Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bezirk Bayern und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Bayern zum Schreiben V.9 – B S 5640.0/173
Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen
Gesetzentwurf zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (G 9)
An das Bayerische Staatsministeriumfür Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst 31.05.2017Sehr geehrte Damen und Herren,Der DGB Bayern und die GEW Bayern bedanken sich die Übersendung des o.g. Gesetzentwurfes Zu diesem möchten wir wie folgt Stellung nehmen.
Vorbemerkung
DGB Bayern und GEW Bayern begrüßen die Schulzeitverlängerung auf 9 Jahre bis zum Abitur. Damit wird eine erste richtige Schlussfolgerung aus der bis zuletzt nicht zufrieden-stellenden Organisation des achtjährigen Gymnasiums gezogen. Es sind aber weitere Anstrengungen notwendig, um das bayerische Gymnasium zukunftsfähig, qualitativ hochwertig und sozial gerecht auszugestalten.
Insbesondere die angestrebte Reduzierung des Nachmittagsunterrichts sehen wir mit besonderer Sorge. Eine zukunftsfähige Schule beschränkt sich nicht auf einen Halbtagsbetrieb. Bayern ist schon jetzt beim Ausbau der Ganztagsschulen im Hintertreffen. Gerade einmal 15% der Schülerinnen und Schüler nehmen Ganztagsangebote an – Bayern ist damit Schlusslicht in Deutschland. Wir befürchten, dass mit der Konzentration auf den Vormittagsunterricht der weitere Ausbau behindert wird. Stattdessen wäre eine echte Neuorganisation des Unterrichts nötig, der verschiedene Lehr- und Lernformen sinnvoll bis in den Nachmittag hinein miteinander kombiniert.
Wir begrüßen den Anspruch mit diesem Gesetzentwurf ein „neues“ Gymnasium schaffen zu wollen. Mit der Staatsregierung sind wir einer Meinung, dass eine bloße Rückkehr zu einer längeren Schulzeit weder Lehrerinnen und Lehrern, Eltern noch Schülerinnen und Schülern hilft. Aus unserer Sicht ist dafür eine echte pädagogische Reform anzugehen, zu der die Überprüfung von Inhalten, Methoden und Ausstattung gehört. In diesem Zuge wird auch deutlich, dass ein „neues“ Gymnasium nicht mit einem alten Personal-schlüssel auskommen kann. Die Berechnungsgrundlagen unter D) Kosten, Nr. 2.1 machen aus unserer Sicht deutlich, dass die angestrebten Veränderungen im Hinblick auf Didaktik und inhaltliche Schwerpunktsetzungen noch nicht mit finanziellen und personellen Ressourcen unterlegt sind.
Gleiches lässt sich argumentieren, wenn man die Berechnungsgrundlagen zur baulichen Ausstattung unter D) Kosten, Nr. 3.1 heranzieht. Natürlich ist die Schülerzahl die wesentliche Größe zur Ermittlung des Schulbauvolumens. Die Staatsregierung rechnet ausgehend vom Bestand 2011 und der erwarteten Schülerzahl im Jahr 2025/2026 mit einem Investitionsvolumen von 500 Mio. €. Veränderte didaktische Methoden brauchen aber u.U. andere Raumbedarfe und –Konzepte (bspw. Gruppenräume). Die Grundlagen der Schätzung der Staatsregierung bilden aber nur einen didaktischen Status quo hinsichtlich Klassengröße und der Nutzung didaktischer Methoden ab. Wie auch bei der personellen Ausstattung stellt sich die Frage wie der Anspruch an neue Konzeptionen umgesetzt werden kann.
DGB Bayern und GEW Bayern plädieren deshalb für eine umfassende Reform, bei der Gründlichkeit vor Geschwindigkeit geht. Wir sehen die Gefahr, dass die Chance für eine echte Schulreform verschenkt wird und sich stattdessen eine Rückkehr zu überholten Strukturen durchsetzt. Für den Anspruch, ein neues bayerisches Gymnasium zu schaffen, reichen die im Gesetzentwurf aufgeführten Punkte bei Weitem noch nicht aus.
