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Betroffene

50 Jahre Berufsverbote – 45 Jahre Betroffenheit und eigene Geschichte

Ich hatte Glück: Mich ereilte vor 45 Jahren kein Berufsverbot. Jedoch wurde auch meine Verfassungstreue in Zweifel gezogen. Vielleicht ersparte mir ein Zufall das Verbot, meinen Beruf ausüben zu können.

Ich wuchs im Norden auf, war schon früh politisch aktiv – sei es in der Schüler*innenmitverwaltung (SMV), in der Bundeswehr als Vertrauensmann, beim Jobben in der IG Druck und Papier, beim Streiken in der Hamburger Uni oder in der AKW-Bewegung. Für mich war dieser Einsatz für Demokratie stets wichtig und selbstverständlich.

Politisches Arbeiten unter dem sogenannten „Radikalenerlass“

Dann wechselte ich Studiengang und Uni und kam im Wintersemester 1978/79 zum Lehramtsstudium nach München. Dort wollte ich an meine Hamburger Erfahrungen anknüpfen und lernte: Bayern ist anders! Hochschulpolitik ist hier streng ge-maß-regelt.

Ich lernte an der Uni GEW-Studierende kennen, trat in die Gewerkschaft ein und kandidierte auf der LAF-Liste (gewerkschaftlich orientierte Liste AStA/Fachschaften), arbeitete in den Hochschul- und GEW-Gremien mit und beteiligte mich an vielen Hochschulaktionen, aber auch an außeruniversitären Bewegungen wie der Friedensbewegung und Aktionen gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Wiederaufbereitungsanlage (WAA). Ich gestaltete Flugblätter und schrieb für sie Artikel. Schon im zweiten Semester sprachen mich Kommiliton*innen an: So ein Engagement sei doch sehr gefährlich. Erst hierdurch und durch die Zusammenarbeit mit Kommiliton*innen aus dem Sozialistischen Hochschulbund (SHB) und Marxistischen Studentenbund (MSB) lernte ich schnell die Auswirkungen des „Radikalenerlasses“ kennen. Er löste Angst in den Köpfen aus und erzeugte Duckmäuser anstelle von demokratisch gesonnenen Lehramtsstudierenden. Immer wieder fragten sie mich, ob ich denn keine Angst vor einem Berufsverbot hätte. Hatte ich meist nicht. Gegen Ende meines Studiums wurden die Fragen nach meiner Zukunft in Bayern allerdings konkreter. Ich versuchte, mein Engagement beizubehalten, organisierte Streiks, arbeitete mit Kommunist*innen zusammen und kandidierte wiederholt für die studentische Mitverantwortung auf „Wahllisten mit gewerkschaftlicher Orientierung“ (GO-Listen) und offenen Listen. Einmal sprach mich jemand (vom Verfassungsschutz?) an, ob ich nicht Informationen liefern könnte, es sollte mein Schaden nicht sein – ich wollte nicht.

Der Weg durch die Anhörung

Das Damoklesschwert „Berufsverbot“ hing zum Ende meines Studiums gefährlich nahe über mir. Damals kannte ich bereits einige Mitstudierende, die wussten, dass sie in Bayern sicher nicht in den Schuldienst kommen würden. Vor ihrem Mut hatte ich große Hochachtung. Wir, hochschulpolitisch aktive Studierende, schlossen uns parteiübergreifend zusammen und organisierten Schulungen, um bei eventuellen Anhörungen gegen die Berufsverbieter*innen bestehen zu können. Dafür wurden wir auch von Rechtsanwält*innen sehr realistisch beraten. Doch die drohenden Berufsverbote sorgten für eine ungute Stimmung.

Als dann klar war, dass ich mein Referendariat in Schwaben, dem Regierungsbezirk mit den ärgsten Berufsverbieter*innen beginnen sollte, wechselte ich schnell in einen anderen Regierungsbezirk. Dennoch erhielt ich anstelle einer Einladung ins Seminar ein Schreiben, dass Zweifel an meiner demokratischen Gesinnung bestünden und ich mich doch im Rahmen einer Anhörung äußern sollte. Meine Kommiliton*innen waren nicht sonderlich erstaunt, aber auch nicht sonderlich empört: „Selbst Schuld, haben wir ja gleich gewusst!“, meinten sie mehrheitlich. Kein Wort, dass Berufsverbote verfassungswidrig sind. Viele von ihnen übernahmen bereitwillig die Politik der bayerischen Staatsregierung. Breite Solidarität erfuhr ich aber zum Glück in der GEW.

Nach intensiver Vorbereitung durch einen Anwalt, andere Betroffene und Kolleg*innen aus der GEW, unterstützt von einem ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Rechtsberater saß ich mit meinem Material in der Anhörung, vor mir drei Vertreter*innen der betreffenden Bezirksregierung, ebenso mit viel Material. Sie legten mir Flugblätter und Broschüren vor, in denen ich kritische Texte geschrieben hatte, hatten Fotos von Demonstrationen, hielten mir vor, dass mein Auto an Veranstaltungsorten in München parkte, wo kritische Veranstaltungen von DKP, SPD oder Gewerkschaften stattfanden. Zu alldem musste bzw. sollte ich Stellung nehmen. Ich war sehr angespannt, aber die gute Vorbereitung zahlte sich aus. Ich konnte stets darauf verweisen, dass ich als Gewerkschafter aufgetreten war, eine Parteizugehörigkeit ging aus den Flugblättern nicht hervor. Damit waren sie mit ihrem Material am Ende, doch ich hatte noch zwei Flugblätter! Hätten sie diese beiden gehabt, wären sie vielleicht in ihrer Überzeugung bestärkt gewesen, einem sogenannten Verfassungsfeind gegenüberzusitzen, aber sie hatten sie nicht! Ich konnte es kaum glauben, als sie die Anhörung beendeten und meinten, ich würde zeitnah ihre Entscheidung schriftlich erhalten. Aus „zeitnah“ wurden mehrere Wochen, mein Anwalt musste nachfragen, aber dann ging es ganz schnell: Die Zweifel an meiner Verfassungstreue ließen sich nicht hinreichend belegen und ich konnte mit einiger Verspätung Ende Oktober mein Referendariat antreten.

Es waren sehr anstrengende und manchmal frustrierende Wochen, aber Dank der gewerkschaftlichen und der Solidarität in meinem persönlichen Umfeld konnte ich es gut ertragen.

Belastende Gedanken bleiben

Ich ließ mich weder im Referendariat, z. B. als Seminarsprecher, noch danach während meiner schulischen Laufbahn hinsichtlich meines politischen Engagements einschüchtern, war stets politisch interessiert, aktiv und manchmal auch laut. Trotzdem erfuhr ich weder bei der Verbeamtung auf Probe noch bei der auf Lebenszeit Nachteile. Doch stellte sich bei jeder dieser „Klippen“ die Sorge ein, ob der Staat wohl weiter nach belastendem Material gesucht hat, was sehr stressig und belastend war. Auch als verbeamteter Lehrer und später als Schulleiter bemerkte ich keine Nachteile. Gleichwohl trat ich auch weiterhin immer offen als kritischer Gewerkschafter auf. Klar war mir auch, dass während meiner Dienstzeit alle vorgesetzten Dienststellen von meiner politischen Arbeit und den früher bestandenen Zweifeln an meiner Verfassungstreue wussten.

von Jörn Bülck

ehemaliger Schulleiter eines Förderzentrums im Ganztag
Mitglied im Landesvorstand