der unter anderen auch der 1921 ermordete Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der Industrielle Robert Bosch, der spätere Reichsbankchef Hjalmar Schacht und der parteilose baldige Reichskanzler Wilhelm Cuno angehörten.

Zusammen mit Walther Schücking gelang ihm 1923 die Wiederbelebung der Zeitschrift „Die Friedens-Warte“, die er seit jeher in seinen Hörsälen ausgelegt hatte und für die er schon lange unterstützend Beiträge schrieb. Nun wurde sie Wehbergs Sprachrohr für die kritische Auseinandersetzung mit dem Völkerbund. Im Kern hielt er ihn für einen Segen, für die „große[n] Schöpfung Wilsons“, aber er sah immer noch zu wenige Fortschritte im Vergleich zu den Haager Friedenskonferenzen von 1899 bzw. 1907. Als zentrale Defizite der Völkerbundsatzung machte er aus, was ihr noch alles fehlt: Die zwingend verbindliche Pflicht zur Anrufung des Völkerbundes im Streitfall, die wirklich kategorische Ächtung des Krieges, die konsequente Verpflichtung aller Mitglieder zur radikalen Abrüstung und eine eigene Polizeitruppe, die im Namen des Völkerbundes den Frieden sichern könnte.

Außerdem diskutierte Wehberg zentrale kriegsrechtliche Fragen, etwa die nach der Rechtfertigung von Verteidigungskriegen oder Sanktionskriegen – und ließ diese nicht nur wissenschaftlich-systematisch auf rechtspositivistischer Expertise fußen, sondern bezog soziologische und ethische Aspekte in seine Untersuchungen mit ein. Im allgemeinen Revisionismus der Zwanziger nahm Wehberg eine Mittelstellung ein, akzeptierte wie die meisten auch nicht die im Versailler Vertrag festgelegte alleinige Kriegsschuld Deutschlands und seiner Verbündeten. Spätestens seit dem reichsweiten Verbot der „Friedens-Warte“ engagierte er sich im offenen publizistischen Kampf gegen die Nationalsozialisten*innen. Im Völkerbund – aus dem Deutschland 1933 bekanntermaßen und selbsterklärend austrat – sah er während des Zweiten Weltkrieges nach wie vor ein mögliches Instrument zur Schlichtung, was seine idealisierte Vision von der Idee dieser Institution charakterisieren dürfte.

Wehbergs Publizistik in der Nachkriegszeit

Mit den Vereinten Nationen schuf die Weltgemeinschaft nach dem Krieg erneut eine Institution, deren friedenserhaltende Qualitäten Wehberg publizistisch diskutierte. Die Dominanz der Supermächte und das problematische Vetorecht, erneut die innere organisatorisch-institutionelle Schwäche, man kann sagen, die immer wieder mangelhaft zwingende Verbindlichkeit der Friedenserhaltung waren ein Lebensthema Wehbergs. Seine Positionen fanden Beachtung und viele der Forderungen, die Wehberg und seine Kolleg*innen in der „Friedens-Warte“ vertreten hatten, wurden in der Satzung der Vereinten Nationen verwirklicht – welchen vielleicht mittelbaren Einfluss Hans Wehberg darauf auch immer gehabt haben mag. Weitere Themen, denen er sich widmete, waren die Nürnberger Prozesse, der Weg zu einer Wiedervereinigung des geteilten Deutschland, die Atomenergie und die europäische Einigung: Wehbergs publizistisches Leben erscheint wie ein pazifistischer Kommentar zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die es so bitter nötig gehabt hätte, seiner Stimme in Deutschland mehr Gehör zu verschaffen.

Hans Wehberg starb 1962 in Genf. Die Zeitschrift „Friedens-Warte“ konnte nach dem Verbot ihre alte Auflagenstärke in Deutschland nicht wieder erreichen, sie erscheint aber bis heute vierteljährlich.

 

Literatur:

Denfeld, Claudia: Hans Wehberg (1885-1962): Die Organisation der Staatengemeinschaft.  Nomos, Baden-Baden 2008

Aus der Münchner Freiheitsbibliothek:

Hans Wehberg: Grundprobleme des Völkerbundes Berlin 1926 – Ausschnitt aus dem Originaltext