Zu den Punkten unter B) Lösung im Einzelnen
Nr. 2 Neun Jahre Lernzeit von Jahrgangsstufe 5 bis 13
Das Schulsystem in Bayern setzt auf eine frühe Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule bereits in der 5. Klasse. Dieser frühe Übergang ist erwiesenermaßen ein Grund für die hohe Selektivität im bayerischen und deutschen Schulsystem. DGB und GEW sind der Meinung, dass längeres gemeinsames Lernen an den Schulen einen Beitrag zu mehr Chancengerechtigkeit im Bildungssystem leistet. Deshalb wäre ein späterer Übertritt bspw. nach der 6. Klasse ein wichtiges Element einer echten Reform des Gymnasiums. Grundsätzlich stehen die Gewerkschaften zur Forderung „Eine Schule für alle“ bis zur 10. Klasse.
Das Festhalten am Beginn der zweiten Fremdsprache in der 6. Klasse ist ebenfalls kein Zeichen für ein neues Gymnasium und führte in der Vergangenheit bereits zu einer Über-forderung der Schülerinnen und Schüler. Wir plädieren deshalb für einen späteren Start in der 7. Klasse zugunsten der Vertiefung der Kenntnisse in der ersten Fremdsprache.
Nr. 3 Individuelle Lernzeit
Grundsätzlich war die Verkürzung der Schulzeit auch in alten Schulmodellen mit dem Überspringen von Klassen möglich. Dies institutionell zu verankern, kann ein Gewinn für bestimmte Schülergruppen sein.
Voraussetzung dafür ist aber, dass die Tätigkeit der Lehrkräfte als „Mentor“ auf die Arbeitszeit angerechnet und als Dienstaufgabe angewiesen wird. Ohne eine Entlastung an anderer Stelle werden die Lehrkräfte dieser zusätzlichen Aufgabe nicht gerecht werden können. Die „zusätzlichen Ressourcen“ für die erfolgreiche Umsetzung der „Überholspur“ dürfen nicht auf Kosten anderer Schulen gehen. Wir sind der Meinung, dass ein Wettbewerb um die größtmögliche Nutzung dieser Überholspur auf jeden Fall vermieden werden muss. Die Überholspur sollte die Ausnahme bleiben und nicht die Einführung der längeren Lernzeit durch die Hintertür konterkarieren.
Problematisch sehen wir aber, dass dieses Förderinstrument vor allem auf eine bestimmte Schülergruppe – tendenziell lernstärkere – fokussiert ist. Gleichzeitig müssen Instrumente zur gezielten Förderung von lernschwächeren Schülergruppen wie die Individuelle Lernzeit ausgebaut werden.
Nr. 4 Optionales Auslandsjahr
Wir begrüßen, dass mit dem Gesetzentwurf auch die Förderung der Internationalisierung in den Blick genommen wird. Auch der Schritt zu finanziellen Unterstützungen i.F.v. Stipendien findet unsere Unterstützung. Zu beachten ist aber, dass diese Option auch Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Haushalten offen stehen sollte. Die Voraussetzungen für die Stipendien dürfen nicht allein an „bestimmte Schulleistungen“ geknüpft werden.
Nr. 5 Eröffnung neuer konzeptioneller Möglichkeiten
Die Überprüfung von Lerninhalten und –Methoden im Hinblick auf aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen finden wir sinnvoll. Wie bereits ausgeführt, hängt die Nutzung und Umsetzung neuer konzeptioneller Möglichkeiten aber immer an Ausstattung, Personal und auch Weiterbildung. Insbesondere im Bereich Digitale Bildung/Digitalisierung sind die Bedarfe offensichtlich. Im Gesetzentwurf finden sich keine Angaben zur Unterlegung des Anspruchs mit Sach- und Personalmitteln.
Dringend erforderlich ist es, die Koppelung der Fächer Geschichte und Sozialkunde aufzuheben. Sozialkunde muss als eigenständiges Fach in den Jahrgängen 9, 10 und 11 jeweils zweistündig unterrichtet werden und in der Qualifikationsphase prinzipiell zweistündig angeboten werden.
Die politische Bildung am Gymnasium in Bayern genügt nicht der Mindestanforderung einer demokratischen Gesellschaft. Politische Bildung muss so organisiert sein, dass auch die Schülerinnen und Schüler erreicht werden, die mit der 10. Klasse das Gymnasium verlassen. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf den Brief der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung an Herrn StM Spaenle am 10. Mai 2017 und den Aufruf des Runden Tisches zur schulischen politischen Bildung in Bayern der Akademie für Politische Bildung in Tutzing vom 14. November 2016.
Nr. 6 Innovative Konzepte der „neuen“ Jahrgangsstufe 11
Wir begrüßen die Einführung der neuen Jahrgangsstufe 11 als Einführungsphase in die Oberstufe. Die 10. Klasse im achtjährigen Gymnasium konnte ihre Doppelfunktion - Erlan-gen der Mittleren Reife und Einführung in die Oberstufe - nie richtig erfüllen. Mit dieser Änderung wurde eine langjährige GEW-Forderung übernommen.
Ohne eine Reform der gesamten Oberstufe werden allerdings die Bemühungen um eine Neuakzentuierung der 11. Jahrgangsstufe ins Leere laufen. Damit die jungen Menschen Studierfähigkeit, vertiefte Allgemeinbildung, Reflexionsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein erwerben können, bedarf es einer förderlichen Struktur in der ganzen Oberstufe. Dazu gehört ein individuell gestaltetes Curriculum mit zwei freigewählten Schwerpunktfächern auf erhöhtem Niveau und erhöhter Stundenzahl. Dabei wird von der Gleichwertigkeit der Fächer ausgegangen. Selbstständiges wissenschaftlich-propädeutisches Arbeiten und gemeinsames Arbeiten an Projekten muss in der ganzen Oberstufe ebenfalls gewährleistet werden. Die Teilnehmerzahl aller Kurse sollte auf maximal 17 beschränkt sein. Eine Überarbeitung der Vorschriften über die Verpflichtung, die Zahl und die Ausgestaltung der Abiturprüfungen halten wir für dringend geboten.
Die Ausgestaltung der Jahrgangsstufe 11 bleibt aber im Vagen. Die Ziele der Konzeption werden von DGB und GEW geteilt. Zur Beurteilung der Ausgestaltung sind aber zu wenig konkrete Anhaltspunkte vorhanden.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen in Nr. 5 verwiesen.
Nr. 7 Stundentafel
Wir begrüßen die Verankerung einen Basismoduls zur Berufsorientierung in der 9. Jahrgangsstufe. Wie auch bei der angestrebten Neuakzentuierung der beruflichen Orientierung in Klasse 11 ist darauf zu achten, dass den Schülerinnen und Schülern neben der Beschäftigung mit Berufsfeldern allgemeine Handlungskompetenzen in der Arbeitswelt vermittelt werden. Das muss insbesondere Wissen über die Organisation der Arbeitswelt und individuelle gesetzliche Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umfassen.
Die Stundentafel in der 10. Jahrgangsstufe sollte auf 32 Wochenstunden beschränkt werden, damit der Pflichtunterricht an einem Nachmittag abgehalten werden kann und damit genügend Freiraum für Wahlkurse, außerschulische Aktivitäten oder die Förder-und Begleitmodule auf der „Überholspur“ bleibt.
Das Prinzip, dass kein Fach einstündig unterrichtet wird, sollte in der Stundentafel konsequent umgesetzt werden.
Wir bitten um die Beachtung der aufgeführten Punkte im Gesetzgebungsverfahren und bei den nachfolgenden Änderungen der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern. Für Rückfragen stehen wir Ihnen sehr gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Jan Krüger
DGB Bayern
Abteilungsleiter Bildungspolitik
gez. Elke Hahn
GEW Bayern
Geschäftsführerin